Cover

Prolog

„Männer. Wenn sie dich haben, stöhnen sie wie kompliziert alles ist, doch wenn sie dich nicht mehr haben können, überschlagen sie sich förmlich um dich zurückzubekommen, damit sie dann wieder stöhnen können, wie kompliziert alles ist.“

Sam Jones

 

 

„The flower is he poetry of reproduction. It is an example of the eternal seductiveness of life.”

Jean Giraudoux

 

 

Prolog

Meine Geschichte beginnt vor einigen Jahren in einer idyllischen Kleinstadt namens Livingston am Fuße der Rocky Mountains. Ich, Eri, war gerade acht Jahre geworden, als meine Eltern plötzlich verstarben. Meine große Schwester Dana war selbst auch gerade einmal achtzehn, doch lud sie wie selbstverständlich alle Verantwortung, welche damit einhergeht für ein kleines Kind zu sorgen, auf ihre schmalen Schultern. Zuerst wollten uns Tante Jane, die Schwester meiner Mutter, und ihr Mann Dave zu sich nehmen, doch Dana war festentschlossen gewesen in unserem Elternhaus zu bleiben und so die Erinnerung an unsere Eltern für mich zu bewahren.

Sie ersetzte mir Mutter und Vater so gut es ging. Sie blieb in der Kleinstadt und lehnte selbst ein begehrtes Stipendium für ein Studium der Rechtswissenschaften an der Yale Universität ab. Sie wollte mich nicht verlassen und ans andere Ende des Landes ziehen. Letztlich war es meine Schuld, dass sie ihren Traum eine erfolgreiche Anwältin zu werden aufgab, auch wenn sie mir immer wieder versicherte, dass sie ihre Entscheidung nie bereut habe.

Meine Schwester und ich standen uns schon immer sehr nahe, trotz des Altersunterschiedes.

Heute, gute zehn Jahre danach, stehe ich selbst kurz davor die Schule zu beenden und ein Jura-Studium zu beginnen. Ich dachte mich könne nichts aufhalten. Bis ich eine Person traf, die mein ganzes Leben durcheinanderwirbeln sollte.

Ach und bevor ich es noch vergesse… ganz nebenbei wäre ich fast gestorben …

 

1. Kapitel

1

Es war Mitte Oktober. Die eindrucksvollen Gipfel der Rocky Mountains waren schon schneebedeckt. Die Ruhe und der Frieden der Kleinstadt Livingston waren wie immer allumfassend, doch lag an diesem speziellen Tag ein erwartungsvolles Summen in der Luft.

Ich saß auf unserer Terrassentreppe und blickte über den Wald zu den Bergen hinauf. Die Kronen der alten Eichen waren golden verfärbt, der Himmel erstreckte sich klar und blau über mir. Die Luft schmeckte noch süß und wärmte meine nackten Schultern. Ich atmete noch einmal tief ein um diesen Frieden in mir aufzunehmen, denn mit der Ruhe sollte es schon bald vorbei sein.

Dieser perfekte Abend bildete den Rahmen für die Verlobungsfeier meiner Schwester. Mit nun 28 Jahren war sie endlich, nach zahl- und tränenreichen Reinfällen, ihrem zukünftigen Mann Jeff begegnet. Er ist ein großer, netter Kerl mit sanften blauen Augen hinter einer etwas schief auf seinem Nasenrücken sitzenden Brille. Jeff ist Banker, immer ordentlich und adrett gekleidet, ein wenig zerstreut, in der ganzen Stadt beliebt und geachtet. Das wichtigste aber war, dass er Dana vergötterte.

Meine liebe, sonst so ruhige und gelassene Schwester flatterte nun schon den ganzen Tag aufgeregt durch das Haus, die Wangen vor Aufregung und Vorfreude gerötet. Immer wieder spielte sie nervös mit ihrem Verlobungsring und schaute dauernd auf die große Uhr über dem Kamin. Es war ein sehr schöner Verlobungsring. Ausgesprochen teuer und sehr elegant. Er passte perfekt an Danas schmale Hand.

Ich selbst fand Hochzeiten und Banker an sich wenig aufregend bzw. anziehend, doch wenn ich solch einen Klunker angesteckt bekommen würde, würde ich mich wohl doch mit einem von beidem anfreunden können. Ich hatte es schon vor einer ganzen Weile aufgegeben meine Schwester beruhigen zu wollen und war deshalb auf die Terrasse geflüchtet. Da saß ich nun und harrte der Dinge, die da kommen mögen. Und sie kamen. Als ich mich nun wieder zu meiner Schwester umdrehte, war ich ehrlich verblüfft wie sie es schaffte, trotz des Herumgeschwirre so umwerfend auszusehen, kein Haar hatte sich aus ihrer Hochsteckfrisur gelöst. Ich selbst musste mich nur einmal um mich selbst drehen, um völlig sturmzerzaust auszusehen. Da halfen weder Haarlack noch Spangen, meine Pony, wie auch der Rest meiner dunklen schulterlangen Locken, machte grundsätzlich, was er wollte. Dana hatte eindeutig die eleganten Gene unserer Mutter geerbt. Was ich geerbt hatte, außer den blauen Augen, blieb allen – einschließlich mir – lange ein Rätsel. Man einigte sich irgendwann noch darauf, dass es mein IQ sei.

Kurz vor neunzehn Uhr klingelte es schließlich an der Haustür und der erste Gast erschien. Ich stöhnte leise auf, als ich einen Blick auf ihn erhaschte. Die unvermeidliche Meggi Sullivan betrat das Wohnzimmer. Sie war Danas beste, älteste und leider auch nervigste Freundin. Und sie war ein gottverdammter Männertraum. Ich mochte sie noch nie, schon immer verspürte ich eine undefinierbare Abneigung gegen sie. Doch in der Pubertät begann ich sie regelrecht zu hassen. Ich hasste ihre grünen Katzenaugen, ihre glänzenden roten Locken, ihre seidige Porzellanhaut und ihre perfekte Figur, während ich selbst als linkischer Teenager ohne Körpergefühl vor mich hinstarkste. Mittlerweile bin ich da wieder etwas gelassener, denn zu meiner großen Freude durfte ich sie höchstpersönlich vor nicht allzu langer Zeit auf ihr erstes graues Haar hinweisen. Die Erinnerung daran, wie ihr daraufhin die Gesichtszüge entglitten und das sonst so verführerische Lächeln einem panischen Ausdruck wich, munterte mich gleich wieder auf. Und so schaffte ich es mich mit einem Lächeln zu erheben und ebenfalls ins Wohnzimmer zu treten. Ihre einzige Daseinsberechtigung hatte sie in meinen Augen dadurch, dass auch sie meine Schwester liebte und vergötterte, auch wenn ich nie verstanden haben, warum. Denn Meggi war eine jener Frauen, die keine andere neben sich duldete und Dana war in ihrer natürlichen Art so schön, dass sie Meggi problemlos ausstechen konnte.

Ich hörte Dana gerade noch sagen: „ Hallo, schön dass du gekommen bist.“, als sich auch schon eine Flut aus Wörter über meine arme Schwester ergoss.

„Dana, du siehst toll aus. Ganz die strahlende künftige Braut. Da fällt mir ein, ich muss dir unbedingt meine Entwürfe für das Brautkleid zeigen.“

Meggi stieg schon wieder voll auf ihr Lieblingsthema ein und plapperte ohne Luft zu holen. Beschrieb die Kleider, die Accessoires, die Dekoration. Sie führte sich fast so auf, als wäre es ihre Hochzeit, die es zu planen galt. Mich bemerkte sie dabei nicht. Sie war zu sehr damit beschäftigt auch das letzte Detail auszuführen.

Meggi war Designerin und damit war Mode auch das einzige, von dem sie Ahnung hatte. Amüsant wurde es immer dann, wenn sie ein Thema nicht verstand und daraufhin einen Schmollmund zog, um darüber hinwegzutäuschen. Auch dies ist ein Punkt der es mir mittlerweile erleichterte über ihr perfektes Erscheinungsbild hinwegzusehen und sie nicht vor den nächstbesten Laster zu schupsen. Langsam drehte sich Meggi nun in Richtung Terrasse und wurde meiner Person gewahr. Ich lehnte am Türrahmen und blickte sie gelassen an.

„Oh, guten Abend, Eri. Wie geht es dir denn? Ich habe dich ja gar nicht gesehen!“

Blöde Ziege dachte ich, antwortete aber schlicht mit einem:

„Hallo Meggi.“

Dann wandte ich mich sofort zu meiner Schwester:

„Ich werde jetzt langsam das Büffet decken. Jeff kommt sicher gleich mit seinen Eltern vom Bahnhof zurück.

Ich nahm eine große Schüssel mit Nudelsalat von der Anrichte in der Küche und trug sie durch die Terrassentür nach draußen. Im Hintergrund hörte ich leise Meggi zu meiner Schwester sagen:

„Ich könnte schwören, sie ist schon wieder ein Stück gewachsen.“

Meine Schwester lachte leise und ich biss mir nun wieder verstimmt auf die Zunge.

Man muss dazu sagen, so groß war ich nun auch wieder nicht. Wenn auch schwer zu übersehen, mit meinen 1,75 m. Allerdings hatte ich eine ausgeprägte Schwäche für Stiefel und High-Heels, sodass ich mit denen dann doch über 1,80 m maß. Aber schließlich kann ich ja auch nichts dafür, wenn der Rest der Weltbevölkerung nur aus Zwergen bestand. Meggi maß gerade einmal 1,63m, Dana war nur unerheblich größer. Zudem war sie zart und zerbrechlich wie eine Blume, mit sanften braunen Augen, einer Stupsnase und braunen, glatten Haaren, die ihr bis auf die Hüften fielen. Doch dabei war sie auch so unglaublich stark. Und da heute ihr fast-schönster Tag in Leben werden sollte, beschloss ich einmal mehr Meggi, mehr oder minder murrend, zu ertragen.

 

2. Kapitel

2

Eine gute Stunde später war der Garten mit Gästen gefüllt. Es handelte sich dabei Freunde, Kollegen, Nachbarn und Bekannte von Jeff und Dana. Einfach jeder war gekommen, um dem Paar Glück zu wünschen. Manche von ihnen hatte ich noch nie vorher gesehen. So zum Beispiel Jeffs Eltern. Jeff selbst stammt ursprünglich aus Phoenix, Arizona und war knapp zwei Jahren als neuer Filialleiter nach Livingston versetzt worden. Seine Eltern waren ein freundliches und gutmütiges Ehepaar Ende fünfzig, deren gebräunte Gesichter von unzähligen Lachfalten durchzogen waren. Ich selbst hatte meine Großeltern nie kennen gelernt und war deshalb von ihrer Lebensfreude, die sie ausstrahlten, ganz überwältigt. Ich dachte immer, ältere Menschen müssten gesetzt sein, doch man hörte ihre fröhlichen Stimmen durch den ganzen Garten und jeder lachte mit ihnen, als sie aus Jeffs Kindheit erzählten. Meine Schwester, nun sicher an Jeffs Seite, strahlte über das ganze Gesicht. Ich freute mich aufrichtig für sie und so wie Jeffs sie zuweilen ansah, als wäre sie das Schönste was er je gesehen hätte, konnte ich den beiden still nur alles Glück der Welt wünschen.

Neben mir tauchte plötzlich unsere Nachbarin, Mrs. Hank, auf.

„Sage mal, junge Dame, wo ist denn dein Begleiter?“

Das fragte sie mich jedes Mal, wenn wir uns sahen.

„Tut mir leid, Mrs. Hank, aber ich habe heute leider keinen.“

„Aber so ein junges Mädchen muss doch einen Verehrer haben. Ich kann dir gerne meinen Neffen Andrew vorstellen. Er ist auch bei dieser Internetplattform. Schau ihn dir doch mal an.“, schlug sie mir vor.

„Das ist sehr lieb von ihnen, aber ich habe zurzeit kein Interesse. Oh, hören Sie mal!“, versuchte ich schnellstmöglich das Thema zu wechseln.

Es wurde auf Glas geklopft und alle Gespräche verstummten. Ich war mehr als froh über diese Ablenkung und mischte mich wieder unauffällig unter Gäste. Mrs. Hank war eine Seele von Mensch, doch leider wollte sie mich andauernd mit einem ihrer zahlreichen Neffen verkuppeln.

„Werte Gäste“, trällerte Meggi. „Darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten?“

Sie balancierte auf einem Stuhl und zog somit mühelos die ganze Aufmerksamkeit auf ihre zierliche Person, die in einem gewagten Minikleid steckte.

„Ich möchte meiner besten Freundin alles Gute wünschen. Liebe Dana, wir kennen uns jetzt schon so lange und endlich hast du deine große Liebe gefunden. Du wirst eine wunderschöne Braut sein, eine liebevolle Ehefrau und vielleicht schon bald auch Mutter. Auf eure gemeinsame Zukunft!“

Sie machte eine kurze Pause.

„Und als besondere Überraschung habe ich jemanden mitgebracht! Komm her, Landon!“

Sie winkte aufgeregt nach jemanden hinter unserem Rücken. Ich sah wie die Gesichtzüge meiner Schwester kurzzeitig entglitten und drehte mich dann mit den anderen Gästen nach einem großen und ernsten jungen Mann um, der langsam durch die Gäste in Danas Richtung schlenderte. Jetzt stieß Dana einen Freudenschrei aus und fiel dem jungen Mann um den Hals. Ich schaute blöd aus der Wäsche und ein hilfloser Blick zu Jeff sagte mir, dass dieser nicht minder verwirrt war. Wir schauten uns beide ratlos an, bis er mit den Schultern zuckte – na wenn schon – und dann lächelnd seine Hand ausstreckte, um den Fremden zu begrüßen. Meine Schwester sprach die ganze Zeit aufgeregt vor sich hin:

„Oh, Landon. Wir haben uns so lange nicht gesehen. Wie geht es dir? Was für eine schöne Überraschung. Du siehst gut aus. Oh, ich freu mich ja so. Ich muss dir Jeff vorstellen. Jeff? Jeff! Wo …?“

 „Hinter dir, Liebling“, antwortete er und trat neben Dana.

An uns gewandt, meinte Dana nun:

„Ich werde euch wohl besser einmal mit einander bekannt machen. Jeff, das ist Landon Johnson, ein alter Sandkastenfreund von mir. Wir haben früher oft zusammen gespielt.“

Artig schüttelten sich di beiden die Hände.

„Erinnerst du dich noch an meine kleine Schwester, Eri?“, fragte Dana nun an Landon gewandt und zum ersten Mal trafen sich seine und meine Augen. Sie waren stahlgrau und schienen mich durchleuchten zu wollen. Mir stockte kurzzeitig der Atem. War das der kleine, ernste Junge, an den ich mich nun wieder verschwommen erinnerte? Erstaunlich war das erste Wort, das mir nun zu ihm einfiel. Jede andere Frau hätte wohl „umwerfend“ gewählt, denn das war er ohne Zweifel. Doch ich wiedersetzte mich schon immer gerne Trends. Er hatte etwas von einem einsamen Cowboy. Er war großer als ich oder Jeff. Er hatte etwas zu lange braune zerzauste Haare und einen weltmüden Blick in seinen rauchigen Augen.

Doch nun sahen mich diese Augen leicht spöttisch an.

„Ah, ja, Eria. Natürlich kenn ich dich noch. Du bist groß geworden („Ach, was.“, murmelte ich trotzig.) und dazu noch sehr hübsch, so wie deine Schwester.“

Damit wandte er sich wieder Dana zu und endlich aus dem hypnotischen Blick befreit, konnte ich auch wieder durchatmen.

Arroganter Mistkerl, dachte ich und unterdrücke den Drang ihm die Zunge rauszustrecken. Sehr erwachsene Reaktion, schalt ich mich. Er hatte ja recht, Dana war hübsch. Mich selbst hätte ich nie als hübsch bezeichnet. Ich hatte lange Beine und eine schmale Figur. Mein Gesicht war herzförmig, die Augen groß. Dazu eine gerade Nase und hohe Wangenknochen. Nur mein Mund war eine Spur zu breit und eigenwillig, als das mein Gesicht hätte harmonisch wirken können.

Die Erwachsenen, wie sie sich gerne nannten, wandten sich wieder ihren Gesprächen zu und ich trollte mich unauffällig. Am Gartenzaun fand ich Moé, unsere Katze, und nahm sie hoch. Ich setzte mich auf meine alte Schaukel und sah dem bunten Treiben zu, während ich abwesend Moé kraulte. In meinen Gedanken versuchte ich erfolglos das Bild vom heutigen Landon Jackson über die Erinnerungen an ein Kind und später schlaksigen Jugendlichen zu legen. Ich war unfreiwillig fasziniert von ihm. Ein oder zweimal meinte ich seinen Blick auf mir zu spüren, doch immer wenn ich zu ihm sah, war er in ein Gespräch vertieft. Manchmal betrachtete ich dann kurz sein Profil. Mir fiel schnell auf, dass sich Meggi oft nah bei ihm aufhielt. Auf sie wirkten gutaussehende Männer wie das Licht auf Motten. Aber so konnte sie zumindest nicht Dana in Beschlag nehmen. Ihr seht, ich kann durchaus auch großzügig sein.

                Dana tanzte nämlich glücklich mit Jeff in der Mitte des Gartens und viele Gäste schauten ihnen wohlwollend dabei zu. 

Gegen Mitternacht verabschiedeten sich die letzten Gäste, während ich immer noch auf meiner Schaukel saß. Moé schlief friedlich auf meinem Schoß, weshalb ich nicht aufstehen wollte. Ihre Wärme war tröstend, denn zum ersten Mal hatte ich in den vergangenen Stunden dieses Abends registriert, was für Veränderungen Danas Hochzeit für uns, für mich, mit sich bringen wird. Ich fühlte mich auf einmal sehr einsam und drückte Moé fest an mich, die protestierend mauzte. Es waren immer wir beide, Dana und ich, gegen den Rest der Welt gewesen und jetzt sollte das bald ein ende haben.

 „Bist du immer so allein und ruhig? Das ist ungewöhnlich für jemanden in deinem Alter.“

Ich schreckte aus meinen Gedanken auf, überrascht von der tiefen Stimme und sah nun Landon vor mir stehen, der lautlos an mich herangetreten war. Er hatte wieder diesen leicht spöttischen Ausdruck in den Augen.

„Oh, du bist also Meggi entkommen.“, stellte ich fest. Ich hatte nicht vor auf seine Frage einzugehen. Aber er lachte nur leise und setzte sich neben mich auf die zweite Schaukel, streckte die Beine aus und legte seinen Kopf in den Nacken, wie um die Sterne zu betrachten.

„Ja, irgendwie habe ich es geschafft. Eine grässliche Person, schon immer und heute noch schlimmer als damals in der Schule.“

Ich schaute ihn überrascht an. Sollte er etwa ein Verbündeter im Geiste sein? Wie zur Bestätigung schallte ihr glockenhelles Lachen durch den Garten und wir verzogen synchron das Gesicht. Er lachte auf.

„Du magst sie also auch nicht. Das hast du eigentlich noch nie, stimmt’s? Ich kann mich an sowas erinnern. Nur musstest du sie länger ertragen als ich.“, fuhr er nachdenklich fort.

„Sie sieht zwar gut aus, aber ich bin wegen Dana hier. Bevor du fragst, ich wollte ihr Glück wünschen. Ich war damals nicht für sie da, konnte ihr nicht beistehen und dabei war ich ihr bester Freund.“

Seien Stimme klang traurig und ich hatte auf einmal einen meiner seltenen Geistesblitze. Dieser Blick, diese Wehmut in der Stimme.

„Sie sind in Dana verliebt! Sie lieben meine Schwester!“, platze ich heraus.

„Ja, nein, ja. Ich war damals in sie verliebt. Doch ich war nicht für sie da, ich habe meine Chance verpasst. Heute ist sie meine beste Freundin und ich werde mich immer um sie sorgen. Ach, und bitte sag doch Landon zu mir. Du warst schon immer ein ungewöhnlich aufmerksamer Mensch für dein Alter.“

Er lächelte mich an.

„Tu nicht so altklug, so viel älter bist du auch nicht.“, fuhr ich ihn an und fragte dann sanfter „Willst du es ihr nicht sagen?“

Denn ich war überzeugt, dass er trotz der gegenteiligen Behauptung etwas für sie empfand.

„Nein, sie hat ihr Glück gefunden. Das ist alles was für mich zählt. Sollte ihr Jeff allerdings jemals wehtun, muss ich ihn wohl oder übel umbringen.“

Er bleckte spielerisch die Zähne, dann lachte er.

„Tut mir leid.“, entfuhr es mir.

„Was?“

„Das mit dir und Dana.“

„Das muss es nicht. Halb so schlimm. Ich bin froh, wenn sie glücklich ist. So. Und jetzt werde ich Meggi endgültig entfliehen.“

Er stand auf und lächelte mich an.

„Gute Nacht, Eria. Eine Orchidee sollte um diese Zeit schon längst schlafen.“

Ich war durch sein Lächeln und die Sanftheit seiner stimmt plötzlich verwirrt.

Bevor ich noch etwas sagen konnte, drehte er sich um und ging langsam Richtung Terrasse. Ich sah ihm nach und murmelte ein „Gute Nacht.“. Seltsamer Mann, dachte ich mir.

Gerade als ich auch aufstehen wollte, hörte ich ein schrilles:

„Landooooon, du willst doch wohl noch nicht gehen, oder?“

War er Meggi also doch nicht entkommen, stellte ich schmunzelnd fest. Ich lächelte verschmitzt in mich hinein und ging durch den Garten, während ich mir vornahm mich nie wieder durch Landon verwirren zu lassen. Er spuckte noch die ganze Nacht in meinem Kopf herum.

 

3. Kapitel

3

Crow, die Krähe. Das war der Name, den sie sich selbst gegeben hatte. Vor langer Zeit schon, geschlechtslos und unheilverkündend.

Hier saß sie nun alleine im Dunkel und nur die Laterne vor dem Haus erhellte ihr Gesicht. Sie schaute auf ein Foto, das zwischen vielen anderen auf der Kommode stand. Crow sah das strahlende Lächeln. Das Objekt ihrer Begierde. Wut stieg in ihr auf. Sie grub ihre Fingernägel so tief in die Handflächen, dass sie schon bald Feuchtigkeit zwischen ihren Fingern spürte. Der Schmerz beruhigte sie ein wenig.

Und doch:

Sie hasste diese Person auf dem Bild. Dieses Biest. Bald würde Crow sie töten. Sie hätte schon damals sterben sollen, zusammen mit ihren Eltern. Ja, die Zeit der Rache würde schon bald kommen und dann würde sie für all die Schmähungen leiden müssen. Es sollte die Rache dafür sein, einst von ihr verspottet und an der Nase rumgeführt worden zu sein.

Ja, meine Süße, dachte sie, du bist nicht so gut wie alle denken.

Zehn Jahre hatte sie nun schon auf ihre Chance gewartet. Eine lange Zeit. Sie war überzeugt davon, dass nur ihre eiserne Willenskraft sie hat durchhalten lassen. Sie hatte das Gefühl des Hasses lange in sich genährt und gestärkt. Doch zuerst wird sie ihr das Herz brechen. Ihr kleines liebes Herz soll in tausend Stücke zerspringen. Bei dem Gedanken daran lacht die Krähe laut auf. Sie nimmt das Bild in die Hand und betrachtetes liebevoll. Studiert jedes Detail ihres Gesichtes.

Auf einmal werden ihre Augen hart, sie steht langsam auf, dass Bild immer noch in den Händen haltend. Dann mit aller Kraft warf sie es gegen die Wand. Sie betrachtet die Scherben. Genauso wirst du auch zerbrechen, freut sie sich.

Kaum ein anderer Mensch hätte seine Rache so lange in sich verschließen können. Nein, sie war kein gewöhnlicher Mensch, sie war die Krähe.

4. Kapitel

4

Szenenwechsel: Etwas sechs Monate später, Frühlingsanfang, in einem todschicken Wohnzimmer in einem lächerlich großen Haus.

Ohje, Eria Liane, wie bist du nur hier hineingeraten, fragte ich mich selbst wohl zum tausendsten Mal, seit ich diesen Raum betreten hatte.

Denn an diesem bedeutungsvollen Morgen saß ich im Wohnzimmer eines Mannes, den ich kaum kannte und starrte mit verschränkten Armen mein Gegenüber an, das sich in einem großen Sessel lümmelte.

Er starrte allerdings mindestens genauso misstrauisch zurück. Wären wir zwei Hunde gewesen, hätten wir uns wohl drohend umkreist. Doch da wir zivilisierte Menschen waren – was ich schon so manches Mal bedauert habe – starrten wir uns nur nieder. Es war letztlich ein beeindruckendes Unentschieden.

Ich bemerkte auf einem Tischchen neben der weichen Ledercouch ein gerahmtes Bild von der Hochzeit meiner Schwester. Als ich es aus den Augenwinkeln betrachtete, erinnerte ich mich an jenen schicksalshaften Tag, der mich in diese absurde Situation bringen sollte. Bitte entschuldigen Sie, dass ich meine Erzählung an dieser Stelle so dramatisiere, aber ich sehe keine andere Möglichkeit Ihnen mein Leid sonst darzulegen:

Vor einiger Zeit, etwa Mitte Dezember, fand endlich die Hochzeit von Dana und Jeff statt. Es war ein wunderschöner Tag gewesen, alles war mit einer Schicht frischen Schnees überzogen. Die Szenerie sah im funkelnden Sonnenlicht aus, als wäre sie direkt einem Wintermärchen entsprungen.

Dana selbst sah aus wie eine Märchenprinzessin, denn sie war eine umwerfende Braut. Ihr Kleid war einfach gehalten, ein schlichter Schnitt, ein etwas ausgestellter Rock. Doch eben dieser Rock war über und über mit glitzernden Schneeflocken bestickt, die bei jedem Schritt leide zu klingen schienen.

Als die weiße Kutsche, von einem Schimmel gezogen., vor der Kirche vorfuhr, verstummten augenblicklich alle Gäste und hielten den Atem an, als Dana ausstieg. Jeff stand währenddessen vorne am Altar und putzte nervös seine Brille. Nachdem alle auf den Bänken Platz genommen hatten und die ersten Töne des Hochzeitsmarsches erklangen, betrat Dana die Kirche. Jeff erstarrte vor Bewunderung. Brautführer war Bill, ein alter Freund unseres Vaters, der gerührt gewesen war, als ihm diese Rolle angeboten wurde. Als er schließlich Dana mit einem Handkuss an Jeff übergab, hatte selbst der letzte Gast Tränen in den Augen.

Die Zeremonie war perfekt, schlicht und schön wie Dana selbst und als die Ringe getauscht wurden, nahm ich aus dem Augenwinkel zum ersten Mal an diesem Tag ganz hinten in der Kirche Landons Gestalt wahr. Ich drehte mich kurz zu ihm um, konnte aber nur seine unbewegte Miene erkennen. Sie zeigte seinen Schmerz allerdings mehr, als jede Gefühlsregung es hätte tun können. Sein Blick brannte sich in meinen.

Ich wandte mich wieder nach vorne um. Ich hoffte später auf dem Empfang mit ihm sprechen zu können. Der Fototermin vor der Kirche zog sich ewig hin und als sich der Fotograf endlich ausgetobt hatte, war ich so durchgefroren, das bei jedem Lächeln meine Zähne aufeinanderschlugen. Wir waren froh endlich ins Warme zu kommen, denn in der Zwischenzeit hatte es begonnen zu schneien, was zwar für die Fotos super war, aber doch entschieden an den Nerven zerrte, wenn wieder eine Flocke im Nacken schmolz.

Der Empfang und die anschließende Feier fanden in einem großen beheizten Pavillon in unserem Garten statt, da Dana unbedingt wert auf eine familiäre Umgebung legte. Ich wusste zwar nicht genau warum, doch erschien mir Dana manchmal ein wenig wehmütig. Bald sollte ich wissen warum.

Der erste Tanz der Frischvermählten eröffnete das Fest, es folgten die ersten Glückwünsche sowie Trinksprüche. Dann kam der Moment, der alles verändern sollte, als Jeff sich erhob und an sein Glas klopfte.

„Meine lieben Freunde“, begann er, „Vielen Dank für eure Glückwünsche und dafür, dass ihr diesen Tag mit uns feiert. Ich möchte nun etwas verkünden. Ich freue mich euch mitteilen zu können, dass ich einen neuen Job als Filialleiter in Phoenix angeboten bekommen habe. Ich habe auch schon zugesagt. Meine wundervolle Frau und ich werden euch bald verlassen!“

Ich stand wie versteinert da und hörte außer dem Rauschen in meinen Ohren nichts mehr, von dem was Jeff weiter sagte. Phoenix? Mir fiel das Glas aus der Hand und ich sah hilflos zu meiner Schwester, während die ersten Gäste lauthals ihre Glückwünsche kundtaten. Doch sie schaute betreten zu Boden.

Als sich unsere Blicke endlich trafen, sah sie mich verzagt an und hob entschuldigend die Hände. Endlich fiel die Starre von meinem Körper ab, sodass ich meiner Schwester mechanisch den Rücken zudrehte und mich meine Beine selbstständig - erst langsam, dann immer schneller, bis ich fast rannte – aus dem Pavillon trugen. Meine Gedanken überschlugen sich. Ich wollte nicht nach Phoenix ziehen, fort aus meiner Heimat und das Haus meiner Eltern. Wir haben hier so lange Freud und Leid erlebt und ertragen und nun sollte das vorbei sein?

Ich spürte Tränen aufsteigen und halb blind lief ich ins Haus.

Dabei stieß ich unerwartet mit jemanden zusammen und hätte fast das Gleichgewicht verloren, wenn mich nicht kräftige Hände, wenn auch recht unsanft, an den Handgelenken gepackt und wieder hochgezogen hätten. Als ich hochsah, erkannte ich Landon. Seine Miene war versteinert und er schien mich gar nicht richtig wahrzunehmen, denn er blickte stur gerade aus.

Ich riss mich fast von ihm los und stürmte an ihm vorbei. Noch immer waren seine Augen blicklos. Endlich in meinem Zimmer ließ ich mich auf das Bett fallen und vergrub mein Gesicht in den Kissen. Ich wollte nicht mehr nachdenken und doch drehten sich meine Gedanken im Kreis, ohne einen Ausweg aus meinem Dilemma zu finden. Ich verstand Dana und wusste doch, dass Jeff die treibende Kraft hinter diesem Entschluss gewesen sein muss.

So lag ich die ganze Nacht wach, während die Stimmen im Garten allmählich leider und weniger wurden, bis sie gänzlich verstummten. Ich war mir ziemlich sicher, dass Dana mehrmals nach mir sehen kam, doch jedes Mal stellte ich mich schlafend. Ich hatte zwar ein schlechtes Gewissen, ihr an diesem Tag Sorgen zu machen, trotzdem war ich zu stur und verletzt um gute Miene zu diesem bösen Spiel zu machen. Ich hatte mich daher schnell dazu entschieden, nicht mehr nach unten zur Feier zu gehen.

Am nächsten Morgen fühlte ich mich völlig zerschlagen, obwohl ich ehrlich überrascht war, überhaupt eingeschlafen zu sein. Kurzzeitig verwirrt, warum ich mich so schlecht fühlte, kam die Erinnerung doch sehr schnell zurück.

Ich stand auf und zog mich achtlos an, schon wieder in Gedanken und das unvermeidliche Gespräch mit Dana übend, sodass ich mehrere Anläufe brauchte bis ich meine Socken endlich richtig angezogen hatte. Dann setzte ich mich wieder auf mein Bett, den Kopf in die Hände gestützt. Was sollte ich nur sagen?  Ich verließ schließlich doch noch mein Zimmer, jeweils eine Socke an einem Fuß, sogar in der gleichen Farbe und lief langsam die Treppe hinunter. Ich war mir sicher, dass Dana schon auf mich warten würde. Also atmete ich am Fuß der Treppe angekommen noch einmal tief durch und trat dann durch die Tür ins das sonnengeflutete Wohnzimmer.

Und wirklich, Dana wartete schon auf mich, dass Gesicht mit geschlossenen Augen der Sonne zugewandt, sodass ich ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen konnte. Sie saß am Frühstückstresen und hatte die Hände eng um eine Tasse gelegt. Als sie mich hörte, öffnete sie die Augen und wandte sich mir zu. Mir fiel auf, dass sie ungewöhnlich blass war.

 „Wo ist Jeff?“, fragte ich.

„Er ist mit seinen Eltern in der Mall.“

Ich setzte mich ihr gegenüber, griff nach einem toast und knabberte lustlos daran herum, denn Hunger hatte ich nun wirklich keinen.

„Ich …“, begann Dana, es tut mir leid, ich weiß, ich hätte es dir schon früher sagen sollen.“

„Und warum hast du es dann nicht getan?“, schnappte ich zurück, besann mich dann aber doch noch auf meine guten Manieren.

„Wie dem auch sei, herzlichen Glückwunsch erst einmal. Das ist für Jeff, für euch, eine große Chance. Ich  meine, Phoenix ist eine schöne Stadt …“

Ich hörte selbst wie flach meine Stimme klang. Dana hörte es mit Sicherheit auch und fuhr daher mit noch ruhigerer Stimme fort.

„Ich habe darüber, also die ganze Situation, noch einmal mit Jeff gesprochen. Es ist nicht fair, dich von hier fortzunehmen. Nicht in deinem letzten Schuljahr. Darüber sind wir uns einig. Wir haben dort zwar schon ein schönes Haus gefunden, aber …“

 „Oh, ein Haus gibt es also auch schon.“, unterbrach ich sie heftig. Ich versuchte durchzuatmen und ihr ruhig zuzuhören, als sie besorgt ihre Augenbrauen zusammenzog.

„Eria, bitte, lass mich erklären. Es ist nicht ganz so, wie du denkst. Wir werden natürlich das Haus hier behalten. Ich habe es dir schon längst vor der Hochzeit als Alleineigentümerin überschrieben. Doch zu bist erst achtzehn, ich möchte dich noch nicht allein hier wohnen lassen, zumindest nicht bis zu deinem Schulabschluss. Zudem wird dir dein Erbanteil erst an deinem einundzwanzigsten Geburtstag ausgezahlt, sodass weiterhin ich für dich aufkomme. Somit haben wir ein Problem zu lösen.“

Sie legte die Fingerspitzen aneinander und sah mich an.

„Ach, was.“, schnaubte ich sarkastisch. „Ich bin volljährig, du hast nicht das Recht, mir zu verbieten hier allein zu leben.“

Ich schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.

Das war nicht unbedingt eine erwachsene Reaktion, doch hatte ich auch nie eine Trotzphase gehabt, sodass mein verhalten dem jetzt doch sehr nahe kam. Ich habe mich, solange ich denken kann, nie wirklich mit meiner Schwester gestritten. Und nun starrten wir uns böse bzw. besorgt an. Auf einmal brachte mich der Gedanke an meine eigene trotzige Miene zum Lächeln und auch Dana entspannte sich etwas.

„Eria, hör mir zu, ich habe mir schon gedacht, dass du so etwas sagen wirst. Deshalb haben wir uns zwei Möglichkeiten für dich überlegt, da du sehr deutlich gezeigt hast, dass du nicht vorhast mit uns mitzugehen.“

Ich setzte mich ein wenig aufrechter hin und schaute sie misstrauisch an. Das ging mir jetzt doch ein bisschen zu einfach. Wo war der Harken?

„Die erste Möglichkeit wäre, dass Meggi zu dir hier ins Haus zieht.“

Das war also der harken. Ich schrie förmlich auf.

„Nein, NIEMALS!. Nur über meine Leiche. Lieber würde ich mir Bambusspäne unter die Nägel reiben lassen. Nein, warte, LIEBER“, ich betonte diese Wort, „würde ich bei lebendigen Leibe verbrennen.“, antworte ich entsetzt. Ich versuchte all meine Abscheu gegen diese Idee zum Ausdruck zu bringen.

Dana seufzte theatralisch auf.

„Übertreibe doch bitte nicht immer so maßlos. Meggi hat sich dazu bereit erklärt. Sie schien sich ehrlich zu freuen, uns helfen zu können.“

„Pah!“

 „Aber ich merkte schon,“, fuhr Dana rasch fort, „dass du gegen diese Variante einen leichten Unwillen hegst. Damit bleibt nur noch Möglichkeit Nummer zwei.“

Sie holte tief Luft und verzog das Gesicht zu einer verständnisheischenden Miene.

 „Die zweite Möglichkeit ist, dass du zwar bis zu deinem Schulabschluss nicht hier im Haus wohnen wirst, allerdings in Livingston bleiben kannst.“

Ich hob schon wieder dazu an ihr zu wiedersprechen, doch sie hob die Hand und fuhr fort.

„Wenn du dich dazu bereit erklärst bei Landon zu wohnen.“, schloss sie ihre Ausführung.

Okay. Jetzt war ich verblüfft. Richtig verblüfft. Und sprachlos. Dieser Zustand hält allerdings nie besonders lange an. Meine Gedanken überschlugen sich. Ich kannte diesen Mann doch kaum und sollte bei ihm wohnen? Das kam mir doch reichlich merkwürdig vor. Meine Sprache noch nicht wiedererlangt, würgte ich ein paar ungläubige Laute hervor.

 „Ich weiß, du bist überrascht.“, meinte Dana kleinlaut.

Das war noch milde ausgedrückt. Entsetzt traf es eher.

„Aber er ist ein alter Freund von mir. Als er gestern sah wie unglücklich wir beide mit dem Lauf der Dinge waren, bot er sich sofort freiwillig an. Er meinte, es sei sein Hochzeitsgeschenk an mich. Das ist doch nett, oder?“

Sie strahlte wie ein Honigkuchenpferd über diese selbstlose Geste eines alten Freundes.

Das ist ein Witz, sagte ich mir. Und selbstlos war das sicher auch nicht. Es konnte sich also nur um einen Witz handeln.

Um das Ende vorweg zu nehmen: Es war kein Witz.

Wir stritten noch lange über diese Möglichkeit. Ich hatte wie erwartet meine Sprache doch recht schnell wiedergefunden, reiner Selbstschutz. Denn ich wollte hier alleine leben und zur Schule gehen, doch alles vergeben Liebesmüh. Meine Schwester blieb erstaunlich hart und setzte sich letztes rigoros durch. Ich hatte sie noch nie so unnachgiebig erlebt. Entweder eine der beiden Möglichkeiten oder keine. Kein Kompromiss, denn ohne Geld, könne ich eh nicht allein leben. Das war dann das ausschlaggebende Argument. Ich ergab mich nach Stunden zähen Verhandelns und unterlag dem Willen meiner Schwester.

So hatte ich letztlich die Wahl zwischen der Pest mit roten Locken oder, nun ja, nicht unbedingt Cholera, aber zumindest Heuschnupfen; auch sehr unangenehm aber nicht tödlich. Ich wollte Landon nicht auf eine Stufe mit Meggi stellen.

Also entschied ich mich für das Saisonleiden anstatt eines langsamen und schmerzhaften Todes.

Ja, manchmal neige ich wirklich dazu zu dramatisieren.

5. Kapitel

 

So kam es nun, dass ich in diesem schicken Wohnzimmer saß. Mit einem Mann der mich verwirrte und von dem ich nur wenig wusste. Ich wusste nur mit Bestimmtheit, dass er noch immer Gefühle für Dana haben musste. Denn sonst viel mir kein einziger vernünftiger Grund ein, einen Teenager wie mich überhaupt bei sich aufzunehmen. Gute Freunde hin oder her, dafür war schon ein reichliches Maß an Ergebenheit nötig.

Er machte auf mich nun auch nicht gerade den Eindruck, als wäre er allzu begeistert darüber, mich hier zu haben. Wie ich darauf kam? Wir starrten uns noch immer ohne auch nur ein Wort zu sagen an. Ich saß stocksteif auf dem Sofa, während er eine Zigarette nach der anderen rauchte.

Ab und zu machte er ein Geräusch, als wolle er etwas sagen wollen, zog dann doch lieber wieder an seinem Sargnagel. Er seufzte laut und endlich setzte er sich auf.

„Äh, okay, soll ich dir erstmal dein Zimmer zeigen?“, fragte er freundlich.

Das kam unerwartet. Also zuckte ich mit den Schultern.

„Ja, gerne.“, antworte ich dann höflich. Schließlich musste ich ja irgendwo schlafen.

Ich rappelte mich reichlich unelegant auf. Das Sofa war zwar bequem, doch einmal darin gefangen, gaben sie einen nur widerwillig wieder frei. Landon sagte zum Glück nichts und ich tappste ihm hinterher die Treppe hoch.

„Also hier ist dein Zimmer, mit einem eigenen kleinen Badezimmer. Am Ende des Flures ist ein großes Bad mit allen Schikanen. Und dir gegenüber ist mein Schlafzimmer.“

Er stieß die Tür zu meinem neuen Zimmer auf. Der helle Holzfußboden war frisch abgeschliffen worden und wurde vom Sonnenlicht geflutet, das durch vier große,  bodenlange Fenster hereinfiel. Das Himmelbett war vielleicht ein bisschen zu mädchenhaft, aber zu meiner Erleichterung gab es nirgendwo Rüschen oder ähnliches Dekor. Meine Kisten standen schon an der Wand. Ja hier, mit dem Blick gen Süden in den Garten und über die Wälder konnte ich gut die nächsten Monate leben. Das wollte ich ihm allerdings auf keinen Fall sagen, bis …

„Oh, wie schön.“, entfuhr es mir, als ich eine antike Aussteuertruhe unter der Fensterbank entdeckte. Ich lief durch das Zimmer und ließ mich davor auf die Knie fallen. So viel zu meiner Cooler-Teenager-Masche. Mit erstaunter Miene fuhr ich die Schnitzereien und Reliefs nach. Dann erinnerte ich mich wieder an Landons Anwesenheit und drehte mich verlegen um. Doch er ihn schien mein Enthusiasmus zu amüsieren, denn seine Augen blitzen und ein Lächeln spielte um seine Mundwinkel.

„Du hast sicher viel auszupacken. Ich lass dich jetzt besser allein. Wenn du fragen hast, ich bin unten.“

Damit schloss er die Tür hinter sich und ließ mich in meinem neuen Reich ankommen. Mir sollte es recht sein. Ein wenig Aufschub vor dem Gespräch, indem wir uns ernsthaft über die kommenden Wochen und Monate unterhalten würden, war sicher nicht verkehrt. Auf einmal kamen mir seine sehnsüchtigen Worte von der Verlobungsfeier und sein brennender Blick am Hochzeitstag wieder in den Sinn. Was bedeutete dieser Blick nur? In meinem Bauch zog es kurz. Ich verdrängte jedoch beides wieder sehr schnell. Ich gab mir in Gedanken eine Ohrfeige und zwang mich, mich dran zu erinnern, dass meine Anwesenheit hier lediglich einen Minimalkompromiss darstellte. Nicht mehr und nicht weniger. Beim nächsten Gedanken, nämlich an das gemeinsame Abendessen, das später folgen würde, wurde mir mulmig zu Mute. Worüber sollte ich bloß mit ihm sprechen?

Das war auch so eine Sache. Gemeinsame Mahlzeiten, darauf hatte im ersten Sondierungsgespräch, nachdem ich dem ganzen hier zugestimmt hatte, bestanden.

„Erstens. Ich bin zwar nichtdein Vormund, aber ich möchte trotzdem wissen, mit wem du dich triffst, wie es dir geht oder was in der Schule passiert. Und zweitens“, sagte er mit einem wölfischen Grinsen, „werden wir immer zusammen frühstücken und zu Abend essen. Immer!“

Ich hatte mich dem murrend und unter dem warnenden Blick meiner Schwester gefügt, obwohl ich nicht wusste, was er damit bezwecken wollte und gerade so auf diesen Punkt bestand. Das zu ergründen verschob ich mal wieder  auf einen späteren Zeitpunkt.

Also bezog ich mein Zimmer. Viele Sachen hatte ich nicht dabei, dass meiste war noch zu Hause geblieben. Kurz nachdem ich meine Sockenschublade eingeräumt hatte, klingelte mein Handy, was mich ehrlich überraschte.

Moment mal, ein Teenager der überrascht ist, dass sein Handy klingelt? Jep, das gibt es. Ich bin zwar ein Teenager, so gerade noch, doch ich hatte kaum Freunde, die mich anrufen würden. Woran das lag, kann ich leicht erklären:

6. Kapitel

6

Ich passte einfach in keine Gruppe rein. Zudem haben sich viele meiner Freunde aus der Kindheit nach dem Unfalltod meiner Eltern von mir distanziert. Für Kinder ist es wohl eine ganz natürliche Reaktion sich von jemanden zu entfernen, dessen Trauer sie nicht verstanden. Als ich irgendwann von einem staksigen Trauerkloß zu einer jungen Frau heranreifte, wie man so schön sagt, die ganz hübsch wurde, hätte sich das ändern können. Doch – sehr zum Leidwesen meiner eh schon gebeutelten Schwester – zeigte ich keinerlei Interesse an Mädchenzeug im Allgemeinen und Jungs im Besonderen.

Für mich waren oft meine Bücher meine Freunde, denn sie hatten mir mehr zu geben oder zu erzählen als jeder Gleichaltrige. Mein mangelndes Interesse für Mode zeigte sich an meinen lässigen bis eleganten, schwarzen Klamotten. Meine ganz eigene Interpretation eines Mauerblümchens. Ich bin auch kein Gruftie. Ich mag es halt rockig und schick.

Wenn man nun als weiblicher Teenager nicht auf pinke Tops, Boybands und Cheerleader-Training steht, wirkt man mitunter auf andere Wesen der gleichen Gattung verstörend. Dabei mochte ich Pink als Farbe ganz gerne, aber nur in Verbindung mit schwarz. Viel schwarz, als Ausgleich sozusagen. Obwohl ich durchaus weibliche Züge an mir habe, wie meine Sucht nach schwarzen Stiefeln. Die sind meist so hoch, dass sie meine Gesamterscheinung retten und einen Look kreieren. Rede ich mir zumindest ein. Hilft, wirklich. Das macht mich aber auch nicht unbedingt beliebter. Über meine mangelnde Popularität war ich nicht besonders traurig.  Die Phase in der mich eine Ausgrenzung verletzt hätte, ist schon lange vorbei.

Wo war ich stehengeblieben? Ach ja. Ein wunderbares Beispiel für Popularität ist unsere Schulprinzessin Mandy Smith. Ähnlich nervig und allgegenwärtig wie Meggi, nur erheblich dümmer. Sie hatte sogar ein eigenes königliches Gefolge. Diese Mädchen jedoch konnten mir zum glück nichts anhaben, denn sehr zu ihrem Verdruss war ich nicht nur größer als sie, sondern auch noch dünner. Und mehr Hirn und Busen hatte ich sowieso. Ich hatte ein ruhiges Leben, denn sie wussten ganz genau, dass ich das Potenzial hatte ihnen den Rang abzulaufen, wenn ich es darauf angelegt hätte. Und sie wussten, dass ich es wusste, dass sie es wussten.  Ich mochte diesen Status Quo.

Ich habe nur eine sehr gute Freundin, Vanessa, doch die war leider in Europa im Rahmen eines einjährigen Schüleraustauschprogrammes. Ich vermisste sie heftig.

So saß ich mittlerweile meist allein an meinem Tisch in der Cafeteria und mimte wohl ungewollt die Geheimnisvolle. Dabei wollte ich wirklich nur meine Ruhe haben.

Bei der männlichen Schülerschaft war ich nicht besonders beliebt, für viel war ich zu groß, für andere zu klug und die Streber hatten auch Angst vor mir.

Wenn sich doch mal ein männlicher Mitschüler, ich nenne sie hier Jungs, zu mir verirrte und sich lässig gegen meinen Tisch lehnte, reichte meist ein frostiger Blick und ein grausames Lächeln, damit die betreffende Person mit Frostbeulen am Allerwertesten unverrichteter Dinge von dannen zog. Ich konnte sehr ungehalten werden, wenn man mich bei meiner Lektüre störte.

Manche waren mutiger. Ein cooler Spruch von Ihnen, eine böse Antwort von mir, gefolgt von plötzlicher Sprachlosigkeit. Sache erledigt.

Allerdings war ein Junge, Thomas, hartnäckiger gewesen als alle anderen. Er hielt meine Abwehrmechanismen scheinbar problemlos aus. Doch irgendwann wurde es beunruhigend wie er mich immer mit diesem intensiven Blick verfolgte, als würde ich ihm allein gehören. Er fing mich nach dem Unterricht ab und begleitete mich zur nächsten Stunde oder zum Schultor. Er ließ mir auch keinen Raum für Kontakt zu meinen wenigen Freunden. Vanessa war er richtiggehend unheimlich und warnte mich vor ihm. Ich wusste bald nicht mehr, was ich tun sollte, also ließ ich mich oft von Dana zur Schule bringen und machte Umwege durch die zahlreichen Gänge und Treppenhäuser unserer Schule, um ihm aus dem Weg zu gehen. Allerdings fing er mich eines Tages auf einem meiner Umgehungsversuche ab und drückte mich gegen eine Wand. Er versuchte mich zu küssen, doch ich rammte ihm mein Knie in den Magen und drohte ihm mit einer Anzeige, sollte er mich nicht endlich in Ruhe lassen. Seitdem mied er mich und schaute mich auch nicht mehr an. Doch wenige Tage nach diesem unseligen Vorfall fand ich ein gerahmtes Foto von mir in meinem Spint. Er muss es heimlich aufgenommen haben. Das glas war zersprungen, die Augen waren ausgebrannt und auf der Rückseite stand in roter Farbe „Schlampe“. Danach kam es jedoch zu keinem neuen Zwischenfall mehr.

Seit einiger Zeit war er nun nicht mehr in die Schule gekommen. Zuerst war ich deswegen beunruhigt, doch mittlerweile war ich wieder entspannt. Allerdings reagierte ich seit dem noch allergischer auf alle Annäherungsversuche meiner Mitschüler.

Um mich nicht falsch zu verstehen, sollte ich betonen, dass ich an sich nichts gegen Männer habe. Nur meine ich damit echte Männer, nicht diese Miniaturausgaben, die uns bisher immer vorgesetzt wurden. Zugemutet wäre wohl die treffendere Wortwahl, doch ich möchte nicht unfair sein, vielleicht verwächst sich das bei den meisten noch.

Aber ich schweife wieder ab.

7. Kapitel

7

„Meine Gedanken sind wie Lemminge, die sich über die klippen meines Geistes stürzen.“, murmelte ich lächeln als mir bewusst wird, dass mein Handy noch immer klingelte und mich aus den Erinnerungen meiner unsäglichen, doch noch andauernden Schulzeit riss.

Ich stürzte zum Bett, kramte mein Handy hervor und nahm das Gespräch an, nur um zum hundertsten Mal an diesem Tag die Stimme meiner lieben Schwester zu vernehmen.

„Eri?. Bist du okay? Warum dauert es so lange, bis du endlich mal an dein Handy gehst?“

„Es ist alles in Ordnung, Dana.“, beruhigte ich meine Schwester.

 „Wie geht’s dir?“, fragte sie mich sofort.

„Gut.“

„Brauchst du etwas?“

„Nein, nichts.“

Ich hörte sie erleichtert aufatmen. Und dank ihrer grenzenlosen Sorge um mich, bemerkte sie nicht einmal den genervten Unterton in meiner Stimme.

„Dann bin ich ja beruhigt. Jeff und ich machen uns ja solche Sorgen um dich.“

 „Ich weiß.“, meine Stimme wurde weicher, „ich melde mich ganz bald bei dir.“

„Ja, okay, ich hab dich lieb, Eri.“, sagte sie und legte dann auf. Die Stille an meinem Ohr war himmlisch, aber ja, ich vermisste meine Schwester schon jetzt furchtbar.

Endlich packte ich meine CDs aus und machte leise Musik an. Im Allgemeinen bevorzuge ich Rock und Alternative, doch heute floss die sanfte Melodie von „Rivers Flow In You“ durch den Raum. Ich hängte meine Lieblingsposter von diversen Bands auf. Dann setzte ich mich auf die Fensterbank, ließ meine Stirn gegen das Glas sinken und lauschte der Musik. Ich sah zu den Bergen hinauf und lies meinen Gedanken wieder freien Lauf.

Das hatte das Zeug dazu, zur Gewohnheit zu werden. Ich schloss langsam die Augen.

8. Kapitel

8

Der Hass in ihrem Inneren war schier unerträglich. Jetzt war sie der Krähe schon wieder entkommen. Im Dunkeln starrt sie sich selbst im Spiegel an, in die eigenen verhassten Augen.

Sie war sich sicher, dass sie diejenige war, der alles hätte zufallen sollen. Ihr Opfer lebte nun mit einem Mann zusammen. Doch das würde sie auch nicht retten, denn ihr konnte niemand entkommen.

Der Hass, die Wut wurden stärker. Sie spürte, dass ein weiterer Schub kommen würde. Sie hebt eine Glasscherbe vom Boden auf. Wann sie das Glas zerschlagen hatte, daran konnte sie sich nicht mehr erinnern. Das Funkeln der kleineren Scherben und Kanten zog sie wie magisch an. Sie hebt die Hand und beobachtet fasziniert wie langsam das Blut von ihren zerschnittenen Fingerknöcheln an ihrer Hand hinab fließt. Sie folgt der Spur des Blutes weiter, als die ersten Tropfen über ihren arm laufen. Tiefrot und unendlich schön.

Die Schnitte waren nicht tief, niemand würde sie unter einem kleinen Pflaster erkennen. Denn es war sehr wichtig für sie nicht aufzufallen, wenn ihr Plan Erfolg haben sollte. All das nur wegen ihr. Diesem Weib.

Die Krähe überkam das Verlangen danach ihr jetzt gleich die Kehle zuzudrücken, bis auch das letzte Lebenslicht in ihren Augen erloschen war.

Nicht jetzt, ruft sie sich ein weiteres Mal zur Besinnung. Das wird noch früh genug geschehen. Wieder sah sie auf ihre zerschnittene Hand, etwas Blut floss noch. Das war gut, sehr gut, denn es würde bald noch viel mehr Blut fließen.

Sie stellte ihr linkes Bein auf einen Stuhl, nahm eine Glasscherbe und setzte sie ab Knie an. Sie hielt die Luft an und zog die Scherbe langsam über die Innenseite ihres Oberschenkels bis zur Scham hinauf. Bluttropfen flossen über ihr Bein. Noch bevor der erste Tropfen auf den Boden auftraf, setzte die Erleichterung ein. Ihre innere Spannung löste und ihr Körper entspannt sich.

Blut, dachte sie und lächelte.

9. Kapitel

9

Ich schreckte aus meinen Gedanken hoch. Mir war als hätte ich einen bösen Traum gehabt ohne wirklich geschlafen zu haben. Doch ein ungutes Gefühl blieb. Ein Rabe krächzte und ich erschrak. Als ich dann auch noch ein Geräusch an der Tür hörte, fuhr ich erschrocken herum.

Es war jedoch nur Moé, die jetzt mit mir zusammen hier wohnen würde. Anscheinend kam sie grad von ihrem Streifzug durch Haus und Garten zurück. Sie blieb kurz an der Tür stehen und schaute mich mit großen Augen an. Ich gab einige ermunternde Laute von mir und schon kam sie zu mir getrabt und begann mir um die Knöchel zu streichen. Madam war heute sehr freundlich gesinnt, normalerweise ignorierte sie sämtliche Bemühungen ihre Aufmerksamkeit zu erlangen.

Ich atmete einmal tief durch, dann nahm ich Moé hoch und kraulte sie hinter den Ohren.

„Süße, es wird Zeit fürs Abendessen. Bereit dich unserem griesgrämigen Mitbewohner zu stellen?“, fragte ich eher mich selbst als Moé.

Moé miaute und sprang von meinem Arm herunter. Schnurstracks lief sie zur Tür und verschwand. Nach einem letzten sorgenvollen Blick in den Spiegel, blieb mir nichts anderes übrig, als ihr zu folgen.

Als ich die Treppe herunterkam und vorsichtig um die Ecke ins Wohnzimmer lugte, saß Landon auf dem Sofa und sah fern. Auf seinem Schoß lag zufrieden schnurrend und flauschig weich meine Verräter-Katze und schmachtete in aus halbgeschlossenen Augen an. Sie knickte die Vorderpfötchen ein, dreht ihren Kopf nach unten und präsentierte ihr weißes Bäuchlein. Eine Aufforderung der Landon gedankenverloren nachkam. Und schon war sie ihm verfallen, wie übrigens jede Frau, die je in den Wirkungsbereich seines Charmes geriet, wie ich schon bald feststellen sollte. Außer mir natürlich, ich war immun.

„Abendessen steht schon auf dem Tisch.“, sagte Landon ohne Aufzusehen.

Ich erwiderte nichts, also machte er den Fernseher aus und dreht sich zu mir um.

„Ich dachte, du hast vielleicht schon Hunger, nachdem du den ganzen Tag Kisten geschleppt hast.“

Fast hätte ich nein gesagt, doch da knurrte mir schon vernehmlich der Magen. Also setzte ich mich an den Esstisch aus dunklem Rauchglas, der an der Fensterfront auf Höhe der Küchenzeile stand und den Raum optisch in zwei Bereiche unterteilte.

Die Küchenzeile war gnadenlos modern eingerichtet, Edelstahl und weiße Wände, doch eine bordeauxrote Zierleiste bildete den Übergang zu den warmen, cremefarbenen Wänden des Wohnbereiches mit zwei tiefroten Ledersofas, die sich gegenüber standen, dazwischen ein kleiner gläserner Couchtisch auf einen cremeweißen Teppich. Alles in allem sehr harmonisch. An der Wand zwischen den Sofas war ein Fernseher angebracht, überall in den Wänden waren Lautsprecher versteckt. Nun zum Abendessen klang aus ihnen ein leises mir unbekanntes Klavierstück.

Landon nahm Moé von seinem Schoß, setzte sie auf den Boden und strich ihr noch einmal sanft über den Kopf, was ihm sofort einen halb schmachtenden, halb beleidigten Blick einbrachte. Von der Katze wohlbemerkt. Man sollte mich nicht fragen woher ich diese Blicke meiner Katze so genau zu deuten wusste. Ich war wohl einfach schon immer verrückt nach Katzen und so ziemlich allen anderen Tieren auch, gewesen.

Ich hatte Moé schon lange genug um zu wissen, dass sie eine Diva mit sehr eigenen Charakter war. Mich hatte sie selbst schon mit diesem Blick bedacht. Sie war acht Wochen alt gewesen, als Dana sie auf ihrem Heimweg von der Bank fand und mitbrachte. Hungrig und zitternd haben wir sie aufgenommen und liebevoll aufgezogen. Wir erfuhren bald, dass sie eine europäische Kurzhaar mit Persereinschlag sei. Zitat Tierarzt. Daher hatte sie ein wenig längere Haare. An sich nichts Besonderes, dafür aber sehr robust und intelligent. Seitdem war sie immer an meiner Seite gewesen.

Landon setzte sich zu mir an den Tisch, während ich den Deckel des ersten Topfes anhob.

„Das riecht aber gut. Selbstgekocht?“, fragte ich, denn mir gefiel die Vorstellung Landon mit Schürze in der Küche stehend zu wissen, wie er konzentriert Gemüse schneidet und andünstet. Ich lächelte Landon verschmitzt an.

„Nein, ich kann nicht besonders gut kochen. Zumindest nichts Essbares. Der Eintopf ist noch von deiner Schwester. Guten Appetit.“, meinte er lakonisch und tat sich eine Kelle auf.

Und schon zerplatzte meine Traumblase mit einem lauten Knall.

Schweigend aßen wir also zu Abend. Dabei beobachtete ich ihn beiläufig. Seine ganze Entscheidung war überraschend angenehm. Das Gesicht war entspannt, seine Bewegungen ruhig und elegant. Ich war erleichtert, denn das bedeutete wohl, dass ihm noch nicht zur Last fiel oder ihn meine Gegenwart besonders störte.

Dabei fiel mir ein, dass ich praktisch immer noch nichts über ihn wusste.

„Äh?“

„Ja?“

„Was machst du eigentlich beruflich?“

Er blickte verblüfft auf und fing dann schallend an zu lachen.

„Stimmt, das weißt du ja nicht. Ich bin freier Journalist und arbeite für verschiedenste Magazine und Zeitungen.“

Ich hob eine Augenbraue, denn das hatte ich nicht erwartet. Was ich erwartet hatte, muss ich fairer weise sagen, wusste ich auch nicht. Ich überlegte angestrengt, doch an seinen Namen unter einem Artikel konnte ich mich nicht erinnern. Mit einem leichten Grinsen fragte ich:

„Aber nicht besonders erfolgreich, oder?“

„Das muss ich auch nicht sein.“, näselte er von oben herab, „Ich bin reich, ich suche mir meine Arbeit selbst aus, denn ich muss ja nicht arbeiten.“

Er löffelte so übertrieben vornehm den Rest seiner Suppe, dann nun ich in schallendes Lachen ausbrach. Der Snob, den die Welt bloß ermüdet, stand ihm sehr gut.

„Und was machst du sonst den ganzen Tag über?“

„Ich schreibe zurzeit an einem Roman.“

Bestimmt ein typisches Erstlingswerk, dachte ich mir. Junger unverstandener Mann verliebt sich in eine nicht zu erreichende schöne Frau und verliert sich in seinem Verdruss darüber, bevorzugt in einer historischen Kulisse.

„Und worum geht es dabei?“

„Es ist der Fortsetzungsroman zu meinem Bestseller „Arktis“., sagte er völlig beiläufig, während er sich ein wenig Brot abbrach.

Mir fiel meine Kinnlade herunter und schaute mich genauer an.

 „Schöne Glubschaugen.“, witzelte er. „Du hast es nicht zufällig gelesen?“

Ich nickte und suchte nach den richtigen Worten. Es war eines meiner Lieblingsbücher aus der letzten zeit. Ich hatte ihn erst vorhin in mein Bücherregal eingeräumt. Es war ein Politthriller, sehr beeindruckend und gut recherchiert.

„Also schreibst du unter dem Pseudonym J.P. Doe? Ich dachte, der Autor sei eine Frau.“

„Ja, das war ein Geniestreich von mir.“ , bemerkte er versonnen. „Du mochtest das Buch?“

 „Ja, sehr.“, gab ich zerknirscht zu.

„Das freut mich zu hören.“

Er lächelte mich an.

„Nun zum ernsten Teil des Abends. Wir müssen einiges besprechen.“

Ich horchte auf und blickte ihn misstrauisch an.

„Zum einen“, begann er, „habe ich eine Haushaltshilfe. Sie kommt immer montags und freitags, da sie der Meinung ist, ich würde am Wochenende mehr dreckig machen. Sie heißt Esma und erwähne in ihrer Gegenwart bitte nie das böse P-Wort.“

Er schien ziemlich vergnügt und formte mit den Lippen lautlos das Wort „Putze“.

„Das mit den Mahlzeiten haben wir schon besprochen. Wenn du kochen möchtest, kannst du das gerne tun, ansonsten habe ich eine alphabetisch nach Ländern geordnete Lieferservicekartei.“

Er meinte das wirklich ernst und ich fing wieder an zu lachen, denn auch wenn er es nicht oft zeigte, war er doch manchmal ein Snob, ein wohlbehütetes Kind reicher Eltern. Er sah mich ehrlich irritiert an und ich lachte nur noch mehr, als er zu allem Übel auch noch seine Serviette faltete und sich den Mund abtupfte.

„Was?“, fragte er nun leicht pikiert, „Habe ich was an der Nase? Oder hast du was ins Essen gemischt?“

Endlich fing ich mich wieder und hörte auf zu lachen. Dann machte ich seine Bewegung übertrieben vornehm nach. Er verstand und fing auch n zu lachen.

Er erklärte mir mit gespieltem Ernst, dass man sich zwar gegen seine Erziehung auflehnen, doch ihr nie ganz entkommen könne.

„Das ist halt so.“

Er zuckte mit den Schultern.

So sehr mich sein teils bewusster, teils unbewusster Hang zum Luxus jetzt auch amüsierte, sollte er mir schon bald ganz entschieden auf die Nerven gehen und mich mehr als einmal in Verlegenheit bringen.

Doch in diesem entspannten Moment, dachte ich, könnten wir vielleicht doch Freunde werden.

10. Kapitel

10

Nein, ich muss mich korrigieren, wir konnten definitiv keine Freunde werden. War er denn verrückt geworden?

Der Abend war noch entspannt verlaufen. Wir hatten uns gut unterhalten und die letzten Details unseres Zusammenlebens besprochen. Ich war am nächsten Morgen entspannt aufgestanden und nichtsahnend die Treppe hinuntergekommen, um zu Frühstücken. Unser neues Ritual zwang mich dazu, da ich morgen eigentlich nichts aß. Wir aßen schweigend.

„Wenn du möchtest, fahre ich dich zur Schule.“, bot Landon mir an.

Ich schaute überrascht von meinem Müsli auf, überdachte kurz sein Angebot und nickte dann zustimmend. Ich war von so viel Freundlichkeit ein wenig überrascht. Normalerweise fuhr ich im Sommer mit Fahrrad, im Winter mit dem Bus zur Schule. Ich hatte zwar einen Führerschein, aber kein Auto.

„Ich hole dich auch wieder ab.“

Damit beantwortete er auch gleich noch meine nächste Frage.

 

Kurze Zeit später fiel mir ein, dass ich eine ganz entscheidende Frage vergessen hatte. Nämlich was für ein Auto er fuhr. Ich stand geschockt vor dem Haus und wartete, als Landon mit seinem schicken schwarzen und viel zu auffälligen Mercedes vorfuhr.

Ich dachte mir, nein, niemals steige ich dort ein. Das Ding war viel zu auffällig, da hätte ich auch gleich mit einer Leuchtreklame vor der Schule vorfahren können. Das wäre sicher unauffälliger gewesen.

Schließlich stieg ich voller Widerwillen doch noch ein, was hätte ich auch tun sollen? zu Fuß gehen? Es war immerhin meine eigene Schuld, irgendwie. Ich hätte ahnen müssen, dass Landon kein gewöhnliches Auto fahren würde. Das Auto passte zu ihm.

Ich beruhigte mich mit dem Gedanken, dass es noch relativ früh war und noch nicht so viele Schüler auf dem Schulvorhof anwesend sein würden. Ich hasste es aufzufallen und die Blicke, die an mir kleben würden, wenn ich mit diesem Auto vorfuhr, mit diesem gutaussehenden Mann am Steuer, der mir auch noch galant die Tür öffnen würde, ließen mich vor Entsetzen schon auf dem Hinweg erschaudern.

Ich war mir ziemlich sicher, dass Landon meine leicht verkrampfte Körperhaltung und mein Zögern beim einsteigen richtig gedeutet haben musste und deshalb die ganze Zeit verschmitzt vor sich hinlächelte.

Unglücklicher Weise hatte ich in all der Hektik und Aufregung des Umzuges vergessen, dass an diesem Tag die Wahl der neuen Cheerleader stattfinden sollte. Deshalb erschien auch gefühlt die ganze Schule früher, um bei dieser erstaunlich langwierigen Zurschaustellung von weiblichen Reizen zuzusehen. Ich wäre am liebsten zum Sterben unter meinen Sitz gekrochen, als wir langsam auf den Parkplatz einbogen und alle Blicke sich schlagartig voller Neugier auf den Mercedes hefteten. Ich sank noch etwas tiefer in meinen Sitz. Landon stieg aus und öffnete mir schwungvoll die Tür bevor ich überhaupt reagieren konnte. Ich stieg ungelenk aus und schaute stur nach unten. Er lehnte sich weit zu mir hinunter und flüsterte mit seinem warmen Atem an meinem Ohr:

„Ich wünsche dir einen schönen Tag in der Schule.“

Ich erschauderte und blickte ruckartig auf, nur um sein unverschämtes Lächeln zu sehen. Schnell brachte ich etwas abstand zwischen uns. Er schien von meinem Unbehagen aufrichtig amüsiert zu sein und nutzte die Chance mich mit seinem Verhalten noch mehr in Verlegenheit zu bringen. Ich warf ihm einen giftigen Blick zu und beschloss die Sache schnell hinter mich zu bringen. Ich setzte mich in Bewegung.

Über die Schulter rief ich ihm zu:

„Du musst mich heute nicht abholen. Ich fahr mit dem Bus, kein Problem“

Damit versuchte ich die Situation irgendwie zu retten.

„Aber natürlich hole ich dich ab, Schatz!“

Ich stolperte vor Schreck über meine eigenen Füße. Schatz? Als ich herumwirbelte sah ich ihn nur noch lachend einsteigen und davonfahren. Mit einem Mal spürte ich hunderte Augenpaare in meinem Rück brennen. Das hatte er mit Absicht gemacht. Toll, jetzt dachte bestimmt jeder, dass wir zusammen waren. Und wer es noch nicht wusste, hätte es spätestens bis zum Mittag erfahren.

Düster vor mich hin grummelnd bahnte ich mir entschlossen einen Weg durch die Schüler, welche sich nach und nach wieder den vorturnenden Mädchen in ihren knappen Klamotten zuwandten. Ich schaute stur gerade aus, nur ein Moment der Schwäche, ein winziger Blickkontakt und ich wäre verloren gewesen.

Kaum hatte ich die Eingangstür passiert, atmete ich erleichtert auf. Doch zu früh gefreut. Ich hatte den Fehler gemacht stehen zu bleiben und war schlagartig von einer Traube Mädchen umringt, die mich mit Fragen löcherten. Fragen auf die ich auch gar keine Antworten gehabt hätte. Mit den meisten von ihnen hatte ich noch nie gesprochen. Was wollten die von mir? Langsam wurde ich wütend. Bei dem Chaos in meinem Kopf und dem ungewohnten warmen Gefühl in meinem Bauch, wenn ich an seine letzten Worte dachte, wollte ich über die ganzen Fragen nicht nachdenken.

Ich schnauzte eine kleine Blondine an, sie solle mich in Ruhe lassen und stürmte förmlich zu meinem Klassenzimmer, wo ich mich endlich unbehelligt setzen konnte. Nonchalant ignorierte ich ab da an die fragenden Blicke meiner Mitschüler, welche mich ab diesem unsäglichen Morgen förmlich verfolgen sollten.

Sobald der Unterricht erst einmal begonnen hatte, konnte ich sogar wieder gefahrlos aufsehen. Zumindest bis zum Ende des Vormittags hatte ich meine Ruhe. Doch leider konnte man dem Wissensdrang von Mandy und ihren Hyänen nicht ewig entkommen. Klatsch, Tratsch und Miseren zogen sie wie magisch an.

So kam es nun, dass sich Mandy und Anhang in der Mittagspause zu mir an den Tisch setzen. Sie stellten ihre – aufgrund einer Dauerdiät – fast leeren Tabletts ab und fingen an zu plappern. Ob dieser Unverschämtheit war ich kurz sprachlos. Doch ich schaute noch nicht einmal auf. Wegignorieren war mein Problemlösungsansatz. Leider funktionierte er nicht.

„Hallo, Erilein.“, flötete Mandy irgendwann und löste schlagartig Mordgelüste in mir aus. Ich hasste diesen Spitznamen aus unseren Kindertagen und ich wette, dass wusste sie noch ganz genau.

„Sage mal, wir haben uns schon sooooo lange nicht mehr unterhalten.“

Eigentlich noch nie, dachte ich. Nicht, seit ich ihr im Kindergarten ein mit Schüppe übergezogen hatte. Ich wappnete mich innerlich gegen dieses unvermeidbare Gespräch, zählte bis zehn und schaute auf. Mandy hielt sich nie lange mit Vorreden auf und so platzte sie auch in dieser Situation heraus:

„Also erzähl mal, wer war denn dieser umwerfende Mann, der dich heute zur Schule gebracht hat? Ist er dein Freund? Der war ja so grrrrr. Ich habe gehört, dass du jetzt bei ihm wohnst!“

Ich stöhnte leise auf, der Livingstoner-Buschfunk funktionierte mal wieder einwandfrei.

„Landon. Nein. Ja. In der Reihenfolge.“, beantwortete ich ihre Fragen.

Doch sie glotzte mich nur dümmlich an, sodass ich mich gemüßigt sah, ein wenig ausführlicher zu werden.

„Mandy, er ist nicht mein Freund.“, sagte ich und betonte jedes Wort.

„ich lebe bei ihm, weil meine Schwester weggezogen ist und ich noch das Schuljahr hier beenden soll. Nicht mehr und nicht weniger. Nach dem Schuljahr zieh ich in  mein Haus zurück.“

Mehr wollte ich dazu auch nicht sagen und Mandy schien enttäuscht über diese banale Erklärung. Ich wette das Spatzenhirn hatte auf etwas Pikanteres gehofft, verbotene Liebe oder so. Tja, es tat mir ja so überhaupt nicht leid, die enttäuschen zu müssen. Und sie sollte mich nicht überraschen:

„Und wie stehst du zu ihm? Wenn ich mit dem unter einem Dach wohnen würde, oh man.“

„Ich kenne ihn schon sehr lange und ich stehe daher gar nicht zu ihm.“, war meine lahme Antwort und die war auch noch halb gelogen. Ich merkte wie ich rot wurde. Sein Bild, wie verwegen er heute Morgen mit seinem zerzausten Haar ausgesehen hatte, kam mir in den Sinn. Ich schüttelte schnell den Kopf. Ganze blöde Gedankenrichtung.

„Kann ich ihn dann haben?“, stichelte sie.

„Mandy …“, knurrte ich und hätte am liebsten „Finger weg, Schlampe!“ hintenan skandiert, damit sie es auch gar kapierte. Warum ich so reagierte, das verdrängte ich lieber wieder schnell. Doch ich hielt mich zurück.

„Naja,“ meinte sie trotzig, „ein Mann und eine Frau unter einem Dach, das ist doch immer pikant. Dann bist du auch noch recht hübsch.“

Oh, danke, dachte ich nun endgültig fuchsteufelswild. Doch weiter sagte sie nichts mehr. Irgendwie schienen ihr die Worte zu fehlen, um ihre Gedanken auszudrücken. Ihr Gesicht war von der ungewohnten Anstrengung, ihr Gehirn zu benutzten, stark gezeichnet und ich konnte fast die Rädchen hinter ihren Augen arbeiten hören. Sie drehten sich erstaunlich schwerfällig.

„Entschuldige mich bitte,“ beendete ich ihre Bemühungen, „ich habe keine Lust mich weiter mit dir zu unterhalten.“

„Aber.“

„Nichts aber.“, ich lächelte sie zuckersüß an.

„Oder möchtest du, dass zufällig Bilder aus deiner Kindheit in die Schülerzeitung gelangen?“, drohte ich ihr.

Das war etwas fies, doch ich war auch etwas genervt. Sie wurde unter ihrer Make-Up-Schicht schlagartig blass, denn sie wusste, dass dies keine leere Drohung war. Das ehemals pummelige kleine Mädchen auf diesen Fotos war eine gute Möglichkeit – Erpressung ist so ein hartes Wort – um Mandy in Schach zu halten.

Damit war das Gespräch beendet. Ich wandte mich wieder meinem Buch zu, während Mandy ihren Stuhl ruckartig zurückschob und beinahe fluchtartig meinen Tisch verließ.

 

11. Kapitel

11

Schockiert stakste Mandy davon, sie war es nicht gewöhnt, dass jemand sich ihr wiedersetzte.

Den Rest des Tages entkam ich durch die erneute strategische Nutzung der Treppenhäuser allen weiteren Gesprächen. Nachdem an diesem Tag die Schulglocke endlich zum letzten Mal läutete, strebte ich eiligen Schrittes Richtung Ausgang. Noch bevor ich die Tür erreichte, hörte ich das Getuschel in der Eingangshalle und ahnte Schreckliches.

Landon wartete schon auf mich. Mitten auf dem Parkplatz stand er lässig und verboten gut aussehend an seinen Mercedes gelehnt. Sein Blick war nur auf mich gerichtet, sobald ich durch die Tür trat. Er lächelte mich strahlend an, während ich mit säuerlicher Miene auf den Wagen zuging. Er hielt mir galant die Tür auf und strich mir völlig unnötig mit seiner Hand über den Arm, als ich einstieg. Ich knurrte, er lachte. Ein neugieriges Mädchen, das gerade am Auto vorbeilief, bedachte er mit einem derart strahlenden Lächeln, dass sie kurz taumelte. Armes Wesen. Ich musste unwillkürlich lächeln und meine schlechte Laune verpuffte.

„Musst du die Leute immer so aus der Fassung bringen?“, fragte ich vorwurfsvoll, als er sich schwungvoll auf den Fahrersitz gleiten ließ. Er sah mich unschuldig an, als wüsste er gar nicht, was ich meinte. Dann erhellte sich seine Miene und er setzte ein verschlagenes Lächeln auf.

„Bring ich dich denn auch aus der Fassung?“

Er hatte wohl beschlossen, dass man am besten mit mir umfing, in dem man nonchalant reagierte. Kluger Mann.

„Nein, ich bin immun.“

„Wirklich?“

Er beugte sich zu mir rüber und griff nach einer Strähne meines Haares. Er wickelte sie sich um den Finger und zog meinen Kopf sanft näher zu sich. Da ich wusste, dass uns sicher alle beobachten würden, schlug ich rüde seine Hand weg.

„Hör auf damit.“

Ohne ein weiteres Wort ließ er den Motor an und legte den ersten Gang ein. Noch so eine Extravaganz, ein Schaltwagen. Konnte er nicht mal etwas normal machen? Während wir schweigend nach Hause fuhren, überlegte ich mir, wann genau sich unser Verhältnis in den letzten vierundzwanzig Stunden gewandelt hatte. Ich kam zu keinem einleuchtenden Ergebnis.

Wortlos stieg ich zu Hause aus und ging ins Haus.

„Erst beim Abendessen wechselten wir wieder ein Wort.

„Wie war dein Tag?“, fragte er mich verschmitzt.

Mistkerl.

„Danke, ging so.“, antwortete ich schnippisch.

Er schaute mich fragend aus seinen großen Augen an.

„Dank dir, durfte ich mich mit Mandy, unserer Schulprinzessin und meinem persönlichen Kreuz, auseinandersetzen. Denn sie war hoch interessiert daran, wer du bist, Schatz.“

Das letzte Wort spuckte ich förmlich aus. Er schaute mich interessiert an.

„Und was hast du erzählt?“

„Das du ein kranker Perverser bist, der mich hierher verschleppt hat und mich nur für die Schule rauslässt. Du zahlst meiner Schwester regelmäßig eine hohe Geldsumme, damit sie nicht die Polizei einschaltet.“, erklärte ich ihm todernst.

Jetzt schaute er mich entsetzt an.

„Das hast du nicht.“

„Rache …“, flötete ich und tänzelte in die Küche.

Er folgte mir schnell und drückte mich gegen die Anrichte.

„Das war gar nicht nett, Schatz.“, wieder setzte er sein wölfisches Grinsen auf und zog mich etwas näher an sich. „Du hast ja gar keine Ahnung, wie nah du der Wahrheit gekommen bist.“

Mir sackte das Herz aufgrund unserer unerwarteten Nähe in die Hose. Mein Puls raste. Schnell riss ich mich los.

„Man, ey, ich habe gar nichts erzählt. Ich möchte nämlich keine Gerüchte. Du weißt schon, über uns.“

Er hörte ihn lachen, doch ich drehte mich auf meinem Weg zur Treppe nicht um. Bevor ich die erste Stufe erreichte, spürte ich seine Hand auf meiner Schulter. Er dreht mich herum und drückte mich sanft gegen die Wand.

„Rache …“, murmelte er.

Sein Gesicht war meinem so nah, dass ich seinem Atem auf meiner Haut spürte.

„Warum läufst du weg, Schatz?“, fragte er heiser und legte seinen Finger unter mein Kinn, um es anzuheben. Nun war ich gezwungen ihn anzusehen. Ich starrte ihn mit riesigen Augen an und konnte mich nicht bewegen. Irgendwas lief hier entschieden schief, so weich wie meine Knie wurden.

Mit dem letzten Rest Selbsterhaltungstrieb schlug ich seine Hand weg, entwand ich mich ihm und lief endlich die Treppe hoch.

„Lass das.“, fauchte ich ihn an. „ich bin kein Spielzeug. Schatz.“

Am Ende der Treppe schaute ich mich noch einmal um.

„Ich dachte du stehst auf meine Schwester.“

Es klang wie ein Vorwurf. Irgendwie war ich verletzt. Ich sah ein Schatten über sein Gesicht huschen. Das hatte gesessen. Aber ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, was das eben hätte werden sollen. Er verwirrte mich und selbst ich bemerkte diese seltsame Spannung zwischen uns. Dabei bin ich in solchen Sachen echt schlecht. Er drehte mir den Rücken zu und ich setzte noch eines drauf.

„Ich will kein Ersatz sein. Werde dir erstmal klar, was du willst.“, sagte ich, bevor ich drüber nachdenken konnte. Ich schlug mir die Hand vor den Mund. Sein Rücken versteifte sich, dann verließ er das Treppenhaus ohne etwas zu sagen und ich ging in mein Zimmer.

Ersatz? Wie kam ich auf so etwas? Kränkte mich er Gedanke so sehr nur ein Ersatz für Dana zu sein? Ich wusste doch noch nicht einmal was das zwischen uns war oder ob da überhaupt etwas war. Ich wollte nicht einmal darüber nachdenken.

Doch: Wollte er mich wirklich küssen oder nur in Verlegenheit bringen? Was ging hier vor?

In Gedanken versunken, wäre ich fast auf Moé getreten, die Aufmerksamkeit heischend um meine Beine strich. Ich wollte nicht länger über Landon nachdenken. Davon bekam ich nur Kopfschmerzen.

Ich wohnte hier nur. Das sagte ich mir von Stunde an immer wieder. Wie ein Mantra. Nur ein paar Monate durchhalten. Fünf Monate bis zu meinem Schulabschluss im August. Das würde ich schaffen, auch wenn er mich immer wieder aus der Fassung brachte.

 

An diesem Abend ging ich nicht mehr nach unten. Ich hörte stattdessen Musik und machte meine Hausaufgaben, bis das Telefon klingelte. Kaum verwundert vernahm ich die Stimme meiner Schwester, welche mit ihrer übersinnlichen Empfindsamkeit nach kürzester Zeit die Anspannung in meiner Stimme wahrnahm. Ich antwortete ihr so gut es ging, ohne jedoch mit der Wahrheit herauszurücken. Nach endlosen Versicherungen, dass es mir gut ginge, schafften ich es endlich mich von ihr zu verabschieden.

Durcheinander wie ich war, schlief ich in dieser Nacht schlecht. Ich träumte von Landon, Dana und Meggi.

Immer wieder drehten sich  meine Träume um die drei. Dana und Meggi beim Spielen. Landon und Dana Hand in Hand. Lachend. Ich konnte mich nach einem schreckhaften Erwachen an keine Details mehr erinnern, doch ein ungutes Gefühl, schwer wie Blei auf mir lastend, blieb zurück und schien mir den Atem zu nehmen.

12. Kapitel

12

Diese Nacht würde ihr noch lange Alpträume bereiten. Davon war Crow überzeugt. Sie lauerte schon lange im Schatten der Bäume. Auf ihre Chance wartend. Ganz vorsichtig, denn Krähen sind kluge und umsichtige Vögel. Sie stand nun schon eine ganze Weile zwischen den Bäumen im Wald, der an das Grundstück grenzte und wartete bis das letzte Licht im Zimmer des Mädchens erlosch.

Es kam ihr fast zu einfach vor, wie sie schwebend den Zaun überwinden und sich dem Haus nähern konnte. Vorsichtig holte sie die kleine Gasdruckpistole unter ihrem Mantel hervor und schoss damit auf das einzige Außenlicht  über der Veranda. Nur ein leises Schwirren war zu hören, gefolgt von dem Splittern der Glühlampe und schon war alles in völlige Dunkelheit getaucht. Sie verharrte noch einen Moment reglos und wartete ab, ob ein Bewohner des Hauses erwacht war. Doch als nirgendwo im Haus wieder ein Licht anging, näherte sie sich weiter der Terrassentür. Das Gewicht der Waffe in ihrer Hand beruhigte sie und sie überlegte sich, wieviel Schaden sie erst mit einer richtigen Waffe würde anrichten können. Doch dieser Schritt kam erst viel später in ihrem Plan. Zuerst sollten sie Angst bekommen. Später dann würde sie ihre Rache vollenden und ihnen das Leben nehmen. Den Geschmack des Blutes, das bald fließen würde, spürte die Krähe schon beinahe in ihrem Mund. Vor allem beim Gedanken daran, dass nie jemand sie verdächtigen würde, spürte sie ein mühsam unterdrücktes Lachen in ihrer Kehle aufsteigen.

An der Terrassentür angekommen, zerschlug sie mit dem Ellenbogen das Glas. Jetzt musste alles schnell gehen, sie durfte sich keinen Fehler erlauben, denn das Glas fiel laut klirrend auf die Fliesen im Wohnzimmer. Oben hörte sie schon Geräusche, als sie das mitgebrachte Päckchen aus der Seitentasche ihres Mantels nahm und es anzündete. Dann warf sie es schnell durch das Loch in der Scheibe ins Innere des Hauses. Sie drehte sich um und rannte zurück in den Wald, denn sie hörte schon jemanden fluchend die Treppe hinunterpolternd. Ah, der Herr des Hauses war erwacht. Sie war schnell und schon bald zwischen den Bäumen verschwunden. In der Dunkelheit hastete sie weiter und diesmal brach das irre Lachen hervor. Sie lachte bis sie nicht mehr laufen konnte. Doch sie krächzte immer weiter.

Das Spiel hatte gerade erst begonnen.

13. Kapitel

13

Im Traum nahm ich das Geräusch von zersplitternden Glas war und wachte auf. Auf dem Flur vor meinem Zimmer hörte ich Landons Schritte poltern, also stand ich eilig auf, zog mir meinen Bademantel über und lief aus dem Zimmer. Auf dem Flur roch ich sofort Rauch und tastete nach dem Lichtschalter, aber nichts geschah. Ich tastete mich an der Wand vor bis zur Treppe und stieß dort mit Landon zusammen, der sich erschreckte und leise fluchte.

„Hör zu,“, sagte er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete, zu mir, „Treppe runter und raus aus dem Haus. Du riechst ja den rauch. Die Telefonleitung ist tot.“

Ich nickte nur. Am Ende der Treppe sah ich einen kleinen Lichtschein, der vom Feuer kommen musste. Aber als ich im Wohnzimmer vor der Terrassentür den Brandherd erkannte, schrie ich doch auf. Unverkennbar stand dort ein mittelgroßer Teddy-Bär in Flammen. Landon griff an mir vorbei nach einer Vasen samt Blumen und kippte sich über dem Feuer aus. Vorsichtig näherte ich mich dem Brandherd.

„Vorsicht, hier sind überall Glassplitter.“, ermahnte mich Landon und hielt mich an einem Arm zurück.

„Wer macht den sowas?“, fragte ich bedröppelt.

Später sollte ich mich über diese doofe Frage ärgern, doch im Moment drückte sie meine ganze Ungläubigkeit aus.

„Entweder wollte uns jemand töten.“, meinte Landon, „Oder er wollte uns erschrecken.“

Ich schlüpfte unter seinen Armen hindurch, wich den Scherben aus und näherte mich dem Teddy. Endlich ging das licht wieder flackernd an.

„Oh, mein Gott.“, stieß ich hervor, „das ist ja mein Teddy!“

Er sah mich fragend an.

„Er hat einmal Dana gehört. Sie hat ihn mir kurz nach dem Tod unserer Eltern geschenkt, damit ich endlich aufhörte zu weinen. Ich dachte, ich hätte ihn vor einigen Jahren verloren.“

„Nun, anscheinend hast du das nicht. Vielleicht hat ihn dir jemand gestohlen? Ein Freund vielleicht? Das hier war eindeutig gegen einen von uns gerichtet. Mittlerweile sollte ja schon die ganze Stadt wissen, dass du hier wohnst. Hast du irgendwelche Feinde?“, fragte er plötzlich.

„Eine Menge.“, murmelte ich leise.

Landon sah mich kurz erschrocken an, vielleicht hatte ich mich auch getäuscht.

Ich hörte ein klägliches Mauzen.

„Moé!“

Ich sah mich aufgeregt um.

„Wenn der Mistkerl ihr etwas getan hat, werde ich ihn höchstpersönlich umbringen.“

Augenblicklich ließ ich von meinem Teddy ab und versuchte meine verängstigte Katze zu finden. Bestimmt hatte sie Angst vor dem Feuer. Wir begannen sie gemeinsam zu suchen und folgten dem leisen Mauzen.

Schließlich fanden wir sie unter dem Schrank in der Eingangshalle. Ich lockte sie mit süßen Worten und viel Geduld schließlich hervor. Vorsichtig nahm ich sie hoch. Sie schien unverletzt.

Landon hingegen informierte zwischenzeitlich die Polizei. In der Küche machte er uns anschließend einen heißen Tee, da ich, ohne es zu bemerkten, angefangen hatte zu zittern. Mit Moé auf dem Schoß saß ich in meinem Morgenmantel und in eine Decke gehüllt auf der Couch, bis gegen vier Uhr endlich die Beamten vom Sheriff County eintrafen. Landon begrüßte sie förmlich und führte sie ins Wohnzimmer. Ich beobachtete sie von meiner Position aus, stand aber nicht auf um sie zu begrüßen. Ich wusste nicht, ob mich meine zitternde Knie tragen würden.

Zuerst gingen die Beamten davon aus, dass sich der Anschlag gegen Landon richten würde, ohne mich auch nur zu beachten. Seine Familie besaß mehrere große Firmen in den verschiedensten Branchen. So besaß sie auch bis vor einigen Jahren eine Fabrik Nahe der Stadt, die allerdings aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen wurde, als die Familie vor etwa acht Jahren der Stadt den Rücken zukehrte und fortzog. Mehrere Dutzend Bewohner wurden auf einen Schlag arbeitslos und noch heute hegten viele Bewohner und betroffene Familien einen Groll gegen die Familie. Dies sei ein eindeutiges Motiv für eine Rache schlussfolgerten beide Polizisten scharfsinnig.

Endlich beachtete mich doch noch der jüngere der beiden Officer, John Dorien. Wie sich dann herausstellte war er mit Dana und Landon zusammen zur Schule gegangen und gestand dann lachend, wie verknallt er einmal in Dana gewesen sei. Ein kühler Seitenblick des Sheriffs, Edward Rick, brachte ihn aber schnell zum verstummen.

Sie fragten nicht, wieso ich in diesem Haus lebte. Erst als Landon anmerkte, dass der Teddy mir gehören würde, wurden beide sehr ernst und der professionelle Blick des Sheriffs Rick brannte sich in meinen Kopf.

„Miss Laine,“, fragte er, „woher wissen sie, dass es sich hierbei um Ihr Kuscheltier handelt?“

„Nun ja, Puschel, so haben wir den Teddy genannt, habe ich mit neun Jahren von meiner Schwester geschenkt bekommen. Vorher hat er schon lange ihr gehört. Ich würde ihn immer wiedererkennen. Zum Beispiel an dem genähten Riss am Ohr.“

Ich zeigte auf den Teddy, der mittlerweile spurenschützend in einer Plastiktüte verpackt war.

„Zudem erkenne ich diese Schleife in Größe und Form ganz genau. Ich habe sie ihm damals selbst umgebunden gehabt. Ich bin mir ganz sicher, dass das da mein Teddy ist. Allerdings muss er mir schon vor Jahren gestohlen worden sein.“

Dabei erinnerte ich mich an etwas.

„Wissen Sie, meine Schwester Dana hat mich an meinem zwölften Geburtstag gezwungen eine Geburtstagsparty für meine Freunde zu geben. Es waren mal meine Freunde gewesen, ich hatte mich nach dem Tod meiner Eltern von allen zurückgezogen. Am Abend nach der Party bemerkte ich zum ersten Mal, dass der Bär fehlte. Ich war mir nie sicher, ob nicht eines der Kinder ihn damals mitgenommen hat. Irgendwann habe ich es dann einfach vergessen.“

Der Sheriff fragte mich zum Abschluss nach einer Liste der damaligen Gäste, als Anhaltspunkt für die Ermittlungen, egal wie lange es schon zurückliegen würde. Nach seiner Überzeugung war das hier kein makabrer Streich, sondern etwas Persönliches. Ich konnte mich nicht einmal mehr annähernd an die Gästeliste erinnern. Ich war mir allerdings sehr sicher, dass Dana dem Sheriff sämtliche Kinder aus dem stehgreif würde nennen können. Doch dass hätte zur Folge, ihr auch von dem Vorfall erzählen zu müssen. Sie würde mit Volldampf zurückgerauscht kommen, um mich vor dem wahnsinnigen zu beschützen. Ich beschloss sie so lange wie möglich aus der Sache rauszuhalten und versprach dem Sheriff ihm die Liste nach einer Mütze voll Schlaf umgehend zukommen zu lassen. Zwischenzeitlich war auch die Spurensicherung eingetroffen und strömte ins Haus und in den Garten, wie emsige kleine Arbeiter. Leise murmelnd erstatteten sie dann dem Sheriff Bericht.

Sie hatten den Garten nach Spuren durchsucht, meinten aber, sie würden am Vormittag noch einmal kommen. Es war noch sehr dunkel und selbst mit den Taschenlampen ließen sich wohl Spuren übersehen. Ergänzende Aufnahmen sollten auch erst im Tageslicht gefertigt werden. Es wurden Schuheindruckspuren am Zaun und in den Blumenbeten gefunden. Das Profil war nicht besonders aufschlussreich, trotzdem wurden sie abgelichtet und ausgegossen. Der Teddy und das defekte Verandalicht sowie einige Glasscherben für Faserspuren und verschiedentlich Fingerabdrücke wurden gesichert. Nur der Metallzaun zum Wald bot sich an. Später sollte noch nach einem kleinen Projektil gesucht werden. Anscheinend wurde sie zerschossen. Insgesamt schien niemand große Hoffnungen zu machen.

„Wenn der Täter eine Waffe hat, sind sie wirklich in Gefahr. Aber davon gehen wir zurzeit nicht aus. Passen sie gut auf sich auf. Hoffentlich ist es nur ein Spinner oder ein Stalker.“

Er sah uns besorgt.

„Ich sag es nicht gern, aber wenn nicht grad großartige Spuren dabei sind, liegt es nun an ihm, den nächsten Schritt zu tun.“

Er blätterte in seinen Notizen.

„Seltsam.“, murmelte er dabei und wir sahen in fragend an, „ Schuhgröße 8, das heißt, wir haben es wohl mit einem Jugendlichen, einem jungen Mann zu tun.“

 „Oder mir einer Frau.“, warf Landon ein.

„Ja, oder so.“, stimmt der Sheriff ihm widerstrebend zu.

 „Gute Nacht. Versuchen sie zu schlafen.“

Landon schloss die Tür hinter dem letzten Beamten und verriegelte sie. Dann drehte er sich zu mir um, zog eine Augenbraue hoch und fragte schmunzelnd:

„Puschel?“

Ich wurde rot.

„Dana hat ihn so genannt.“, log ich. Er musste schließlich nicht alles wissen.

„Ach, ja, wirklich … Meinst du, du kannst noch etwas schlafen?“, fragte er, das Thema wechselnd.

Ich horchte kurz in mich hinein.

„Ja, ich denke schon. Ich bin doch ziemlich müde.“

In Wahrheit lief mein Verstand auf Hochtouren. Ich setze mich auf meine Bett, nachdem ich Landon an seiner Zimmertür verabschiedet hatte. Er sah sehr erschöpft aus. Ich schloss die Augen und lehnte meinen Kopf zurück. Vor meinem geistigen Auge tauchte auf einmal ein Bild von meinem 12. Geburtstag auf. Es war aber seltsam verschwommen und so sehr ich mich bemühte mich zu erinnern, es wurde einfach nicht schärfer. Irgendetwas war da, aber ich konnte es nicht greifen.

Moé lag auf dem Kissen neben mir. Ihr fiel es da um einiges leichter einzuschlafen, denn schon nach kurzer Zeit schnarchte sie leise vor sich hin. Irgendwann dämmerte ich auch weg.

14. Kapitel

14

Wenige Stunden später hatten sich  - wie in jeder Kleinstadt üblich – die Ereignisse der Nacht schon längst herumgesprochen. Landon und ich hatten nur wenig geschlafen, als um kurz vor neun Uhr eine hibbelige Meggi vor unserer Tür stand und Einlass begehrte. Zu ihrem Glück hatte sie Frühstück dabei, ansonsten hätte Landon sie wohl gleich wieder hochkant hinausgeworfen, als sie an unserer Tür Sturm klingelte. Mit einem mörderischen Gesichtsausdruck öffnete Landon der putzmunteren Plage die Tür.

Ich saß währenddessen völlig derangiert am Frühstücktresen, als Landon Meggi vernehmlich grummelnd folgte, während diese ununterbrochen redete. Ich schmulte schon in Richtung der Küchenmesser, um, wenn nötig, sie gewaltsam ruhig zu stellen. Wahrscheinlich würde selbst ihr abgeschnittener Kopf weiter plappern. Ich schüttelte mich bei der Vorstellung.

„Landon, Eri.“, stieß sie atemlos hervor, während ihr Blick zu der zerstörten Terrassentür und dem Brandfleck auf dem Boden wanderte.

„Was ist denn nur passiert? Ich habe mir ja solche Sorgen gemacht! Landon, bist du in Ordnung?“

Ich registrierte sehr wohl, dass sie mich in die letzte Frage nicht mit einbezogen hatte und noch unwilliger nahm ich war, dass sie sich auffällig gegen Landon drückte. Dieser verzog aber nur angewidert das Gesicht und brachte schnell den Tresen zwischen sich und Meggi.

Zufrieden klinkte sich mein Gehirn damit aus der Unterhaltung aus, denn ich war viel zu müde um meine Mordgelüste umzusetzen. Hin und wieder gab es einen Schlag auf mein Trommelfell, wenn Meggi einen besonders hohen Ton anschlug. Jedes Mal zuckte ich unwillkürlich zusammen, während das Hämmern in meinem Kopf mehr und mehr zunahm. Ich war mir allerdings auch nicht sicher, ob Landon ihr zuhörte. Meistens nickten wir nur synchron an den richtigen Gesprächsstellen. Meine Kaffeetasse hielt ich mit beiden Händen fest umklammert, um sie nicht aus einem Reflex heraus Meggi an den Kopf zu werfen.

 „Also manchmal seid ihr euch ja wirklich sowas von ähnlich.“, sagte sie auf einmal und ich schaute verwirrt auf. Worum ging es? Die Frage schien in meinen Augen zu stehen.

„Genau das mein ich.“, fuhr sie vor, „Ihr habt grad genau den gleichen gelangweilten Gesichtsausdruck.“

Ich sah Landon an. Er schaute genauso doof zurück. Dann zuckte ich die Achseln, war  mir doch egal und wandte mich wieder meiner Tasse zu.

„Ich glaube nicht...“, setzte Landon an.

„Siehst du, wieder!  Ihr habt beide eine Art an euch, die andere wahnsinnig macht. Als sei euch alles egal! Du beachtest mich nicht einmal!“, steigerte sie sich an mich gewandt weiter hinein.

„Ihr seid besserwisserisch, in euch gekehrt, tiefenentspannt und daher absolut nervtötend.“

Nervtötend? Ich war ehrlich schockiert über so viel Frechheit! Und sowas von einer Frau hinter deren Namen im Synonymwörterbuch das Wort „nervtötend“ fett geschrieben und mit drei Ausrufezeichen versehend, stand.

Noch bevor ich meine bösartige Antwort ungefiltert aus meinem Mund kommen konnte, antworte Landon auf diese Unverschämtheit. Meine Synapsen waren eindeutig noch nicht voll funktionsfähig, doch mit Wut-Level stieg rapide.

 

„Meggi,“ sagte Landon gequält, aber meiner Meinung nach noch viel zu freundlich, „Wir waren fast die ganze Nacht auf, also sei bitte gnädig mit uns.“

Eigentlich war das eine nachvollziehbare und unverfängliche Antwort. Hätte man so gedacht.

 „Oh, Landon.“, flötete Meggi, sehr zum Bedauernd meiner Ohren, „Ich hätte nie gedacht, dass ausgerechnet du jemals von dir in der Mehrzahl sprechen würdest. Über uns hast du noch nie so geredet!“

Hatte ich schon wieder etwas nicht mitbekommen?  Sie legte Landon wieder eine Hand auf den Arm und stieß ein schrilles Lachen aus. Selbst Moé schaute Meggi nun angewidert an. Mein armer Schatz konnte sich ja nicht die Ohren zuhalten. Und ich durfte aus reiner Höflichkeit nicht. Wir waren beide wirklich zu bemitleiden. Ein weiteres Lachen und Moé ergriff endgültig mit einem Fauchen in Meggis Richtung die Flucht. Sehnsüchtig sah ich ihr nach.

„Nun erzählt mal, habt ihr eine Ahnung, wer das gewesen sein könnte?“, fragte sie nun in einer etwas angenehmeren Tonlage.

„Genau um das herauszufinden, müssen wir jetzt leider auch schon los. Wir haben einen Termin auf dem Polizeirevier. Ich bringe dich noch zur Tür.“

„Tschüss.“, rief ich ihr noch hinterher.

Bestimmt schob er sie aus dem Wohnzimmer und kurz darauf hörte ich einen leisen Protest, als die Tür zuschlug. Lächelnd kam Landon zurück. Ich bewunderte seine Geistesgegenwart und die Kaltblütigkeit, mit der er ihr diese Lüge aufgetischt hatte. Bye, bye, dachte ich höhnisch. In dem Blick den Landon und ich uns daraufhin zuwarfen, lag ein gegenseitiges Einvernehmen, dass mir ein ganz komisches Gefühl im Magen bescherte. Doch ich hatte mich schnell wieder unter Kontrolle und hoffte, dass Landon nichts von meinen Gefühlen mitbekommen hatte. Das war eine vergebliche Hoffnung, wie ich bald merken sollte.

Kaum war Meggi gegangen, da klingelte schon das Telefon. Ich nach dem dritten Leuten ran.

„Hallo?“, fragte eine unbekannte männliche Stimme, bevor ich etwas sagen konnte, „Ist Herr Jackson zu sprechen?“

„Äh, einen Moment bitte, da muss ich erst nachsehen.“, log ich. „Wen soll ich melden?“

„Ich bin von der New York Post und wollte wegen den Vorfällen von letzter Nacht mit Herrn Jackson sprechen.“

Landon war lautlos hinter mich getreten und nahm mir sanft den Hörer aus der Hand. Ich formte lautlos mit den Lippen „New York Post“ und er nickte nur. Die Stimme, mit der den Anrufer ansprach, hätte nicht schroffer sein können.

„Hallo, Jackson hier. Ich habe genau ein Wort für Sie: Tschüss.“, schnauzte er in den Hörer und legte einfach auf.

Tadelnd sah ich ihn an und meinte: „Das war wirklich sehr unhöflich von dir.“

„Meinst du? Es ist immer noch Samstagmorgen. Er kann schon froh sein, dass ich ihm keinen Killer auf den Hals hetze. Ich mag diese sensationssüchtigen Zeitungsfritzen nicht.“

„ … sagte der Journalist“.

Er warf mir einen gespielt beleidigten Blick zu.

„So war ich nie. Und für meine kompromisslose Ehrlichkeit bin ich in der Branche fast schon berühmt.“

Er kam einen Schritt auf mich zu.

„Überhaupt macht dieses ruppige Bad-Boy-Gehabe meinen ganz besonderen Charme aus.“

Er blieb nun vor mir stehen und warf mir sein strahlendes Lächeln zu.

Außer bei meiner Schwester, dachte ich, wirkte der ganz super und ich spürte die Flattertiere in meinem Bauch tanzen. Ich wollte seine Illusion allerdings auch nicht zerstören, denn ein fröhlicher Landon ist leichter zu ertragen. Nun strahlte er wie ein kleines Kind, nun wo er seine Wut und Frustration gleich an zwei Personen hatte auslassen können.

Das hielt nur so lange vor, bis er auf die Terrassentür blickte, die wir in der Nacht notdürftig mit Pappe abgeklebt hatten. Die Scherbe lagen immer noch davor. Er seufzte tief.

„Okay, du rufst den Glaser an und ich informiere deine Schwester. Schau nicht so. Sie wird es eh erfahren. Es ist wohl besser, wenn sie es von mir erfährt. Ich bin schließlich für dich verantwortlich.“

Noch ein Blick in mein besorgtes Gesicht.

„Keine Sorge, ich werde sie schon davon abhalten hierher zu kommen.“

Ohje, konnte er etwa auch noch Gedanken lesen?

„Ja, kann ich.“. lachte er. „Reiner Egoismus, Süße. Ich möchte doch nicht, dass die Leute einen schlechten Eindruck von mir bekommen, nur weil es so aussieht, als könne ich keine Woche lang auf mein Mündel aufpassen. Womöglich würde ein empörter Mob dich mir entreißen. Das wäre doch schade, wo du doch grad so viel Abwechslung in mein Leben bringst.“, näselte er arrogant.

Und damit verschwand er im Flur.

Blödmann. Ich wollte ihm gerade etwas hinterherrufen, als mir eine Kleinigkeit auffiel, die so gar nicht in sein Image passte. Er war heute erstaunlich fürsorglich. Dauernd wechselte er zwischen liebevoll und Macho hin und her. Wenn das mal kein Zeichen von Schizophrenie war, dachte ich gehässig und biss mir dann auf die Zunge. Der liebevolle Landon gefiel mir ausgesprochen gut.

Na super, Aufregung und Ablenkung waren eigentlich genau die Aspekte, die ich nicht in meinem Leben wollte.

Nach einem Anruf war klar, dass der Glaser etwa eine Stunde später eintreffen würde. Ich schob diesen Elan auf unseren unfreiwilligen Promibonus. Ich kannte nämlich sonst keinen Handwerker, der an einem Samstag so schnell war. Ich kannte nicht einmal welche, die unter der Woche so ein Tempo an den Tag legen würde.

Ich sah ihn schon heute Abend in der Kneipe unten an der Main Street sitzen und seinen Kumpels exklusiv vom Ort des Geschehens berichten, während die Bardame Sue im förmlich an den Lippen hing. Man würde sich das Maul zerreißen über den geheimnisvollen Millionenerben und Journalisten, der so unorthodox mit der kleinen Laine-Schwester zusammenlebte.

Nach dem Telefonat sammelte ich vorsichtig die Scherben auf, um mich nicht auch noch unnötigerweise daran zu schneiden. Ich hörte amüsiert zu, wie Landon mit zunehmender Verzweiflung versuchte Dana am Telefon zu beruhigen. Seine Bemühungen blieben anscheinend erfolglos, denn nach etwa fünfzehn Minuten vergeblichen Argumentierens hielt er mir mit resignierter Miene den Hörer hin.

„Deine Schwester.“, fügte er tonlos und unnötigerweise hinzu.

Ich nahm den Hörer widerstrebend entgegen, während er sich erschöpft auf das Sofa fallen ließ, wo ihn prompt Moé schnurrend in Beschlag nahm.

Ich versuchte es mit einem vorsichtigen: „Hallo?“

„Eri! Ich habe mir ja solche Sorgen gemacht. Wie geht’s es dir jetzt? Das so etwas aber auch immer dir passieren muss! Landon meinet aber, ich müsse nicht zu euch kommen.“

Ich versuchte ein paar Mal erfolglos ihren Redefluss zu unterbrechen, bevor es mir gelangt.

„Nein, Dana, das musst du wirklich nicht. Hier ist alles soweit in Ordnung und unter Kontrolle. Es gibt doch immer irgendwo auf der Welt einen Verrückten, nur hatten wir diesmal das Pech einem zu begegnen. Auch Livingston muss einen statistischen Anteil an Spinnern haben. Denk doch nur an den alten Jefferson, der versucht hat seine Hühner abzurichten.“

Es funktionierte. Sie lachte leise, als sie sich an diese Episode erinnerte. Ein alter Farmer am Stadtrand hatte vor einigen Jahren versucht, seinen Hühnern beizubringen nur noch in die oberen Nester Eier zu legen, weil er sich nicht mehr so gut bücken konnte. Doch sie legten nur in die unteren Nester. Schließlich sah er nach vielem Jammern und Fluchen ein, dass da nichts zu machen sei und hat kurzer Hand den ganzen Hühnerstall auf Stelzen heben lassen. Man vermutete, dass seine Hühner selbst schon so alt wie ihr Farmer waren, dass sie es nicht mehr in die oberen Nester geschafft hatten, geschweige denn, überhaupt noch Eier legten. Später fand man heraus, dass die kleine Enkelin des Farmers jeden Morgen auf dem Weg zur Schule Eier im Hühnerstall versteckt hatte, damit die alten Hennen nicht geschlachtet würden und sie zu klein war, um an die oberen Nester zu gelangen. Nur sonntags gab es keine Eier, da die Familie dann immer in die Kirche fuhr. Der Farmer war der Überzeugung, dass seine Hühner christlich wären und Sonntag ihr Ruhetag sei.

                    Ich stimmte in Danas Lachen ein.

„Du hast wahrscheinlich Recht. Warte bitte einen Moment, hier kommt ein zweites Gespräch an.“

Und schon war ich in der Warteschleife. Ich hatte ein ungutes Gefühl. Als ich genervt aufstöhnte, drehte sich Landon zu mir um, doch ich winkte nur ab.

Ein Klicken in der Leitung und Dana war wieder da.

„Eri!“, erklang es vorwurfsvoll, 2Warum hast du mir nicht gesagt, dass der Täter versucht hat das Haus anzuzünden? Mich hat grad Mrs. Hank angerufen. Ihr Neffe ist bei der Polizei!“

Also hatte Landon wohl ein paar Details ausgelassen. Ich sah ihn böse an.

„Dana, bitte.“, versuchte ich sie zu beruhigen, während ich in Gedanken auch Mrs. Hank verfluchte; „es kann auch ein Zufall gewesen sein.“

Jetzt schrie sie fast.

 „Mit unserem Teddy? Ein Zufall? Niemals!“

„Bitte hör mir zu. Hier ist wirklich alles in Ordnung.“

Ich betonte jedes Wort.

„Wenn diese Person uns wirklich hätte schaden wollen, hätte er das sicher anders angestellt. Der Meinung ist nämlich die Polizei. Apropro. Kannst du mir die Namen der Gäste nennen, die du zu meinem zwölften Geburtstag eingeladen hast? Der Sheriff möchte dieser Spur nachgehen! Es ist wirklich wichtig!“

Damit war sie kurzzeitig abgelenkt. Ich notierte mir die Namen, doch keiner fiel mir dabei besonders auf. Keiner erschien mir verdächtig. Lediglich bei Mandys Namen stutzte ich kurz. Die hatte ich komplett verdrängt.

Landon schien währenddessen auf der Couch zusammengesackt zu sein und bewegte sich erst wieder, als ich nach weiteren fünfzehn Minuten und unzähligen Beteuerungen endlich das Gespräch beenden konnte. Kaum hatte ich aufgelegt, stand Landon schon wieder unbemerkt hinter mir und flüsterte mir „Frühstück“ ins Ohr.

Ich fuhr erschrocken zusammen, drehte mich halb um und wich vor seiner plötzlichen Nähe zurück. Dabei stolperte ich über Moé, die uns hungrig um die Beine strich. Langsam fiel ich nach hinten und drohte auf dem Glastisch zu landen. Ich versuchte mich irgendwo festzuhalten, doch der Aufschlag schien unvermeidbar. Dann aber packten mich Landons Hände und zogen mich zu sich, direkt in seine Arme. Seine Augen waren wie meine vor Schreck kurz geweitet. Als ich nun an seiner Schulter lehnte, während er mich immer noch in den Armen hielt, atmete er erleichtert auf. Noch mehr Drama brauchten wir nun wirklich nicht. Ich war wie erstarrt, doch ließ ich mir seine Nähe noch einige Zeit gefallen. Sein Duft war schier überwältigend und ich entspannte mich langsam.

„Noch mal gut gegangen.“, murmelte er in mein Ohr und vergrub sein Gesicht in meine Haare. Plötzlich verkrampfte er sich jedoch und ließ mich ruckartig los.

„Los jetzt, frühstücken.“§, sagte er mit seltsam belegter Stimme und musste sich räuspern, während er mir voran in Richtung Tresen lief. Auf dem befanden sich noch Meggis mitgebrachte Leckereien.

Was sollte das eben?, fragte ich mich mal wieder verwirrt.

Beim essen war ich ungewöhnlich still. Mir war bewusst wie abwesend ich wirken musste, während mir Landon misstrauische Blicke zuwarf. Meine Gedanken kehrten immer wieder zu den vertraulichen Momenten zurück. Was hatte er damit bezwecken wollen? Er schien ehrlich erleichtert gewesen zu sein, dass ich nicht gestürzt war. Und dann war da noch die Art, wie er mich festgehalten hatte. Mir wurde ganz warm im Bauch.

Nur seine dann folgende Reaktion war wenig schmeichelhaft gewesen. Ich hatte mich bei ihm geborgen gefühlt. Oh man, dass schien hier alles komplizierter zu werden, als gedacht. Meine verdammten Teenager-Hormone erwachten aus ihrem Winterschlaf, bereit das ewige Spiel zwischen Mann und Frau zu spielen. Ich reagierte eindeutig auf Landon. Das war für mich völlig ungewohnt.

Er war groß, hatte breite Schultern und schmale Hüften. Er war einfach berauschend gutaussehend. Er war zudem älter und er war unerreichbar. Er war damit wunderbar für eine Jung-Mädchen-Schwärmerei geeignet.

Bäh!, dachte ich. Meine berühmte Sensibilität schlug wieder zu. Der Gedanke stieß mich ab. Eher würde ich tot umfallen, als mich in so ein Wesen – verliebtes kleines Mädchen – zu verwandeln, das ich immer so verabscheut habe.

Nun gut, solange ich mir dessen bewusst blieb und mir nichts anmerken ließ, würde schon alles gut ausgehen.

Für mich.

Sogleich dachte ich aber auch an Dana und dieser Gedanke würde mich noch zusätzlich abhalten.

Alles unter Kontrolle, redete ich mir selbst ein.

15. Kapitel

15

Nach diesem verkrampften Frühstück und dem überfälligen Besuch des Glasers fuhren wir mit seinem Mercedes zur Polizeistation von Livingston. Ich maulte diesmal nur leise über seine Fahrzeugwahl. Die Situation war schon angespannt genug. Dementsprechend saß ich mit schützend vor dem Körper verschränkten Armen neben ihm. Ich blickte stur aus dem Fenster auf die vorbeifliegenden Straßenzüge, Häuser und Menschen. Mir half diese Reaktion sehr, Landon schien sie eher zu amüsieren. Ein wenig hoffte ich, dass er meine Haltung als meine Abneigung gegen seinen Hang zum Luxus wertete, nicht als Abneigung gegen ihn.

„Du bist doch selber reich.“, hielt er mir auf einmal vor, als wir in die Hauptstraße einbogen.

Ich sah ihn das erste Mal seit dem frühstück direkt an.

„Das ist etwas anderes.“, erwiderte ich trotzig, „ich wurde dazu erzogen, dass man nicht rumprotzen muss.“

Dabei beschrieb ich mit meiner Hand eine kreisende Geste, die den ganzen Luxus des Wagens mit einschloss. Ich versuchte dabei moralisch überlegen zu klingen und nicht nur zerknirscht.

„Man muss sich auch an die Gegebenheiten einer Kleinstadt, in der die meisten Menschen grade so über die Runden kommen, anpassen.“

„Ja, vielleicht. Aber du bist doch nur so rigide, weil du an dein vermögen noch nicht herankommst. Glaub mir, dann würdest du das ganze etwas entspannter sehen.“, spottete er.

Ich schaute ihn böse an.

„Ich bin auch gut erzogen.“, meinte er dann überraschend. „Aber ich habe andere Gründe.“

„Und die wären?“

„Meine Familie ist sehr wohlhabend wie du weißt.“, begann er, „Da sollte man meinen, ein Kind aus so einem Elternhaus würde alles bekommen, was es sich wünscht. Das bekam ich auch. Doch immer wenn ich mir etwas gewünscht hatte, wurde es durch meinen Vater immer mit den Worten begleitet: << Denke dran Landon, was wir dir alles ermöglichen. >> Nichts war umsonst, immer wurde Dankbarkeit und Demut als Gegenleistung erwartet. Irgendwann konnte ich diesen Spruch nicht mehr hören. Als ich älter wurde, begann ich diese Überheblichkeit zu hassen. Ich wollte nicht mehr dankbar sein müssen. Also suchte ich mir 14 Jahren einen Job als Verkäufer hier in der Stadt. Mit meinem Verdienst habe ich mir von da an alles selber finanziert. Mein Vater war von dieser niederen Beschäftigung für seinen Erben alles andere als begeistert. Es gab einen riesen Krach zu Hause, meine Mutter flehte mich an ihr keine Schande zu bereiten. Mit Tränen und allem was dazugehört. Irgendwann gaben beide auf und hatte dann sogar die Frechheit zu behaupten, dass dies dem Image der Familie sogar förderlich sein könne. Er könne die Verbundenheit zum einfachen Volk betonen. Charmant, ne? Dabei wollte ich nicht anderes als unabhängig sein. Nicht auch noch meinem Vater helfen!“, endete er verbittert.

„Heute kann ich auf alles, was ich selber geschafft umso stolzer sein und es auch mehr genießen. Für nichts was ich besitze stammte auch nur ein Cent aus dem Familienvermögen.“

Seine Logik war erstaunlich, ich konnte sie sogar nachvollziehen.

Ich lächelte ihn an.

„Verstehe ich. Du kannst echt stolz auf dich sein.“, sagte ich schlicht.

Die Spannung zwischen uns war unbemerkt einem leisen Einverständnis gewichen, sodass wir die letzten Minuten im Auto ein wenig Smalltalk betrieben.

Auf dem Polizeirevier in der Mountain Road empfing uns ein junger Officer freundlich und dankte uns für die Liste. Man würde sich melden, sobald ein Name auffiel oder weitere Erkundigen nötig werden würden. Zum Schluss bat uns Sheriff Rick persönlich in sein Büro. Es war ein kleiner Raum mit einem überfüllten Schreibtisch und Regalen, die jeden Zentimeter der Wände bedeckten. Akten und Bücher über Kriminalistik bildeten ein eindrucksvolles Chaos. Sheriff Rick stand auf und kam um seinen Schreibtisch herum.

„Schön Sie zu sehen, Mr. Jackson, Miss Liane. Ich möchte nur kurz mit Ihnen sprechen. Um es vorweg zu nehmen: Die Spurensicherung hat noch nichts ergeben.“

Wir setzen uns in den angrenzenden Besprechungsraum, der einen wesentlich aufgeräumteren Eindruck machte. Selbst die beiden Besuchersessel im Büro waren mit Akten überseht.

Sheriff Rick habe in dem Fall einen Profiler kontaktiert, da ihm einiges an der Sache nicht rund erschien. Nun schärfte er uns ein, der Profiler sei der Meinung, dass der Täter unberechenbar sei. Diese persönliche Komponente mit dem Teddy sei ein starkes Indiz für eine tiefe persönliche Abneigung gegen sein Ziel. Wir sollten von nun an immer ein Handy mit der Polizei auf der Kurzwahl bei uns führen. Es sei zwar nur eine Vorsichtsmaßnahme, aber man könne nicht vorsichtig genug sein. Leider könne die Polizei, wie schon gesagt, nicht viel mehr tun. Es würde noch etwas dauern, bis alle Spuren ausgewertet sein würden.

Wir verabschiedeten uns beim Sheriff, der sofort an seinen Schreibtisch zurückkehrte, sodass uns derselbe junge Officer wie zuvor hinein, aus dem Revier hinaus begleitete. Er hielt sich dabei auffällig nah bei mir auf und deutete einen Salut an, als er sich mit zwinkerndem Blick verabschiedete. Ich lachte und winkte noch einmal, als wir vom Hof fuhren.

Landons Miene war aus unerfindlichen Gründen leicht säuerlich und ich meinte, ein gemurmeltes „Schönling“ zu vernehmen. Meine Laune war allerdings schlagartig gestiegen und so summte ich munter einen Song mit, der nun im Radio lief.

Auf dem Rückweg hielten wir an einem Sicherheitsgeschäft, wo Landon mir ein Pfefferspray kaufte. Man wisse ja nie, kommentierte er das mit einem schulterzuckt. Zugleich kaufte er für das Haus eine neuartige Sicherheitsanlage mitsamt Kameras und Flutlicht. Der Techniker wurde noch für den gleichen Tag bestellt. Ich wollte gar nicht an die Summe denken, die er dafür hinblättern durfte. Als er mein verzagtes Gesicht sah, meinte er schmunzelnd:

„Keine Sorge. Du führst mich einfach mal schick aus, wenn du eine erfolgreiche Anwältin bist und ich alt und allein in diesem Haus verkümmere.“

„Vielleicht bist du dann schon verheiratet.“

„Auch in der Ehe kann man einsam sein.“, antwortete er überraschend.

Ein Schatten legte sich über sein Gesicht und ich machte ein fragendes Gesicht.

„Ich war einige Zeit verheiratet gewesen.“, fuhr er daraufhin fort, „Das ist jetzt etwa vier Jahre her. Ich reiste damals viel durch die Welt, hatte das College abgeschlossen und war in Europa sehr erfolgreich als Journalist unterwegs. Ich war glücklich und lernte dann diese wunderbare Frau kennen, der ich sofort  verfiel.“

Ich blickte ihn überrascht an, mit einer solchen Wendung unseres Gespräches hatte ich wirklich nicht gerechnet. Hatte Dana etwas davon gewusst? Verheiratet. Ein Stich der Eifersucht durchfuhr mich. Eine wunderbare Frau. Dieser Gedanke störte mich. Warum nur?

„Leider wusste ich damals nicht, wie oder wer sie unter der schönen Hülle ihres glamourösen Aussehens wirklich war. Sie war narzisstisch, brauchte andauernd Aufmerksamkeit und betrog mich, wann immer ich für einen Job in Europa unterwegs war. Das habe ich alles erst viel später herausgefunden, etwa ein Jahr nachdem wir ganz spontan und überstürzt in Paris geheiratet hatten. Ich hatte sie auf einer Party kennengelernt. Sie war mir sofort aufgefallen, wie sie da in der Mitte des Raumes stand und sich alles nur um sie zu drehen schien. Eines Tages dann wartete sie mit einer Reisetasche in der Hand in unserer Londoner Wohnung auf mich und verkündete, dass sie mich verlassen würde. Ich fiel aus allen Wolken. Sie fühlte sich nicht genug beachtet, vernachlässigt und warf mir jeden einzelnen Betrug an den Kopf. Ich war ganz ruhig, als sie mir noch ganz andere Gemeinheiten vorwarf. Sie sei nur eine Trophäe gewesen und ich hätte sie nie geliebt, weshalb sie sich in andere Arme flüchtete. Und sie hatte Recht, ich hatte sie nie geliebt, ja noch nicht einmal wirklich gemacht.“

Er holte tief Luft. Ich studierte sein Profil, während er stur nach vorn schaute.

„Weißt du was? Es wäre alles schlimm für mich gewesen, wenn es mir nicht so egal gewesen wäre, ob sie mich verließ oder blieb. Für mich zählte nur meine Karriere. Wir hatten uns wohl gegenseitig verdient. Ich war entsetzt, als mir das Ausmaß dessen bewusst wurde, was sich da zwischen uns beiden, diesen egoistischen Menschen, abgespielt hatte. Ich nahm mir vor, dass mir so etwas nie wieder passieren sollte. Ich habe sie nie wieder gesehen. Nach der Scheidung wollte ich lange niemanden mehr in mein Leben lassen.“

Er verzog noch immer gequält das Gesicht bei den Erinnerungen.

„Die nächste Frau in meinem Leben muss mir alles bedeuten. So darf es nicht noch einmal enden.“

 „Das weiß man doch vorher nie.“, meinte ich altklug.

„Vielleicht. Doch es wird funktionieren!“

Ob er wohl noch an Dana dachte?

Aber als ich ihn wieder ansah, schaute er mich mit einen intensiven Blick an, den ich nicht zu deuten wusste. Doch unter diesem Blick wurde mir wieder einmal ganz komisch zu Mute und ich spürte Hitze in mir aufsteigen. Bevor ich rot werden konnte, wandte ich den Blick ab. Das passierte mir in den letzten Stunden eindeutig zu oft!

Den ganzen Rückweg lang, dachte ich über dieses Gefühl nach. Die weichen Knie, die Schmetterlinge, die Eifersucht. Bis ich zu einem ziemlich sicheren, wenn auch entsetzlichen Schluss kam.

Ich hatte mich in diesen hinreißend arroganten Kerl verliebt!

VERDAMMT!

Das war mir wieder alles zu kompliziert. Was er wohl fühlte? Er war anscheinend die ganze Zeit besorgt um mich, doch war das ein Indiz für Gefühle? Ich überlegte hin und her, vor und zurück und kam zu keinem Ergebnis. Oder war es nur Pflichtbewusstsein, das ihn so für mich sorgen ließ? Er heilt immer noch seine zumeist arrogante Fassade aufrecht, auch wenn diese zumindest für mich kleine Risse zeigte. Die hatten ihn wohl in den letzten tagen für mich immer sympathischer gemacht. Mein Herz war wohl mal wieder schneller als mein verstand gewesen.

Letztlich bestärkten mich meine Zweifel allerdings in dem Entschluss, ihm nichts von meinen Gefühlen zu zeigen.

Ich zwang mich bewusst aus dem Fenster zu sehen, doch leider wanderte mein Blick immer wieder zurück zu seinem Profil. Ich musste es aus den Augenwinkeln einfach betrachten. Die leichten Falten um die Augen herum, der kleine Höcker auf der Nase und die kleine Narbe am Kinn. Wo er die wohl herhatte? Ich bezwang den Drang über die zu streichen. Wie wenig ich trotzdem noch von ihm wusste.

Er bemerkte wohl meinen Blick, denn er schaute zu mir und lächelte. Schnell wandte ich meinen Blick wieder ab und spürte wie ich diesmal wirklich rot wurde, als mir heißes Blut in die Wangen schoss.

Ich seufzte leise. Das wurden sehr lange fünf Monate werden, die ich wohl damit zubringen würde, meine Finger von ihm zu lassen. Selbst die wenigen Tage, die hinter uns lagen, erschienen mir schon unendlich lang gewesen zu sein.

 

Ich ließ mich etwas tiefer in den Sitz sinken und schloss die Augen. Ich spürte seine Wärme und seinen Körper förmlich neben mir. Ich hielt durch, solange bis wir am Haus ankamen. Dann stürzte ich förmlich in Haus und die Treppe hinauf, froh zumindest einem Moment seiner zermürbenden Präsens zu entkommen.

Den verschmitzten Blick, der mir folgte, bemerkte ich nicht.

 

16. Kapitel

16

Wieder saß die Krähe im Dunkeln. Allein und sehr zufrieden mit sich selbst. Die letzte Nacht war ein Erfolg gewesen. Da hatte sie den beiden einen schönen Schrecken eingejagt. Genüsslich stellte sie sich vor, wie beide panisch aus ihrem Schlaf aufgeschreckt waren, den beängstigenden Geruch von Rauch in der Nase und den Geschmack der Angst auf der Zunge.

Leider wurde das Feuer schnell gelöscht, wie sie später erfuhr.

Schade eigentlich, auch wenn sie die Beiden noch nicht hatte töten wollen. Die Betonung lag dabei auf dem „noch“.

Eine Rauchvergiftung bei dem einen oder dem anderen hätte ihr allerdings gut gefallen. So hätte die Göre noch etwas länger was von dieser Nacht gehabt.

Ihr Anschlag war, wie zu erwarten, Stadtgespräch. Jeder wollte alles wissen und immer mehr Gerüchte zogen ihre Kreise. Es wurde munter über den Täter spekuliert, über mögliche Motive, eine Überlegung absurder als die andere.

Am Meisten freute sie jedoch eine Entwicklung, an die sie nicht gedacht hatte. Die Tatsache, dass die kleine Laine-Schwester bei dem unnahbaren und reichen Landon Jackson wohnte, erregte reichlich Unmut und Argwohn. Er sei zwar durchaus nett und gutaussehend, doch bei seiner Vergangenheit kein Umgang für ein tugendhaftes junges Mädchen. Da waren sich alle einig. Da niemand genaueres wusste, mutmaßten viele, dass sich der Anschlag gegen Landon gerichtet habe. Er würde die kleine Liane sicher in Gefahr bringen.

                Die Krähe amüsierte sich herrlich über diese kleinbürgerliche Spießigkeit und die Empörung gegenüber dieser unorthodoxen Wohngemeinschaft.

Sie war auch sehr zufrieden mit ihrer schauspielerischen Leistung in diesen Tagen des allgemeinen Aufruhrs. Unerkannt bewegte sie sich mitten unter ihnen, in ihrer Verkleidung als eine andere Person, ihrer Legende. Sie tat so geschockt wie alle anderen, wann immer sie angesprochen wurde oder sich in ein Gespräch einmischte. Sie war sich sicher, dass niemand sie im Verdacht haben würde. Nicht einmal die Polizei würde ihr alter Ego verdächtigen.

Den Teddy hatte sie jetzt schon so lange bei sich versteckt gehabt, dass es ihr fast schwerfiel in zurückzugeben. Auf diese besondere Art und Weise war er doch ein Geschenk gewesen. Spuren musste sie nicht befürchten, denn sie hatte ihn abgekocht und danach nur noch verpackt berührt und aufbewahrt.

Schwer fiel es hier hingegen, sich die Verletzung nicht anmerken zu lassen, die sie sich auf ihrer Flucht durch den Wald zugezogen hatte. Sie war so berauscht gewesen, dass sie schnell unvorsichtig geworden war. Auf dem unebenen Waldboden war sie gestolpert und hatte sich den Knöchel verstaucht. So biss die Zähne zusammen, denn eine sich die Schmerzen beim Gehen anmerken zu lassen, hätte nur neugierige Fragen bedeutet. Und die konnte sie nicht gebrauchen.

Die Krähe hatte sich zusammengerissen, auch wenn jeder Schritt die Hölle war. Schließlich stand ihr ganzer Plan auf dem Spiel. Er musste schnell und sorgfältig zugleich ausgeführt werden, damit Crow ihre Rache bekam, bevor jemand auf sie aufmerksam wird.

Geduld zu haben, wenn man schon Jahre gewartet hat, war eine große Herausforderung. Immer wenn die Ungeduld und Anspannung sie schier zu zerreißen drohten, versuchte sie sich ins Gedächtnis zu rufen, wie sehr sie ihren Sieg genießen würde. Nur noch eine kleine weile durchhalten, sagte sie sich immer und immer wieder.

Die Krähe kniete sich vor das neu gerahmte Bild. Hass ist Liebe, Liebe wird zu Hass.

Aber eines wusste sie und strich dabei wieder über das verhasste Gesicht der jungen Frau:

Sie würde Crow nicht entkommen.

17. Kapitel

17

Der Rest des Sonnabends verlief dann ruhig und irgendwann traute ich mich auch wieder aus meinem Zimmer heraus. Ich muss an dieser Stelle gestehen, dass man mich mit guten chinesischen Essen hinter jedem Ofen hervorlocken könnte. Landon hatte in weiser Voraussicht ein Rundum-Sorglos-Paket vom hiesigen Chinesen geordert.

Dana rief noch einmal  an, als ich gerade mitten in einer apokalyptischen Vernichtung von Orange Chicken und Chow Mein steckte. Sie wollte sich nach dem neusten Stand der Ereignisse erkundigen, doch viel konnte ich ihr nicht berichten. Landon hatte sie elegant verkrümelt. Sie legte erst auf, als ihr auch zum hundertsten Male versichert hatte, dass alles in Ordnung sei.

Aber war es das wirklich? Als die Sonne unterging, stand ich an der neuen Terrassentür und blickte auf den Wald. So dicht und undurchdringlich, wie er in den immer länger werdenden Schatten erschien, so kam er mir zum ersten Mal in meinem Leben unheimlich vor. Er erschien gefährlich. Dabei hatte ich als ich klein war, viel in den Wäldern gespielt und nie Angst empfunden.

Ich spürte wie Landon hinter mich trat und bemerkte überrascht, wie er seine Arme um meine Taille legte. Er ließ sein Kinn auf meine Schulter sinken. Ich wollte herumfahren, doch er hielt mich fest und flüsterte beruhigend:

„Psst, alles okay. Nur ein wenig. Einen kleinen Moment, bitte.“

Da hielt ich still und wir sahen gemeinsam zum Wald hinüber. Eine scheinbare Ewigkeit später, die ich angespannt wie ein Bogen dastand, stellte er besorgt fest:

„Du zitterst ja.“

Ich wusste nicht warum, doch seine sanfte Stimme brachte mich dazu, mich endlich zu entspannen. Ich lehnte mich gegen seine Brust. Widerstand erschien mir in diesem Moment sinnlos, daher schloss ich die Augen und sog seinen Duft tief ein. So standen wir noch eine ganze Weile, ohne ein Wort zu sagen. Wärme breitete sich langsam in meinem Bauch aus.

Als es an der Tür klingelte, fuhren wir beide erschrocken zusammen. Der Zauber war dahin. Landon löste sich scheinbar nur sehr widerstrebend von mir. Er ging zur Tür und ließ mich ein weiteres Mal verwirrt und im Aufruhr meiner Gefühle zurück. Unsicher folgte ich ihm

Nichts in seinem Gesicht verriet auch nur eine Spur von seinen Gefühlen oder der Verletzlichkeit, welche eben noch in seiner Umarmung zu spuren gewesen war. Völlig gefasst öffnete er die Tür.

Kalt und beherrscht sah er Meggi, die schon hibbelig davor stand. Ich war beeindruckt, doch wenn er kalt war, würde ich die Eiskönigin sein. Er bat Meggi herein und deutete ihr, sich auf die Couch zu setzen. In ihrem Harr funkelten Tropfen des leichten Regens, der wenige Minuten zuvor eingesetzt hatte.

Landon gab sich resigniert, als er sich Meggi gegenüber niederließ. Ich setzte mich neben ihm, doch im Gegensatz zu ihm fiel es mir alles andere als leicht, gelassen zu sein und mir nichts anmerken zu lassen; vor allem meine Abneigung gegen Meggi. Also griff ich nach Moé, die auf ihrem Weg durch das Wohnzimmer einen amüsant großen Bogen um unseren Gast geschlagen hatte. Ich setzte sie mir auf den Schoß. Ihr Schnurren hatte mich schon immer beruhigt.

„Also Meggi, was führt dich nach so unerfreulich kurzer Zeit wieder zu uns?“, fragte Landon mit einer Freundlichkeit, die nicht zu seinen worten passte.

Ich hätte sie am liebsten geschlagen, wie sie da unschuldig, schön und blass saß, wie eine zarte Puppe und ihr aufgerissenen, glänzenden Augen wie Suchscheinwerfer auf Landon richtete.

„Ich mache mir Sorgen um dich, um euch.“

Es folgte ein kurzer Seitenblick zu mir.

„Ich frage mich, ob es nicht sicherer wäre, wenn Eri erst einmal zu mir kommen würde, bis dieser Verrückte gefasst ist.“

Ich wollte gleich protestieren, doch vorher schon ergriff Landon das Wort. Das schien bei ihm zur Gewohnheit zu werden, wobei ich das weniger seinen mangelnden Manieren – diese waren nämlich mehr als vollkommen – sondern eher meiner scharfen Zunge zuschrieb. Ein weiser Mann.

„Ich halte das für keine gute Idee. Hier ist sie so sicher wie sonst wo auch. Der Täter wird wissen, dass wir nun wachsam sind. Er wird kaum noch eine Chance haben uns in diesem Haus wieder zu überrumpeln. Wenn er Eri kennt, kennt er auch dich und wird sie auch bei dir problemlos finden. Damit wäre nichts gewonnen. Also werde ich mich hier weiterhin um sie kümmern.“

Er warf mir ein schiefes Lächeln zu und drückte kurz meine Hand. Ein Schauer rieselte über meinen Rücken. Ich bemerkte wie sich Meggis Augen aufgrund unserer Vertrautheit kurz missbilligend verengten.

Ihre nächsten Worte sollten meinen Verdacht bestätigen.

„Vielleicht solltest du auch an Eris ruf in dieser Stadt denken. Die Leute reden schon. Eri ist hier sehr beliebt. Und du Landon, nun ja, du genießt eher einen zweifelhaften Ruf.“

Sie zeigte anklagend auf Landon. Diesmal ergriff ich das Wort.

„Vielen Dank für diese Einschätzung.“, giftete ich sie an.

„Ich denke, jeder in der Stadt weiß genau, dass meine Schwester eine gute Menschenkenntnis hat und vertraut daher ihrem Urteil. Schließlich bist du ja auch mit ihr befreundet. Also vertrau ihr, dein ruf ist auch nicht grad der beste.“

Das hatte gesessen und ich war durchaus zufrieden mit der Wirkung meiner Worte. Daher lehnte ich mich zurück. Ein Seitenblick sagte mir, dass sich auch Landon amüsierte, denn seine Mundwinkel zuckten verdächtig.

„Schön.“

Meggi stand verärgert auf.

„Schön.“, wiederholte sie und zupfte ihren Rock zurecht, „Wenn ihr meine Hilfe nicht wollt. Aber ich werde Dana anrufen. Vielleicht kann sie euch zur Vernunft bringen.“

Damit stolzierte sie zur Tür, die Landon ihr schon galant aufhielt. Es war erstaunlich, wie schnell er sie überholt hatte. Auf der Schwelle drehte sie sich noch einmal um, doch bevor sie noch etwas sagen konnte, hatte ihr Landon schon mit einem breiten Grinsen die Tür vor der Nase zugeschlagen.

Er schlenderte langsam auf mich zu.

 

„Ich habe den Eindruck, du möchtest wirklich gerne hier bleiben.“, sagte er und grinste breit.

Moment mal. Die Stimmung schlug schlagartig in eine beunruhigende Richtung um. Er grinste wie ein Wolf. Seit wann war jede Distanz zwischen uns verschwunden und diesem spielerischen Umgang miteinander gewichen? Ich durchforstete angestrengt mein Gedächtnis, doch noch bevor ich zu einem Ergebnis kommen konnte, stand er gefährlich nah vor mir.

„Äh, ich wollte Moé nur nicht allein hier lassen.“, stotterte ich sinnlos und wich zurück, bis ich die Wand in meinem Rücken spürte. Ich saß in der Falle. Er folgte mir und drückte mich dichter an die Wand.

„Ich …“, versuchte ich ein letztes Mal.

„Ja?“

Mein Kopf war leer. Die letzten Gedanken verabschiedeten sich, als seine Hand von meinem Ohr zu meinem Kinn strich. Er hob es leicht an.

„Also?“, flüsterte er, während ich ihn mit großen Augen ansah und er meinen Blick erwiderte.

Ich gab einen halb hilflosen, halb frustrierten Laut von mir. Landon deutete ihn richtig und küsste mich.

Ich hatte das Gefühl als würden meine Beine jeden Augenblick nachgeben. Er löste sich kurz von mir und legte besorgt den Kopf schief, als ich ihn immer noch mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. Dann lächelte er mich strahlend an und küsste mich ein weiteres Mal.

Diesmal schloss ich die Augen und genoss den Kuss. Ich schlang meine Arme um seinen Hals und er lachte leise in sich hinein.

Ich war danach nicht mehr in der Lage irgendetwas Vernünftiges herauszubekommen. Mein Gehirn war von Millionen von Endorphinen betäubt. Man, konnte der küssen.

Landon brachte mich kurze Zeit später noch bis zu meiner Zimmertür. Er flüsterte ein Gute Nacht in mein Ohr und jagte einen weiteren Schauer über meinen Rücken. Der Mann war einfach zum Anbeißen. Und ich war im Moment nichts weiter als ein Teenager im Bann seiner Hormone.

Das konnte ja noch lustig werden. Irgendwie und irgendwann waren wir vor kurzem in diese Situation hineingestolpert. Noch heute, Jahre später, kann ich nicht genau sagen, wann das alles angefangen hatte. Vielleicht lag es daran, dass ich dort, in seinem Haus, den echten Landon hinter der Fassade des zynischen jungen und vom Weltschmerz gezeichneten Mannes blicken konnte.

Endlich lösten wir uns und ich machte schnell hinter mir die Tür zu. Im nächsten Augenblick musste ich mich dagegen lehnen, um nicht umzufallen. Ich atmete tief durch. Ich fiel anschließend auf mein Bett und rappelte mich nur noch einmal mühsam auf, um Moé ins Zimmer zu lassen.

Ich dachte noch eine Weile nach und kam dann zu dem Schluss, dass vielleicht doch nicht die schlechteste Wendung war, die unser Leben da nahm.

Lächelnd beschloss ich es der leise schnarchenden Katze gleichzutun.

Nachdenken konnte ich morgen immer noch.

18. Kapitel

18

Am nächsten Morgen blieb ich noch etwas liegen und rekapitulierte die Ereignisse des vergangenen Tages. Besser gesagt, den Abend.

Man sollte meinen, dass mir vor allem der Schreck über das angezündete Haus Sorgen machen würde. Doch meine Gedanken drehten sich nur um Landon und unseren Kuss. Ich stand optimistisch auf, wobei eine kleine Stimme in meinem Kopf fragte, wie Landon wohl bei Tageslicht reagieren würde.

Ich beschloss mich sorgfältiger als sonst anzuziehen. So schubste ich Moé vom Kissen, um meine Garderobe besser auf dem Bett ausbreiten zu können. Nach einigem hin und her entschied ich mich für eine marineblaue Bluse und eine schwarze, gutsitzende Jeans. Ich schminkte mich sogar ein wenig sorgfältiger als sonst. Lächelnd stellte ich fest, dass dies das erste Mal war, das ich mir für einen Mann solche Mühe gab. Und darüber nachdachte, wie ich auf einen Mann wirkte.

Nach einem letzten prüfenden Blick in den Spiegel  lief ich die Treppe hinunter. Ich schaute vorsichtig um die Ecke. Landon stand an der Küchentheke und bereitete Frühstück für uns zu. Als er mich sah, lächelte er mich strahlend an. Mein Magen schlug Purzelbäume.

„Guten Morgen.“ Sagte er und zog mich zu sich, um mir einen Kuss zu geben. Noch mehr Purzelbäume. Ich hatte wieder das Gefühl kein Wort herauszubekommen und bevor ich nur idiotisches Gestammel von mir gab, sagte ich lieber nichts und schlang meine Arme um seinen Nacken. Der Kuss wurde intensiver, bis ich kaum noch Luft bekam und ich mich von ihm lösen musste.

„Guten Morgen.“, hauchte ich dann doch noch.

Zum Frühstück aß Landon selber kaum etwas, sondern saß mir mit den Kopf auf verschränkten Händen gestützt gegenüber und beobachtete jede Geste und Bewegung ganz genau.

„Was?“, fragte ich schließlich entnervt.

„Nichts.“, antwortete er mir noch lächelnd, „Ich versuche nur mehr über dich zu erfahren.“

„Aha.“

Ich kaute weiter an meinem Toast.

„Deine Schwester hat angerufen.“

„Ja? Wann?“

„Vor etwa einer Stunde. Alles okay. Ich habe mit ihr geredet und ihr versichert, dass du in guten Händen bei mir bist.“

Er sah mein entsetztes Gesicht.

„Keine Sorge. Mehr habe ich nicht gesagt.“

Da war ich wirklich erleichtert gewesen. Trotzdem zog sich mein Magen schmerzhaft zusammen. Er musste meinen gequälten Gesichtsausdruck bemerkt haben, denn er fragte besorgt:

 „Alles in Ordnung?“

Was sollte ich sagen?

„Du. Dana.“, war alles was ich herausbrachte.

Er sah mich fragend an, denn zeigte sein Gesicht, dass er verstanden hatte. Und das er sich an unser erstes Gespräch erinnerte.

„Oh. Das.“

Eine lange Pause entstand, während er nach worten zu suchen schien.

„Wie soll ich dir das erklären? Reichen da Worte, wie: Das war einmal? So einfach ist das nicht. Verstehst du?“

Er schien weiter zu grübeln. Ich dachte schon, mir würden Tränen der Enttäuschung aufsteigen. Verdammte Hormone.

„Es ist noch viel einfacher!“, fuhr er besänftigend fort, „Du hast den letzten Rest von ihr – sentimentale Erinnerungen die schon lange keine Gefühle mehr waren, aus meinem Kopf vertrieben und dich langsam aber stetig in mein Herz geschlichen.“

Er sah mir tief in die Augen.

„Kannst du folgen?“

Ich nickte. Er kam um den Tisch herum zu mir und zog mich in eine Umarmung. Ganz beruhigt war ich zwar nicht, doch vorerst musste das genügen. Nur ein leicht nagendes Gefühl blieb zurück.

„Ich bringe dich morgen wieder zur Schule.“, wechselte er das Thema.

„Was? Nein!“, rief ich entsetzt.

„Warum?“

„Ich möchte nicht schon wieder auffallen!“

Er sah mich verblüfft an.

„Ohje, du meinst das ernst oder? Hast du schon einmal in einen Spiegel gesehen? Weißt du, du fällst immer auf, so wie du mir am Tag der Verlobungsfeier aufgefallen bist. Ich war sehr überrascht, dass das kleine ernste Mädchen eine so schöne, junge aber immer noch ernste Frau geworden ist.“

Er lächelte so liebevoll, dass mir ganz anders wurde.

„Und? Möchtest du eigentlich immer noch Anwältin werden?“

 „Ja, woher? Achso, Dana. Von ihr weißt du das. Ja, ich möchte noch Jura studieren.“

„Du wirst sicher großartig sein.“

„Das weißt du doch gar nicht.“

„Doch, weil du großartig bist. Das liegt bei euch in den Genen.“

Ich schaute skeptisch und wurde dann bei dem Ernst der in seinen Augen lag prompt rot. Doch er lächelte mich nur weiter an. Widerspruch zwecklos. Ich ahnte ja, dass er mich vielleicht auf den Arm nahm, doch insgeheim freute ich mich über seine Begeisterung und Zuversicht. Hatte ich ihm tatsächlich erst vor wenigen tagen dort auf der Couch gegenüber gesessen und versucht ihn nieder zustarren?

„Was hast du heute vor?“, wechselte er wieder das Thema.

„Nichts eigentlich. Lernen.“

„Gut, dann hast du ja ein wenig Zeit für mich. Ich möchte dir etwas aus meinem Leben erzählen. Ich weiß sehr viel über dich, du aber kaum etwas über mich, stimmts? Wir fangen erstmal mit dem Fotoalbum an. Ich möchte dir meine Familie zeigen.“

Ich war ziemlich überrascht, dass er nun mit fast kindlichem Eifer an die Sache heranging, denn er kramte schon in einer alten Kommode nach den Alben.

„Komm, hol Moé.“

Er klopfte neben sich auf das Sofa, auf dem er plötzlich mit einem Stapel in Leder gebundene Fotoalben saß und strahlte. Also setzte ich mit Moé auf dem Schoß zu ihm. Er zog mich in seine Arme und ich kuschelte mich mit dem Rücken an ihn, während er anfing in dem ersten Buch zu blättern. Er zeigte auf ein Foto und begann zu erzählen.

„Das hier sind meine Mutter Judy und mein Vater Thomas bei ihrer Hochzeit.“

Das Foto zeigte ein junges, attraktives Paar von Anfang zwanzig, das in die Kamera lächelte. Seine Mutter war eine schöne Frau. Sie hatte Landons Augen und eine schmale Gestalt. Ich war mir sicher, dass sie auch heute noch umwerfend attraktiv sein würde, obwohl ich sie fast zehn Jahre nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte. Sein Vater hingegen war ein eher kräftiger Mann, groß und mit einem Schnurrbart, doch mit dem Körperbau eines Ringers. Er sah nicht besonders gut aus, hatte aber selbst auf dem Foto diese Art Ausstrahlung, der Frauen reihenweise verfielen. Damals und heute würden sich ihm sicher Unmengen von Frauen an den Hals werfen. Schon auf dem Bild schienen seine Wangen zum Hängen zu neigen, dass deckte sich mit den wenigen Erinnerungen auf den Stadtveranstaltungen, die ich von ihm hatte.

Er hatte als Industrieller oft auf diesen Versammlungen gesprochen und ich erinnerte mich an seine unglaubliche Präsens und die tiefe volltönende Stimme. Den Charme hatte Landon von ihm, dass Aussehen eher von seiner Mutter. Doch sein freundliches Gemüt, wenn er nicht grad kalt oder muffelig war, hatte er eindeutig von keinem von beiden. Seine Mutter war eher die kühle Schönheit geblieben, klein und immer noch sehr schlank. Sie hatte mit ihrer Stellung gerne die Menschen um sich herum manipuliert. Wenn man das Verhältnis von Landon zu seinen Eltern sah, war es nicht verwunderlich, dass er sich gegen diese beiden herrschsüchtigen Menschen aufgelehnt hatte.

Landon blätterte weiter. Als nächstes folgten einige Baby- und Kleinkindfotos von Landon. Er war so süß gewesen. Dann kam ein Bild von einem kleinen missmutig dreinschauenden blonden Mädchen.

„Meine Schwester Celine.“, kommentiert Landon, „Sie ist sehr eigenwillig. Man könnte auch einfach sagen, sie ist verzogen. Meine Mutter hatte sich immer ein Mädchen gewünscht. Als dann drei Jahre nach meiner Geburt Celine zur Welt kam, war sie der Augenstern meiner Eltern. Bis heute hat sie immer alles bekommen, was sie wollte. Sie studiert in Harvard Literatur. Das sieht im Lebenslauf immer sehr gut aus. Mein Vater hat sich mit einer großen Spende für die Universität ins Gedächtnis gebracht. Nur ihre Noten hätten erstaunlicher Weise nicht ausgereicht.“

Er sagte das nicht ohne Bitterkeit, doch schien sich der Groll nicht gegen seine Schwester zu richten. Weitere Bilder folgten und ich sah immer weitere Mitglieder dieser außergewöhnlich attraktiven Familie.

„Mein Onkel Johann, Tante Betsy. Kling wie ein Klischee oder? Sie ist die Schwester meines Vaters. Das ist mein kleiner Cousin James. Wie es aussieht werden er und meine Schwester die Bürden des Jackson-Imperiums erben. Er ist grad erst mit der Schule fertig und studiert jetzt, ebenfalls in Harvard, Wirtschaft. Allerdings mit seinen eigenen sehr guten Noten.“, fügte er stolz hinzu.

James war eher klein, hatte wuschelige Haare, eine Brille und strahlte eine unglaubliche Ernsthaftigkeit für einen so jungen Mann aus.

„Er wurde eine Art Ersatzsohn für meine Eltern, nachdem sich herausstellte, dass der leibliche Sohn zu nichts zu gebrauchen ist. Ich glaube, manchmal versuchte mich meine Mutter mit den Resten ihrer Mutterinstinkte für mich, mich vor meinem Vater in Schutz zu nehmen. Doch so stark sie auch immer wirkte, hatte sie nie die Kraft sich wirklich ihn aufzulehnen. Heute ist sie allerdings ein wenig anders als früher, nicht mehr so geblendet vom Reichtum und von ihm.“, verteidigte er seine Mutter.

Ich sah Landons ruhiger Miene an, dass diese Wunden schon eine Zeit verheilt schienen. Ich glaubte nicht, dass er sich jemals jemanden so geöffnet hatte, wie mir in diesem Moment.

Ich kuschelte mich wieder an ihn und ließ mich von seinen Erzählungen einhüllen, während der Vormittag verging. Wir aßen eine Kleinigkeit zu Mittag und bestellten zum Abend Pizza. Den Nachmittag verbrachten wir mit einigen Filmen ebenfalls auf der Couch.

In dieser Nacht schlief ich bei ihm im Bett, allerdings fest in meinen Schlafanzug gehüllt. Als er mir diesen Vorschlag machte, während ich noch beim Zähneputzen war, hatte ich mich vor Schreck fast verschluckt. Doch er lächelte nur über meine Miene und meinte lakonisch, dass Sex nicht in seiner Absicht stand. Zumindest heute nicht, fügte er schelmisch hinzu. Er wolle nur nicht alleine schlafen. Bevor ich antworten konnte, hatte er mich hochgehoben, in sein Bett gebracht und sich an mich gekuschelt. Er hatte noch eine „Gute Nacht“ gemurmelt und mich fester in seine Umarmung gezogen. Kurze Zeit später schlief er schon, während mein Herz noch immer raste.

Ich lag da und ruckte versuchsweise an meinen Armen. Keine Chance. Die saßen fest, also ergab ich mich und versuchte, trotz der unanständigen Bilder in meinem Kopf, einzuschlafen.

19. Kapitel

19

Was für ein schönes Bild, wie die beiden dort zusammen auf dem Sofa lagen, dachte Crow. Sie spähte zwischen den Bäumen hindurch und beobachtete die Szenerie stundenlang unentdeckt. Bewegungslos lauerte sie dort, bis die Sonne unterging. Sie unterdrückte ihre Wut und wartete auf die schützende Schwärze der Nacht, die sie wie ein sanftes Tuch umfing. Die Dunkelheit war ihr Schutz und ihre Verbündete. Sie hatte sogar ein Foto von dieser anheimelnden Szene machen können. Das Bild würde sie anonym im Internet verbreiten, ein Hoch auf die moderne Technik. Man würde die Kleine dann ganz schnell wieder hier wegholen.

Die beiden würden unter dieser Trennung leiden, so wie die Krähe noch immer zu leiden hatte. In diesem Moment erhoben sich die beiden von der Couch und gingen die Treppe nach oben. Ohje. Ob das der Schwester gefallen würde? Bald wurde auch im oberen Stockwerk das Licht gelöscht. Doch sie verharrte noch eine weitere Stunde beinahe regungslos, um sicher zu gehen, dass die Hausbewohner auch wirklich schliefen.

Dann löste sie sich aus den Schatten und näherte sich dem Zaun. Sie wusste, dass die neuen Bewegungssensoren am Haus nicht nur auf Bewegung sondern auch oft Wärme reagierten, also hätte sie den Stromkreis unterbrechen müssen. Doch sie wollte nicht das Risiko eingehen, dass das vielleicht schon einen Alarm auslöste. Also entschied sie sich für Plan B.

Crow holte einen Farbbeutel aus ihrem Rucksack und warf ihn mit ganzer Kraft gegen die Fassade. Der Beutel zerplatzte beinahe lautlos und  gab die blutrote Farbe in seinem Inneren frei, die nun in langen Rinnsalen langsam die Wand hinunterlief. Es folgten noch mehrere Beutel. In kleinen Lachen sammelte sich die restliche Farbe auf der Terrasse. Sie bedauerte, dass sie keine Botschaft schreiben konnte, doch nach dem letzten Beutel, war sie sich sicher, dass niemand mehr den Kontext missverstehen konnte.

Mit einem anonymen Brief huschte sie im Schutz der Dunkelheit um das Haus herum und warf ihn schnell in den Briefkasten. Es hatte auch seine Nachteile so abgelegen am Stadtrand zu wohnen. Die Krähe flog fast wieder in den Wald, denn sie konnte nicht wissen, ob sich nicht doch noch ein Auto nähern würde.

Voller Vorfreude auf den nächsten Tag, suchte sie sich ihren Weg zurück durch den Wald. Diesmal ganz langsam und eins mit der Nacht werdend. Sie fühlte sich wie ein Raubtier, dass die Schlinge um sein Opfer immer enger zog.

Und schon bald würde sie zuschlagen.

20. Kapitel

20

In dieser Nacht schlief ich trotz Landons Nähe schlecht. Ich hatte Alpträume von brennenden Häusern. Immer wieder versuchte ich Dana aus den Flammen zu führen, bis mich Landon aufweckte. Ich zitterte in seinen Armen und hielt mich verzweifelt an ihm fest. Er redete beruhigend auf mich ein. Irgendwie fanden meine Lippen seine. Eines führte zum anderen und lange Zeit dachte ich an nichts mehr außer ihm.

Als ich am nächsten Morgen entspannt erwachte, fiel mir schlagartig das Geschehen der vergangenen Nacht wieder ein. Mir schoss das Blut in die Wangen. Ich setzte mich schnell auf. Arg! Wie hatte das nur passieren können?

Ich blickte zu der schlafenden Gestalt neben mir und erinnerte mich an seine kundigen Hände. Miene Wangen kochten jetzt förmlich. Wie sollte ich ihm je wieder in die Augen sehen? So war das definitiv nicht geplant gewesen.

Ich ließ mich ermattet zurück in die Kissen sinken. Haltung bewahren hieß jetzt die Devise. Dann lächelte ich doch noch, denn ich fühlte mich ausgezeichnet.

Landon regte sich, tastete nach mir, kuschelte sich an und murmelte: „Guten Morgen.“

Dann öffnete er ein Auge und blinzelte mich schmunzelnd an. Ich wurde sofort wieder rot und rückte ein Stück weg.

„Komm her.“

Er streckte seine Arme nach mir aus, doch ich war schon bis zur Bettkante gerutscht.

 

„Ich muss zur Schule.“, antwortete ich. Ich ahnte was er vorhatte, doch im grellen Licht des Tages wäre ich wohl vor Scham im Boden versunken.

Ich wickelte mich umständlich in meine Decke, stand dann auf und wäre fast hingefallen, als ich über die Decke stolperte. Landon beobachtete mich fasziniert, dann brach er in schallendes Gelächter aus. Ich versuche würdevoll zum Badezimmer zu gelangen, während Landon hinter mir immer noch lachte.

Fünfzehn Minuten später kam ich die Treppe herunter. Landon war bereits damit beschäftigt mir Essen für die Schule zuzubereiten.

„Bist du fertig?“, fragte er mich munter und sah mich mit einem Lächeln an, „Ich bring dich zur Schule.“

„Nein. Ich fahre mit dem Bus.“

Dabei schweifte mein Blick zur Terrasse, um zu sehen, was für ein Wetter war.

Ich versteifte mich, als ich rote Lachen auf dem Terrassenboden sah. Blut. Ich schrei auf. Landon fuhr herum, sah mein entsetztes Gesicht und folgte meinem Blick nach draußen. Seine Miene versteinerte.

„Warte hier.“, wies er mich an und ging langsam zur Tür. Am Türknauf verharrte seine Hand kurz, doch dann drehte er ihn langsam und ging hinaus. Mir fiel sofort der seltsame Geruch auf, der ins Wohnzimmer strömte. Als ich ihn erkannte, meinte Landon schon erleichtert:

„Es ist nur Farbe.“

Er kniete vor einer Lache und tauchte zwei Finger hinein.

„Alles okay, Eri. Ruf bitte die Polizei. Die Rückwand sieht nicht besonders gut aus.“

Er verzog das Gesicht.

Ich tat wie geheißen, dann trat ich zu Landon ins Sonnenlicht, um den Schaden zu begutachten. Doch darauf, was ich nun erblickte, war ich nicht vorbereitet. Die Farbe glänzte feucht im Licht, rot wie Blut.

Ich konnte die ganze Wut und den Hass spüren, der hinter dieser Tat stehen musste. Wut gegen mich. Landon führte mich behutsam ins Wohnzimmer zurück, während ich wieder angefangen hatte zu zittern. Ich hatte das ungute Gefühl, dass mir jemand nun wirklich ernsthaft Angst machen wollte. Und ja, es funktionierte. Meine Gedanken rasten, bis endlich die Polizei eintraf.

Landon ließ die Beamten herein, wechselte ein paar Worte mit ihnen und führte sie mit kurzem Gruß zu mir auf die Terrasse.

Sheriff Rick sah sich das ganze Ausmaß der Zerstörung einige Sekunden schweigend an. Dann griff er zum Handy und fing an zu telefonieren, während der junge Officer sich mit Landon unterhielt und einige Notizen machte.

Etwa zehn Minuten später klingelte es wieder an der Tür und Landon ließ einen geschäftigen Fotographen und die Spurensicherungsbeamte herein und diese machten sich gleich an die Arbeit.

Ich saß die ganze Zeit recht teilnahmslos auf der Couch, bis sich endlich Landon neben mich und Sheriff Rick mir gegenüber setzten.

„Eri, wie geht es Ihnen?“, fragte der Sheriff besorgt, während Landon meine Hand hielt.

„Gut soweit. Ich verstehe das alles nur nicht.“

Er nickte verständnisvoll.

„Ich muss Ihnen leider noch ein paar Fragen stellen.“

„Erinnerst du dich an einen gewinnen Thomas Jones?“

Ein Schreck fuhr mir in die Knochen und das Bild eines hageren Jungen stand mir vor Augen. Ich kannte ihn eigentlich nur unter dem Namen „T“, doch er hieß Thomas. Ich hatte schon von ihm erzählt. Der Sheriff und Landon mussten meine Reaktion von meinem Gesicht abgelesen haben. Sollte er etwa der Grund für diese Misere gewesen sein? Eine Tat aus Eifersucht vielleicht, von einem zurückgewiesenen jungen Mann? Das wollte ich nicht glauben.

„Wie kommen Sie auf ihn?“, fragte ich mit einem Kloß im Hals und spürte Landons Blick noch intensiver auf mir. Ich drückte seine Hand.

„Er war auf der Liste deiner Geburtstagsgäste und jetzt ist er verschwunden.“

Das war mir neu, offiziell hieß es, er sei zu Verwandten gezogen. Und das er damals auf meinem Geburtstag gewesen ist, wusste ich, hatte dem aber keine Bedeutung beigemessen. Ein teil diese verschwommenen Bildes in meinem Kopf wurde langsam klarer, doch noch immer wusste ich nicht, was ich darauf erkennen sollte.

Dass ich mich an vieles nicht mehr genau erinnern konnte, überraschte mich nicht. Das ging mir mit vielen Dingen so in den ersten Jahren nach dem Tod meiner Eltern. Alles erschien verschwommen, unklar, zusammenhangslos. Ein Schutzmechanismus, da diese Zeit noch von zu viel Schmerz überlagert worden war.

Irgendwann habe ich mich wieder gefangen und auch wieder bewusst gelebt, doch gerade der Teil, der uns vielleicht antworten bringen könnte, liegt noch in den hintersten Winkeln meines Gedächtnisses begraben.

Das Bild, das sich so langsam zusammensetzte, zeigte eine vergnügte Szenerie, doch irgendetwas stimmte daran nicht. Ich konnte einfach nicht den Finger darauf legen.

Konnte „T“ alias Thomas wirklich damals schon meinen Teddy genommen haben?

„Kanntest du Thomas gut?“, riss mich der Sheriff aus meinen Gedanken. Alle beide sahen mich neugierig an.

„Nicht besonders.“, antwortete ich ausweichend.

„Aber?“, harkte Sheriff Rick nach.

Ich seufzte und erzählte mit einigem Widerwillen die ganze unseelige Geschichte, mit seiner Obsession auf mich und so weiter.

Ich spürte, wie sich Landon neben mir versteifte, während die Augen des Sheriffs interessiert aufblitzen. Sein Gehilfe überschlug sich fast beim Mitschreiben.

Endlich endete ich. Ich bemerkte erst jetzt, dass meine Stimme zunehmend immer unsicherer geklungen hatte. Ich hatte noch immer Angst vor diesem Verrückten.

„Wir müssen dem Nachgehen.“, meinte der Sheriff ernst.

Ich nickte.

„Gibt es Zeugen für diese Episode?“

„Nein, nur Dana habe ich damals davon erzählt.“

In diesem Moment betrat ein aufgeregt dreinschauender Officer den Raum und ging mit schnellen Schritten auf den Sheriff zu. Er überreichte ihm einen Gummihandschuh und hielt ihm dann einen Brief hin. Der Sheriff blinzelte kurz irritiert, zog sich dann jedoch den Handschuh über, um den Umschlag spurenschützend anfassen zu können. Er öffnete den Umschlag, klappte den Brief auf und las in kurz durch. Das ging sehr schnell, denn schon zeigte er ihn Landon und mir. Ich zog scharf die Luft ein.

In sauberer Handschrift stand dort:

„SIE gehört mir!“

Diese Botschaft war in roter Farbe geschrieben. Dann dreht Sheriff Rick den umschlag so, dass wir auch dessen Aufschrift lesen konnten.

Landon Jackson

Mehr stand dort nicht.

Meine Hand suchte wieder seine und sein Händedruck war fast schon schmerhaft fest.

„Ich würde sagen, „ meinte der Sheriff, „wir haben ein Problem.“

Ach was, dachte ich mit dem letzten Rest des mir verbliebenen Sarkasmus.

 

21. Kapitel

21

„Die Frage ist jetzt nur, wer von Ihnen beiden das eigentliche Ziel ist. Mal scheinen Sie es zu sein, Mr. Jackson, Mal Sie Eri. Wir können den Täter daher auch nur sehr schwer einschätzen. Aber ich würde aus einer Intuition heraus annehmen, dass der Täter es auf Eria abgesehen hat uns Sie, Mr. Jackson, ihm im Weg sind. Es ist immerhin Ihr Haus, indem sie momentan lebt.“

Er kratzte sich am Kopf.

„Wir werden weiter nach Thomas Jones fanden, doch der Junge ist wie vom Erdboden verschluckt. Seine Eltern sind auch schon verzweifelt auf der Suche nach ihm. Bei den Verwandten, zu denen er unterwegs war, ist er nie angekommen. Die behalten wir jedoch auch im Auge, falls er doch noch dort auftauchen sollte.“

Sheriff Rick schaute uns sehr ernst an.

„Der Junge passt fast schon zu gut in das Täterprofil. Das gefällt mir nicht. Sein Hass auf Sie, weil Eria hier wohnt, könnte seine Wahnvorstellungen erheblich stärken. Und natürlich der Hass auf Sie, Eri, weil sie ihn abgewiesen haben und jetzt eine vermeintliche Liebesbeziehung mit einem anderen Mann haben. Das klärt sich alles zu einfach auf.“

Naja, so vermeintlich war unsere Liebesbeziehung nicht mehr, dachte ich bei mir. Wir nickten trotzdem beide, denn wir hatten begriffen, um was es dem Sheriff ging. Dieser fuhr nun fort:

„Es tut mir leid, Eri. Ich weiß Sie wollten ihre Schwester da raus halten, aber nun sehe ich mich gezwungen mit ihr zu sprechen. Achja.“, fiel ihm noch etwas ein, „Sie sollten in Anbetracht der Umstände heute besser nicht zur Schule gehen. Melden Sie sich krank. Ein junger Mann wie Thomas könnte sich leicht unter Gleichaltrigen bewegen, ohne aufzufallen. Das ist einfach zu gefährlich. Er wird mit Sicherheit bald wieder zuschlagen.“

Damit schloss er seinen Monolog und sein Stellvertreter ergriff jetzt das Wort.

„Wir überwachen ab heute Ihr Telefon und werden kleine Kameras im Erdgeschoss und an den Zugängen installieren. Erzählen Sie niemanden davon. Ein Techniker überprüft ständig die Daten, aber Ihre Privatsphäre wird nicht eingeschränkt. Wir versuchen es zumindest. Der Bitte mit dem Handy sind sie nachgekommen? Sehr schön.“

Sheriff Rick zückte soeben sein Handy und da ich ahnte, wen er nun anrufen würde, machte ich mich aus dem staub. Landon folgte mir auf dem Fuß in die Küche.

„Warum hast du mir von diesem Spinner nichts erzählt?“, stellte er mich zur Rede.

Ich wich ihm aus und ging um ihn herum zum Kühlschrank. Wieder folgte er mir.

„Es hat sich halt noch keine Gelegenheit dazu ergeben.“

Ich hatte eigentlich auch nicht die Absicht gehabt ihm je davon zu erzählen. Himmel noch mal, das mit uns ging jetzt gerade so mal ein paar Tage. Es hatte wirklich noch keinen passenden Moment gegeben. Selbst wenn, wie hätte ich das machen sollen? Da fällt mir grad ein, das gab es mal so einen Spinner, der … Ja, klar.

„Keine Gelegenheit? Nun ja, vielleicht hast du Recht. Aber du wurdest von so einem Kerl verfolgt und jetzt wirst du wieder von einem Spinner verfolgt bzw. bedroht. Vielleicht ist es wirklich dieselbe Person, nur jetzt ist sie noch um einiges gefährlicher. Ist dir überhaupt ein möglicher Zusammenhang in den Sinn gekommen?“

„Ehrlich gesagt, nein. Aber da könnte was dran sein.“, gab ich widerwillig zu.

Ich dachte wirklich darüber nach, während ich mir ein wenig Lasagne aus dem Kühlschrank holte, zwei Teller fertig machte und sie nacheinander in der Mikrowelle erwärmte.

Einige Punkte passten wirklich gut zusammen. Aber es konnte auch genauso gut alles ein Zufall sein. Da war immer noch dieses unscharfe Bild in meinem Kopf. Wenn ich es nur endgültig scharfstellen könnte, da war ich mir sicher, würde ich auch hinter das Geheimnis mit dem Teddybären kommen. Es war zum Haare raufen, denn diese Person war dort auf meiner Geburtstagsparty gewesen.

Einen kurzen Moment spielte ich mit dem Gedanken Mandy zu schreiben, ob sie sich an etwas erinnern könne. Doch ich hielt sich nicht für clever genug, um zu verstehen, worum es mir ging.

Landon kam näher und umarmte mich. Dann ließ er mich los und setzten uns, um zu essen, Wir gingen zurück ins Wohnzimmer, wo der Sheriff immer noch seine Truppen befehligte. Telefonieren tat er zumindest nicht mehr. Erst jetzt fiel mir auf, wie viele Personen in unserem Haus herumwuselten, sich Kommandos zuriefen und was eigentlich insgesamt für ein Lärm herrschte. Im Normalfall hätte mich das gestört, doch jetzt weckte es in mir den Entschluss, genau wie diese Beamten, etwas gegen diesen Irren zu unternehmen. Dana hatte sich noch nicht gemeldet.

Nachdem wir fertig gegessen hatten, ging Landon wortlos in die Eingangshalle und holte und holte aus einem Schrank unter der Treppe Scheuermilch und eine Leiter hervor. Beide brachte er auf die Terrasse, bevor er in der Küche einen Eimer mit heißem Wasser volllaufen ließ. Mit stoischer Miene fing er an, die rote Farbe zu entfernen. Ich sah den Sheriff an und er nickte. Ich begab mich daraufhin mit auf die Terrasse und griff ebenfalls nach einem Schwamm. Schweigend fing ich auch an mühsam die Farbe zu entfernen.

Dreißig Minuten später verabschiedete sich Sheriff Rick und versprach uns, einen Bewachungsposten vor das Haus stellen zu lassen.

Anschließend schruppten wir weiter die ganze Hauswand ab, bis meine Arme und Schultern schmerzten, doch leider war das strahlende Weiß dahin.

Landon fuhr schnell los, um noch Fassadenweiß zu kaufen.

Ohne mich, denn ich war erschöpft.

Und mit dem Beamten vor der Tür fühlte ich mich auch recht sicher.

 

22. Kapitel

22

Währenddessen versuchte ich die roten Farbspuren auf dem Terrassenboden mit Schrubber und neuem heißen Seifenwasser zu Leibe zu rücken. Ich wollte in der Zeit, wo Landon weg war, noch etwas schaffen. Gut, ich muss zugeben, die Farbe war um einiges hartnäckiger als gedacht, sodass ich nach etwa zehn Minuten und mit nun höllisch brennenden Armen sowie aufgerauten Knien aufgeben musste.

Ich wischte mir mit dem Unterarm über meine verschwitze Stirn, wobei ich eine leichte Bewegung hinter mir im Wald wahrnahm. Ich fuhr herum, doch außer dichten Bäumen konnte ich nichts erkennen.

Auf einmal hörte ich ein leises Klingeln. Wie von einem Glöckchen.

Bildeten sich das meine überspannten Nerven nur ein?

Ich lauschte intensiver und meinte ein leises, feines Kinderlachen zu hören. Das Lachen wurde etwas deutlicher. Ich machte mir Gedanken. Waren dort etwa Kinder ganz alleine im Wald? Wo waren ihre Eltern? Immerhin trieb sich dort vermutlich ein Verrückter herum.

Ich näherte mich langsam den ersten Bäumen und öffnete das Gartentor. Jetzt vernahm ich die Stimmen deutlicher und was ich hörte jagte mir einen Schauer über den Rücken.

„All folks at home“. Das sangen die Kinder. Ein Lied, das mir meine Mutter immer zum Einschlafen vorgesungen hatte.

Ungläubig ging ich an den Wald heran, doch obwohl die Stimmen immer deutlicher wurden, konnte ich noch immer nichts erkennen. Einige Schritte ging ich tiefer in den Wald und erschrak, als ich einen Zweig knacken hörte. Ich war mir sicher, in diesem Wald war etwas. Und es waren ganz sicher keine Kinder.

Wieder hörte ich ein Knacken und ein schleifendes Geräusch, als ob etwas oder jemand an einem Busch entlanggegangen wäre. Ich konnte mich nicht mehr bewegen und stand nur erstarrt da. Ich lauschte angestrengt. Das Geräusch kam näher, doch die Stimmen waren jetzt verstummt. Ich wartete.

Ein leises Mauzen, ließ mich zusammenfahren. Ich atmete auf, als Moé um einen Baum herum auf mich zukam.

„Du hast mich aber erschreckt.“, sagte ich zu ihr und ging in die Hocke. Ich nahm sie vorsichtig hoch.

Da hörte ich ein ersticktes Lachen, da wie ein Krächzen klang.

Ich dachte nicht länger nach. Sondern dreht mich um und rannte mit Moé auf dem Arm zurück zum Haus.

23. Kapitel

23

Den Rest des Nachmittags verbrachten Landon und ich mit Streicharbeiten auf der Terrasse, während aus dem Wohnzimmer die sanften Klänge von Muse zu uns drangen. Ich hatte ihm wohlweislich nichts von meinem kleinen Ausflug erzählt. Manches blieb besser unerwähnt. So arbeiteten wir zügig, bis wir völlig mit Farbe bekleckst waren.

Natürlich hätten wir auch jemanden mit den Streicharbeiten beauftragen können, doch wir wollten nicht noch mehr Klatsch in der Stadt riskieren. Mir sollte es recht sein. In der Schule hatte ich mich für den Rest der Woche krankgemeldet, eine Grippe als Grund vorgebend.

Wir arbeiteten bis etwa vier Uhr an diesem Nachmittag, damit die Fassade endlich wieder ganz in weiß erstrahlte. Gegen Abend, als wir uns endlich völlig erschöpft zum Abendessen niedergelassen hatten, klingelte es auch schon an der Tür. Ich stöhnte entnervt auf, denn ich hatte so eine leise Ahnung, wer da vor der Tür stehen könnte. Erst einige Minuten zuvor hatte ich ein Gespräch mit meiner Schwester hinter mich gebracht, wobei sie unmissverständlich klargemacht hatte, sie würde beim nächsten Zwischenfall schnurstracks nach Livingston eilen, um mir beizustehen. Irgendwann hatte ich das Gespräch beenden können.

Landon wollte anscheinend gar nicht mit ihr reden, denn er hatte sich mal wieder elegant aus der Affäre gezogen, indem er just in dem Moment wieder aus dem Badezimmer auftauchte, als ich den Hörer auflegte. Er hatte dabei noch unverschämt vergnügt gewirkt. Feigling.

Und jetzt auch noch das. Landons Gesichtsausdruck war nun auch resigniert.

An der Tür angekommen, konnte ich schon förmlich das ungeduldige Tippen von Meggis Stillettos hören. Denn wer außer ihr könnte schon vor der Tür stehen?

Als sie Darling flötete, kaum das ich die Tür auch nur einen Spalt breit geöffnet hatte, bekam ich ein Deja-vu. Bei mir stellten sich die Nackenhaare auf. Eine tiefe Abneigung erfüllte mich, denn was Meggi noch nicht wusste, war, dass Landon jetzt nur noch in meinen Zuständigkeitsbereich fiel.

Ich musste ein Knurren unterdrücken, als sie Landon zur Begrüßung mit ihren Krallen über den Arm streichelte. Komisch, wie schnell sich Gefühle doch ändern konnten. Und schon wechselte sie von Flur, in den Landon mir gefolgt war ins Wohnzimmer und ließ sich auf meinen Platz plumpsen. Sie schlug die Beine übereinander und sah uns erwartungsvoll an.

„Meggi, setz dich doch.“, meinte Landon sarkastisch.

Das überhörte sich allerdings rigoros.

„So viele Gerüchte!“, begann sie atemlos, „Erzählt! Was ist denn nun wirklich passiert? Habt ihr schon mit Dana gesprochen? Ich habe mir ja solche Sorgen gemacht. Und konnte ich niemanden erreichen!“, fügte sie vorwurfsvoll hinzu.

Ein kluger Schachzug von mir, das Telefon auszustöpseln. Ich beglückwünschte mich selbst zu dieser Idee. Denn machen wir uns nichts vor, Meggi wäre so oder so hier vorbeigeschneit.

„Da ist übrigens ein Beamter vor eurer Tür, in einem zivilen Wagen.“

„Es ist alles in bester Ordnung.“, antwortete Landon, „Wirklich Meggi. Wir werden, wie du siehst, gut bewacht. Zudem wurden Kameras installiert, um jede Fremdbewegung zu überwachen.“

Sie atmete theatralisch aus und legte die Hand auf Landons Arm. Ich hätte ihr am Liebsten eins mit der Bratpfanne übergezogen. Landon bemerkte meinen mörderischen Blick und entwand rasch seinen Arm aus ihrem Griff.

„Möchtest du vielleicht etwas trinken, Meggi?“

Er versuchte wohl höflich zu sein.

„Ja, sehr gerne.“, schnurrte sie

Die Bratpfanne. Ich gab mich kurzzeitig meinem Kopfkino hin. Landon stand auf, um uns an der Bar etwas zu trinken zu machen. Meggi wandte sich nun mir zu und fixierte mich mit ihren grünen Schlangenaugen.

„Wie geht es dir, Eri?“

„Gut.“

Wir wussten beide, dass sie nur aus gespielter Sorge fragte. Als Landon zurückkam, begann er ihr die ganze Geschichte zu erzählen, bevor sie eine verdrehte Version von jemand anderen erfahren konnte. Meggi schaute immer geschockter drein.

 „Oh, mein Gott.“, hauchte sie schließlich, „Ich würde vor Angst sterben.“

Na so schlimm ist es auch wieder nicht, dachte ich.

„Deshalb werden wir uns beide, also Eri und ich, morgen aus dem Wirkungsbereich des Täters entfernen und zu meinen Eltern fahren.“

Also, das war mir neu. Landon lächelte mir verschmitzt zu und bedeutete mir mitzuspielen. Meggi war ziemlich sprachlos.

„Warum?“

„Ich denke, meine Eltern würden sie gerne kennenlernen. Sie wollen schon seit Jahren mal die Frau in meinem Leben kennenlernen und jetzt kann ich ihnen endlich jemanden vorstellen.“

Jetzt fiel Meggi die Kinnlade runter.

Mir aber auch, wortwörtlich. Landon hatte mich in diesem Moment zu seiner offiziellen Freundin gemacht.

Tja, Meggi, tut mir leid, du bist draußen. In dem Blick, den mir Meggi dann zuvor standen Unverständnis und blanker Hass.

Ich erschrak, Landon drückte liebevoll meine Hand und zog mich auf seinen Schoß. Da stand Meggi ruckartig auf, schnappte sich ihre Handtasche und stammelte etwas von einem vergessenen Termin. Ohne ein Wort des Abschiedes stürmte sie – mal wieder, wir erinnern uns – in Richtung Haustür. Ihr war wohl jede Ausrede recht, um von hier wegzukommen.

Landon begleitete sie wieder einmal zur Tür. Als wieder zurückkam, grinste wie eine Katze, während ich missmutig den Mund verzog und vorwurfsvoll mit der Zunge schnalzte.

„Was?“, fragte er.

„Musste das sein? Jetzt wird bald die ganze Stadt über uns Bescheid wissen und es wird nicht allen gefallen.“

Ich dachte in erster Linie an die Gerüchte, die sich mit Lichtgeschwindigkeit bis zu meiner Schwester rumsprechen würden.

Mir fiel auf einmal auf, wie ich mit ihm redete, völlig zwanglos. Das hatte vor einigen Tagen noch ganz anders ausgesehen.

Er lächelte scheinheilig.

„Dann bin ich jetzt vom Markt und du musst dir keine Sorgen mehr machen. Oder sollte ich sagen, nicht mehr nach der Bratpfanne schielen. Erwischt, meine Süße.“

Er kam auf mich zu und legte seine Hände um mein Gesicht.

„Es wird Gerüchte geben und Meggi wird sofort alles Dana erzählen.“

Der Gedanke bereitete mir großes Unbehagen, also entwand ich mich seinem Griff. Er ließ die Hände sinken und trat mit betrübter Miene zur Seite.

„Okay, ich verstehe. Du machst dir immer noch Sorgen wegen meiner möglichen Gefühle für Dana, stimmt´s?“

Ich nickte.

Plötzlich lächelte er wieder, legte seine Hände zurück um mein Gesicht und küsste mich.

„Dann beweise ich dir, dass du die einzige in meinem Herzen bist. Packe doch bitte deine Reisetasche. Kleidung für den Rest der Woche sollte genügen. Wir fahren morgen früh zu meinen Eltern. Moé kommt zu deiner Nachbarin.“

Er schien mal wieder meine Gedanken zu lesen.

„Ich möchte wirklich, dass du sie kennenlernst. Zudem kommst du endlich wirklich vom Täter weg. Meine Eltern sind zwar nicht die umgänglichsten Leute, aber vielleicht bist du so zu überzeugen.“

Er sah mich eindringlich an.

„Ich möchte dich einfach aus der Gefahr heraus wissen.“

Wieder küsste er mich und mein Widerstand schwand.

„Na gut.“, brachte ich heraus.

„Gut, dann gehen wir jetzt essen. Unser reizender Gast hat mir das Abendessen hier verleidet.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, zog er mich in den Flur, wartete ungeduldig bis ich mir Jacke und Schuhe angezogen hatte. Ein schickes Jackett, denn ich war mir sicher, dass Landon nicht in ein normales Restaurant gehen würde. Noch schnell in den Spiegel geschaut und schon zog mich Landon weiter zum Auto. Der Beamte, der unsere Bewachung übernahm, winkte uns kurz zu.

„Unser erstes Date.“, meinte Landon.

Mein Herz machte einen Sprung und ich ließ mich voller Vorfreude in den Sitz sinken. Ich meckerte nicht einmal über das.

Die Gefahr, in der ich schwebte, war für einen Moment vergessen.

 

24. Kapitel

24

Die Schlinge um deinen hübschen Hals zieht sich zu, meine Liebe, dachte die Krähe. Aus ihrem Versteck heraus beobachtete sie wie sich die Jackson-Luxuskarosse von Haus entfernte. Das Mädchen konnte ihr nicht entkommen, denn sie war näher als ihr Opfer dachte.

Sie huschte im Schutz der länger werdenden Schatten davon, um die nächste Stufe ihres Planes vorzubereiten.

Crow ging einen Umweg durch den Wald, bis sie zu dem versteckten, unauffälligen Wagen kam. Sie wollte kein Risiko eingehen, zumal sich die Bedingungen für sie durch den Wachhund in Uniform stark verschlechtert hatten.

Aber Aufgeben würde sie nie, der Plan stand.

Die Krähe war heute Nachmittag kurz sehr nahe an das Mädchen herangekommen. Nur wenige Schritte hatten sie noch getrennt, bis sie die Gefahr gespürt hatte und zurückgelaufen war.

Es war wohl noch nicht der richtige Zeitpunkt gewesen, tröstete sie sich.

25. Kapitel

25

Zuerst fuhren wir zu der großen Mall nahe der Stadtgrenze. Landon hatte beschlossen, mir eine schöne Abendgarderobe kaufen zu wollen. Murrend ließ ich mich von ihm zu Nordstrom schleifen.

„Was ist nur mit diesem Mädchen los?“, fragte er gespielt verzweifelt. „Ich dachte immer Frauen gehen gerne shoppen!“

„Ich bin halt nicht wie alle anderen.“, erwiderte ich keck. „In meinen Kopf liefen schon immer die Dinge ein wenig anders.“

Ich mochte einkaufen an sich sehr gerne, aber dann allein und vor allem Bücher und Schuhe. Mit meiner Figur, den zulangen Armen und Beinen und dem Busen, der nie eine Standardgröße A-C passt, war einkaufen nicht wirklich lustig, sondern eher deprimierend.

Egal, mir war klar, dass eine Diskussion darüber, dass ich genug Sachen habe, nichts bringen würde. Vielleicht, so redete ich mir ein, wären eine neuere und passende Garderobe für einen Besuch bei seinen Eltern gar nicht so verkehrt.

Ergeben ließ ich mich von ihm durch den Laden schleifen. Alles schien schick und teuer zu sein. Das einzige, was wirklich meine Aufmerksamkeit auf sich zog, waren ein Paar zweihundert Dollar teure Stiefel. Fürs Erraten der Farbe gibt es übrigens keinen Preis.

Landon entgingen meine begehrlichen Blicke nicht. Daher köderte er mich mit den Worten:

„Wenn du brav hübsche Sachen anziehst, darfst du die auch anprobieren.“

Er schaute auffällig an mir runter. Mein schwarzes Shirt, meine ebenso schwarze Jeans oder mein Make-Up waren nicht unbedingt Mauerblümchen-Stil, doch meine zwölf Zentimeter High-Heels mit den vielen Nieten und Reißverschlüssen an allen möglichen und unmöglichen Stellen, verliehen jedem wahllos zusammengestellten Outfit eine besondere Note. Fand ich.

„Nicht, dass ich deinen Stil nicht mögen würde – er ist einzigartig und irgendwie sexy – aber hast du mal über etwas flachere Schuhe nachgedacht?“

Sicher. Habe ich. Ein oder zweimal.

Er wartete meine Antwort gar nicht ab, sondern stürzte sich mit Begeisterung darauf mir Sachen zusammenzusuchen. Röcke, Blusen. Sommer- und Abendkleider musste ich anprobieren, bis wir eine beeindruckende Garderobe zusammengestellt hatten, deren Designernamen auch eine Mrs. Jackson zufrieden stellen sollten.

Ich wollte mich gerade wieder anziehen, als er mit einigen gewagten Dessous und einem schelmischen Grinsen die Umkleide betrat. Ich lief bei dem Anblick einiger dieser knappen Höschen fast rot an und warf ihn kurzerhand aus der Kabine.

Dann atmete ich kurz durch und griff nach dem ersten Teil. Schließlich machte es mir sogar Spaß, sie ihm vorzuführen. Ich fühlte mich sexy und seine hungrigen Augen bestätigten dieses Gefühl.

Ach ja, letztlich bekam ich noch meine Stiefel, zusammen mit einigen etwas flacheren Pumps. Ganz ladylike.

Wohlweislich sah ich nicht genau hin, als Landon die Rechnung von mehreren tausend Dollar ohne mit der Wimper zu Zucken beglich. Ein katzenbuckelnder Lakai veranlasste, dass die Sachen am nächsten Morgen und noch vor unsere Abfahrt nach Hause geliefert werden würden. Zufrieden verließen wir das Geschäft.

Anschließend fuhren wir zu einem der schicken Restaurants am Sundown Boulevard. Diese Straße liegt außerhalb der Stadt und führt als steile Bergstraße hinauf in die Rocky Mountains zu einem kleinen Dorf. Aufgrund des Ausblickes hatten sich hier einige Shops, Edel-Restaurant und Wellness-Hotels etabliert.

Schließlich hielten wir vor dem „Maisure“. Landon kam galant um Auto herum und half mir auszusteigen. Er bot mir einen Arm zum Unterhaken an. Ich war mir bewusst, dass uns die Leute, die auf dem Boulevard flanierten, interessiert musterten. So liefen wir wenige Meter bis zu einen versteckten Eingang des Restaurants, wo wir von einem livrierten Kellner mit einen europäischen Akzent empfangen wurden. Man nahm uns die Jacken ab und führte uns zu einem Tisch für zwei, der etwas separiert stand. Da man noch nicht einmal nach unserer Reservierung fragte, nahm ich an, dass Landon hier bekannt sein musste.

Nachdem wir uns gesetzt hatten – mir wurde der Stuhl zurecht gerückt -, reichte man uns eine in rotes Leder eingeschlagene Speisekarte, auf der keine Preise angegeben waren.

Landon lächelte mich an.

„Such dir aus, was immer du möchtest.“

Wie du wünscht, mein Herr und Spendierer, dachte ich vergnügt. Wie schnell man sich an das Ausgeben von fremdem Geld gewöhnen konnte. Ich nahm mir Zeit und las die Karte aufmerksam. Ich stellte im Kopf eine Liste zusammen. Der Kellner brachte uns Wein und ich orderte gleich noch eine Margarita.

Nachdem der Kellner unsere Bestellung aufgenommen hatte – für Landon Lachs auf Spinat, für mich ein Salat mit Hähnchenbrust, eine Spargelcremesuppe und einen Teller mit Lammfilet und geschmorten Gemüse, sah ich Landon vorsichtig an. Wirkte ich verfressen? Ich nahm verlegen einen großen Schluck von meiner Margarita.

„Gesunder Appetit.“, meinte Landon schmunzelnd über meine verlegene Miene und lachte leise, als ich , wieder einmal, rot wurde.

Das musste ich mir unbedingt abgewöhnen.

„Ich habe halt Hunger.“, rechtfertigte ich mich.

Seine Schultern bebten immer noch vor unterdrücktem Lachen. Ich wurde langsam missmutig. Doch dann strahlte er mich dermaßen an, dass sämtlicher Missmut augenblicklich verflog.

Ich spürte einen Blick in meinem Rücken und drehte mich nach dem Verursacher um. Zwei Tische weiter entdeckte ich einen der Schönlinge aus meinem Jahrgang. Zusammen mit seinen Eltern verspeiste er gerade den ersten gang. Er sah mich mit einer Mischung aus Bestürzung und unverhohlenem Interesse an. Ohne ein Zeichen des Wiedererkennens und mit gelangweiltem Blick drehte ich ihm gleichgültig wieder den Rücken zu. Ich sah gerade noch, wie Landon die Zähne in dessen Richtung bleckte und mich dann schlagartig wieder unschuldig ansah, als wäre nie etwas gewesen. Ich musste über dieses Revierverhalten kichern.

Als bald darauf unsere Gerichte kamen, stürzte ich mich förmlich auf den Salat und versuchte trotzdem gesittet und elegant zu essen. Ich schnurrte vor Glück, als ich den ersten Bissen Lammfilet nahm. So musste ich auch erstmal eine Weile nicht mit Landon reden.

Zum Dessert dann plauderten wir über Gott und die Welt. Er erzählte mir noch ein paar kleine Anekdoten über seine Familie. Ich zog jedes Wort auf, als würde es mir helfen um gegen seine Mutter zu bestehen. Es ist immer gut die Schwächen des Feindes zu kennen.

„Wie du weißt, ist meine Familie vor etwa zehn Jahren von hier fortgezogen und hat sich in Denver niedergelassen. Offiziell hieß es zwar, dass wir fortgingen, weil die Fabrik geschlossen hatte, doch in Wahrheit hatten meine Eltern Angst davor, von den Leuten bedroht zu werden oder Opfer ihrer Wut zu werden. Es rumorte damals ziemlich stark unter der Oberfläche der Stadtbewohner. Seit ich wieder hier bin, habe ich das zu spüren bekommen. Die Leute haben nicht vergessen, wie viele Männer und Frauen damals durch das profitorientierte Verhalten meiner Eltern ihre Arbeit verloren hatten.“

Das war mir auch schon aufgefallen. Denn obwohl die Bewohner dieser Stadt stets zu jedem freundlich waren, verhielten sie sich Landon gegenüber oft reserviert.

„Es war nämlich nicht nötig gewesen, die Fabrik zu schließen. Es war nur bequemer für meine Eltern. So waren sie nicht mehr an Livingston gebunden. Du musst wissen, dass sie bald nach ihrer Entscheidung Angst hatten, dass ihnen etwas Ähnliches wie deinen Eltern widerfahren könnte. Die galten als unglaublich beliebt, erfolgreich und einflussreich. Nun gut, beliebt waren meine Eltern nie, doch damals kamen viele Gerüchte auf, dass der Unfall vielleicht gar kein Unfall, sondern ein Anschlag gewesen sei.“

Dieses Gerücht war mir auch bekannt. Doch die Untersuchungen hatten damals nichts ergeben, was auf Fremdverschulden hingedeutet hätte. Ich war damals selbst mit in dem verunglückten Wagen gewesen, hatte allerdings geschlafen, während meine Schwester wegen einer Erkältung zu Hause geblieben war. Meine Eltern waren mit mir zu Besuch bei Freunden in einer Berghütte gewesen und wir befanden uns gerade auf dem Rückweg, die letzten Ausläufer der Rocky Mountains hinunter, als mein Vater die Kontrolle über das Auto verlor und wir einen Abhang hinunterstürzten. Ich wachte erst im Krankenhaus mit lediglich einem gebrochenen Bein auf. Alle meinten, ich hätte unglaubliches Glück gehabt. Warum der wagen außer Kontrolle geriet, konnte nie abschließend geklärt werden, denn die Autopsie meiner Eltern ergab, dass keiner von beiden unter Alkohol- oder Medikamenteneinfluss gestanden hatte.

„Es war eine irrationale Furcht gewesen, aber wir zogen fort. Celine ging noch auf die Middleschool, och ich musste das ganze nur noch zwei Jahre ertragen und verabschiedete mich dann nach meinem Abschluss auf eine Universität an die Ostküste. Yale, um genau zu sein. Ich studierte Amerikanische Literatur und Englisch und bekam später eine Stelle bei der New York Post. Seit dieser Zeit bin ich nur noch dann nach Hause zurückgekehrt, wenn unausweichliche Termine oder Geburtstage anstanden.“

Er seufzte.

„Morgen fahren wir relativ früh los. Es ist nicht weit bis Denver. Wahrscheinlich wird Celine auch dort sein. Ich habe dir ja schon ein wenig von ihr erzählt. Sie ist wirklich noch versnopter als meine Eltern. Ich warne dich nicht grundlos vor. Nimm sie alle, so wie sie sind und ignoriere jene Bemerkungen, die dir unangenehm sind. Wahrscheinlich wird sie auch wieder so einen reichen Trottel dabeihaben, den sie sich geangelt hat und der nun blind vor Liebe alles für sie tut. Sie können einem richtig leidtun, denn Celine liebt niemanden außer sich selbst. Vielleicht sind auch noch ein paar andere Verwandte da, aber auch die stehen mit Garantie komplett unter dem Einfluss meiner Eltern. Es wird sicher ganz vergnüglich, meistens scharmützeln sie dann untereinander und lassen Fremde außen vor.“

Er wollte mich mit dem letzten Teil wohl aufmuntern, nachdem meine Miene immer zweifelnder wurde, doch es verfehlte ganz und gar seine Wirkung. Ich bezweifelte das mit dem vergnüglich ganz gewaltig. Landon, der dieses Oberschichtverhalten gewohnt war, schien sich ehrlich darauf zu freuen. Aber verdammt noch mal, er würde mich seinen Eltern vorstellen. Wenn das kein legitimer Grund war, nervös zu sein, dann weiß ich auch nicht weiter. Und mein Panik-Potenzial verdoppelte sich bei dem Gedanken daran, gleich noch dem Rest des Clans vorgeführt zu werden. Ich fand die Vorstellung beängstigender alles was in den letzten 48 Stunden geschehen war.

Ich trank schnell meine zweite Margarita aus, denn ich hatte mal gelesen, dass Alkohol eine mildernde Wirkung in sämtlichen emotionalen Notlagen haben sollte. Ich fand es an der zeit, dem Mythos im Selbstexperiment auf den Grund zu gehen.

In diesem Moment näherte sich eine elegante Frau unserem Tisch. Groß und schlank, wie sie war, wirkte sie im ersten Moment sehr jugendlich. Doch als sie sich näherte erkannte man trotz des gedämpften Lichtes tiefe Falten, die sich von ihrer Nase zu ihrem Mund zogen. Der dünne Mund ließ sie verkniffen aussehen. Sie war zu dünn, die Haut spannte sich zu straff über ihre Gesichtsknochen und ihre Frisur wirkte zu steif, um natürlich und jung zu wirken. Ich schätzte sie auf Ende vierzig. Landons Lächeln wurde so steif, wie die eben benannte Frisur, doch als er sich der Frau komplett zuwandte, war er wieder der perfekte und charmante Erbe der Jackson-Dynastie.

„Einen schönen guten Abend.“, hauchte die Frau .

„Mrs. Dunham.“

Landon stand auf, um sie zu begrüßen, indem er ihr erst ganz sanft und dann mit starkem Händedruck dem Mann hinter ihr die Hand schüttelte.

Mir war der Mann zuerst gar nicht aufgefallen, denn er wirkte fast unscheinbar neben seiner schillernden Frau.

„Mr. Dunham, schön Sie zu sehen.“, sagte Landon diesmal und seine Stimme klang ehrlich erfreut.

Da schaltete sich auch schon wieder Mrs. Dunham ein.

„Landon, es ist ja schon so lange her. Sie sehen gut aus. Und wer ist die bezaubernde junge Dame hier?“

Ich war nun auch aufgestanden und Landon beantwortete die Frage, indem er mich vorstellte.

„Das ist Eria Liane. Die Schwester von Dana. Eri, dass ist Mrs. Dunham, sie war eine Lehrerin von Dana und mir auf der Highschool.“

„Sehr erfreut.“, sie reichte mir die Hand.

Natürlich musste sie sich an mich erinnern, denn ich hatte ihr zu Danas Abschlussfeier aus Versehen eine Cola über den teuren Chanel-Rock geschüttet.

Oh ja, diese Frau hatte noch immer eine tiefe Abneigung gegen mich. Wir starrten uns an.

Endlich besann sie sich auf ihre guten Manieren.

„Das ist übrigens mein Mann Dennis.“

Der schüchterne Mann trat vor und schüttelte mir mit einem überrascht kräftigen Händedruck die Hand. Er zwinkerte mir lächelnd zu. Mir wurde klar, dass er ganz genau um die Allüren seiner Frau wusste und sich bewusst zurückhielt, denn von Nahem betrachtet, erschien er nicht mehr so farblos. Er war sogar recht attraktiv mit seinen blitzenden Augen und seinem gepflegtem Äußeren. Er hatte doch eine relativ breite Statur und sonnengebräunte Haut. Die vielen Lachfalten um seine Augen herum sprachen Bände.

„Sehr erfreut kleine Laine.“

Wir setzten uns an unseren Tisch. Landon und Mrs. Dunham plauderten ein wenig. Dann fragte Mrs. Dunham:

„Wie stehen sie beide zueinander? Man hört ja so viele Gerüchte.“

Ihr Mann sah sie mit warnendem Blick an, welche seine Frau nonchalant ignorierte. Sie sah mich wie ein gieriger Geier an.

„Eri wohnt bei mir. Sie ist meine Freundin.“, erklärte Landon kurz und knapp.

Sie sah ihn ehrlich überrascht an. So viel Offenheit schien sie nicht erwartet zu haben. Ich stöhnte leise auf, denn damit wäre die Wahrheit am nächsten Morgen mit Sicherheit auch bis zum letzten Bewohner dieser tratschsüchtigen Stadt herum. Obwohl ich vermutete, dass Meggi schon am Telefon hing und diese Aufgabe übernahm.

„Schatz.“, sagte Mr. Dunham leise aber bestimmt, „Wir sollten langsam aufbrechen.“

„Ja, das sollten wir auch bald.“, klinkte sich Landon ein und erhob sich wieder, um sich zu verabschieden. Damit nahm er Mrs. Dunham geschickte jede Möglichkeit noch bei uns sitzen zu bleiben.

Wir verabschiedeten uns von einem taktvollen Ehemann und seiner missmutigen Frau. Er führte sie galant, aber bestimmt aus dem Restaurant.

 

26. Kapitel

26

Die Krähe hockte in ihrem Versteck und wartete auf den richtigen Moment um zuzuschlagen. Ihre Knie schmerzten vom langen Hocken in der Kälte.

Ihr Plan stand und würde funktionieren. Ganz sicher. Vielleicht hatten die beiden vor ihr zu entkommen, doch das konnte sie nicht zulassen. Es war jetzt unabdingbar, dass beide in der Nähe blieben. Natürlich gab es immer noch die Möglichkeit, dass ei schon bei diesem Teil des Planes sterben würden, doch dieses Risiko musste sie jetzt eingehen. Es wäre nicht das erste Mal.

Endlich war alles ruhig und Crow näherte sich noch ungesehen ihrem Ziel. Vor Aufregung ging der Atem der Krähe schneller.

Kurz erstarrte sie, als sie Lachen und Schritte auf dem Kies des Parkplatzes vernahm. Doch diese entfernten sich bald, ein Scheinwerfer ging an und das Azuto der Gäste fuhr los, ohne dass man sie bemerkt hatte.

Vorsichtig schlich sie weiter. Sie hockte sich hin. Nur ein wenig Geduld und Geschick. Geschafft. Schnell huschte sie wieder zurück in die Schatten und machte sich bereit zu warten.

27. Kapitel

27

Landon und ich beendeten unser köstliches Essen du verließen dann Hand in Hand das Restaurant.

Draußen war es kalt geworden, also liefen wir schnell, zum Auto. Ich ließ mich zufrieden in die weichen Sitze sinken. Langsam aber sicher gewöhnte ich mich an dieses Auto und auch daran, dass mir von Landon galant jede Tür aufgehalten wurde.

Landon startete den schnurrenden Motor und fädelte sich in den praktisch nicht mehr vorhandenen verkehr ein. Je weiter wir uns vom Boulevard entfernten. Umso weniger Fahrzeuge waren unterwegs. Landon lenkte den Wagen zurück auf die einsame Landstraße in Richtung Livingston.

Ruhig glitt der Wagen durch die Kurven der Straße, immer dem Lichtermeer der Stadt unter uns entgegen. Dann bog Landon auf den schnellen Highway ein und gab etwas mehr Gas.

Eine Ampel vor uns schaltete auf rot und Landon trat auf das Bremspedal, doch nichts passierte. Ich sah erschrocken auf den Tacho, als sich unsere Geschwindigkeit nicht verringerte. Wir rasten weiter mit fast 60 Meilen auf die Kreuzung zu, an der nur eine Tankstelle stand. Und eine riesige Mauer, vor der unsere Straße gleich nach der Ampel abbog.

Die Kreuzung kam immer näher und noch immer trat Landon vergeblich und fluchend auf die funktionslose Bremse. Meine Wahrnehmung verlangsamte sich. Von rechts sah ich Scheinwerfer auftauchen. Ein riesiger Truck näherte sich ebenfalls der Kreuzung und da er grün hatte, wurde er sicher ungebremst die Kreuzung überqueren. Wir würden mit ihm kollidieren, soviel war klar. Und wenn er es nicht war, dann aber sicher mit der Mauer.

Nur noch einhundert Meter!

Noch fünfzig.

Ich schrie auf. Landon riss das Steuer herum.

Der Truck kam immer näher, während wir herumschleuderten. Die Reifen blockierten und wir rutschten quer über die Fahrbahn. Ich hielt mich verzweifelt an den Armaturen fest. Endlich bekam Landon den Wagen wieder unter Kontrolle. Wir hatten tatsächlich an Geschwindigkeit verloren. Doch erst jetzt fing der Truck an zu bremsen.

Mir war klar, dass er auf den letzten Metern kaum an Geschwindigkeit verlieren würde, bevor er uns rammen würde. Der Weg war einfach zu kurz. Ich schloss die Augen.

Noch zehn Meter.

Der Truck hupte.

Landon riss den Wagen noch einmal herum und zog die Handbremse, wir drifteten um uns selbst. Ich schrie wieder auf. Doch der Truck raste noch vor uns über die Kreuzung.

Wir hatten es geschafft!

Leider verlor Landon in diesem Moment komplett die Kontrolle über den wagen. Der Wagen schrammte funkensprühend an der Leitplanke entlang und rammte dann frontal eine Säule der Tankstellenleuchtreklame. Mein Gurt schnitt sich in meine Brust und mein Kopf flog erst gegen den Airbag, dann zurück gegen die Kopfstütze.

Dann wurde alles um mich herum schwarz.

Ich kam einige Zeit später wieder zu mir. Ich hörte Sirenen näher kommen. Gott sei Dank, Hilfe war unterwegs. Ich schaute mich panisch nach Landon um.

Er saß neben mir, die Finger um das Lenkrad verkrampft und starr nach Vorne schauend. Ich griff nach seiner Hand. Als er meine Bewegung spürte, drehte er seinen Kopf und sah mich an, als würde er mich nicht erkennen. Er schien einen Schock zu haben.

Er löste langsam seine Finger vom Lenkrad und ließ sich zurück in den Sitz sinken. Er war trotz Airbag scheinbar nicht ohnmächtig geworden.

Er fuhr mir langsam mit der rechten Hand über die Wange. Wir waren beide erleichtert noch zu leben und atmeten tief ein.

Jetzt fing bei mir das große Zittern an. Mit unsicheren Fingern löste ich meinen Gurt und stieg mit wackligen Knien aus dem Auto. Die Beifahrerseite bekam ich nur mit viel Kraft auf. Sofort musste ich mich gegen den wagen lehnen, denn meine Beine schienen mich nicht tragen zu wollen. Landon krabbelte auf meiner Seite aus dem Wagen, da er seine Tür nicht aufbekam, und zog mich in seine Arme.

Nur kurze Zeit später war die Straße von Blaulicht geflutet und immer mehr Einsatz- und Rettungswagen näherten sich dem Unfallort. Aufgeregte Menschen, Schaulustige und Polizisten liefen um uns herum.

Der Truck-Fahrer musste mühsam aus seinem umgekippten Truck gezogen werden.

Landon heilt mich immer noch im Arm und strich mir beruhigend über den Nacken, obwohl ich spürte, wie auch er leicht zitterte. Es war fast so, als wären wir nur für uns und völlig abgetrennt von dem Geschehen um uns herum.

„Alles in Ordnung bei Ihnen?“, fragte ein zerzaust aussehender Officer.

Es dauerte eine Weile bis seine Worte wirklich zu mir durchdrangen. Wir wandten uns ihm zu.

„Sieht das etwa so aus?“, fuhr Landon ihn an.

Über seine heftige Reaktion war ich sehr erschrocken, hatte er mich doch wenige Augenblicke zuvor noch sanft in den Armen gehalten. Man sah ihm an, wie er mit sich rang und versuchte sich zu beruhigen.

„Ja, alles in Ordnung. Wir sind weitestgehend unverletzt.“

„Ich möchte Sie trotzdem bitten, mich zu einem Krankenwagen zu begleiten. Dann müssen wir noch Ihre Aussage aufnehmen.“

Er führte uns zu einem der wartenden Krankenwagen, wo der Sanitäter einen kleinen Schnitt auf meiner Stirn verarztete, den ich bis dahin noch gar nicht bemerkt hatte. Ich zuckte vor Schmerz zusammen und hätte am liebsten gefaucht, als er den Schnitt desinfizierte und ein Pflaster darüber klebte. Ich sollte vielleicht wirklich aufhören so viel Zeit mit meiner Katze zu verbringen.

Landon wurde sein verstauchter linker Daumen ruhiggestellt, den er sich am Lenkrad verletzt hatte. Dann gingen wir reichlich ramponiert auf immer noch wackligen beiden zum Sheriff, der kurz zuvor eingetroffen war. Wir wollten unsere Aussage machen. Ein besorgt aussehender Sanitäter eilte uns hinterher und legte mir eine Decke um die Schultern. Dann gingen wir weiter zum Wagen des Sheriffs.

Doch Sheriff Rick war nicht an seinem Wagen.

Ich entdeckte ihn an einem weiteren Krankenwagen, in dem der aufgelöste Truck-Fahrer vernommen wurde. Er gestikulierte wild, doch schließlich hatte er ja auch keine Schuld an dieser Misere. Unschlüssig blieb ich stehen und hielt auch Landon zurück. Dann zeigte der Fahrer plötzlich zu uns hinüber.

Der Sheriff schaute daraufhin ebenfalls zu uns, nickte dem Fahrer zu und kam dann eiligen Schrittes auf uns zu.

Er schüttelte Landon du unverletzte Hand.

„Mr. Jackson, Eria. Wie geht es Ihnen?“

 „Gut.“, antworteten wir automatisch.

„Sie hatten wirklich viel Glück. Allerdings drängt sich mir der Verdacht auf, dass das Versagen Ihrer Bremsen kein Zufall war.“

„Ja, das habe ich mir auch schon gedacht.“, meinte Landon ungerührt.

Ich schaute ihn überrascht an.

„An den Bremsen könnte sich jemand zu schaffen gemacht haben, als wir im Restaurant „Maisure“ waren.“

Jetzt begriff ich auch erst richtig, was damit gemeint war. Man hatte mit Absicht die Bremsen von Landons wagen manipuliert. Vielleicht die Bremsleitungen durchgeschnitten, wie in jedem zweiten schlechten Krimi. Jemand hatte uns wirklich umbringen wollen. Jemand. Oder besser gesagt, der Kerl der uns schon die letzten tagen Angst einjagte.

Landon und Sheriff Rick fachsimpelten darüber, wann und wie genau sich jemand an den Bremsen zu schaffen gemacht haben könnte. Doch meine Gedanken liefen in eine andere Richtung.

Ich murmelte leise vor mich hin und setzte mich dann auf den kalten Boden, woraufhin sich beide zu mir umdrehten. Landon beugte sich vor.

„Was hast du gesagt, Schatz?“

„Ich meinte, meine Eltern starben auf die gleiche Weise wie wir beinahe umgekommen wären. Damals habe ich auch schon überlebt.“

Beide zogen scharf Luft ein.

„Verdammt.“, fluchte Landon, dann ließ er sich auf die Knie sinken und strich mir entschuldigend über den Kopf.

 „Daran habe ich gar nicht gedacht. Tut mir Leid. Es muss furchtbar für dich sein.“

Der Sheriff sah ebenso getroffen aus, dachte aber anscheinend schon wieder angestrengt nach.

„Entschuldigen Sie mich bitte einen Moment. Wir brauchen Gewissheit, ich muss meinen Jungs mal Beine machen.“

Dann eilte er davon, um mit dem Officer zu reden, der gerade unter unserem Auto wieder hervorkroch.

Zusammen mit einem Spurensicherungsmitarbeiter kam er wenig später zurück.

„Guten Abend.“, begrüßte uns der Mann höflich.

„Es tut mir leid, dass sagen zu müssen, aber die Vermutung, dass sich jemand an Ihrem wagen zu schaffen gemacht hat, können wir als bestätigt ansehen. Die Bremsleitungen wurden angeschnitten.“

Ich war immer noch geschockt, aber nicht überrascht. Nur ein Gedanke setzte sich in meinem Kopf fest. Jemand, verdammt noch mal, hatte versucht uns umzubringen.

Man nahm von uns beiden noch eine kurze Aussage aus, dann setzte man uns in einen Krankenwagen und fuhr uns zum Krankenhaus. Der Arzt beschloss, dass ich nicht zur Beobachtung bleiben müsse und entließ und gegen Mitternacht. Vor dem Haupteingang erwartete uns schon ein Streifenbeamter, um uns nach Hause zu fahren und anschließend Wache vor unserem Haus zu halten.

Wir hatten nur kurz darüber gesprochen, doch allen beteiligten war klar, dass unser Täter alias Thomas wieder zugeschlagen haben musste.

Als wir endlich im Bett lagen, war für mich an Schlaf für mich nicht zu denken. Ich hatte Kopfschmerzen bekommen und so lag ich noch lange wach. Ich dachte daran, wie knapp ich wieder einmal dem Tod entkommen war. Meine Gedanken schweiften zurück zu einigen schmerzhaften Erinnerungen über die Geschehnisse, die sich vor über zehn Jahren zugetragen und mein Familie auseinandergerissen hatten.

28. Kapitel

28

Wütend warf die Krähe Gläser gegen die Wand ihrer Hütte. Immer wieder, bis keine mehr übrig waren. Etliche Scherben glänzten im spärlichen Licht der Kerzen.

Die beiden waren glimpflich davongekommen! Wieder einmal. Es schien wie verhext. Das Biest hatte mehr Leben als jede verdammte Katze.

Das hatte sie schon damals gedacht als sie noch jung gewesen war. Was niemand wusste, war, dass die Krähe damals auch bei der Beerdigung des Laine-ehepaare anwesend gewesen war. Leise und unauffällig hatte sie sich wissentlich im Hintergrund gehalten. Nur für den Fall, dass jemand ihr Lächeln, sollte sie es einen Moment nicht unterdrücken können, sah.

Zu dieser Zeit schon hatte sie eine tiefe Abneigung gegen diese Familie gehabt. Ebenso hatte sie schon damals gespürt, dass sie anders war, als alle um sie herum. Sie war mit Sicherheit kein Soziopath, denn sie empfand Gefühle. Sowohl Liebe, als auch Hass waren ihr bekannt. Doch waren die Gefühle immer sehr stark und alles beherrschend. Ihr Leben war schwarz oder weiß, es gab keine Grautöne, überhaupt nicht. Darin unterschied sich die Krähe von den meisten Menschen.

Sie gab daran ihrer lieblosen Mutter die Schuld, dass sie so anders geworden war. Von der Norm abzuweichen, hieß sich anpassen zu müssen und ein guter Schauspieler zu werden, wenn man überleben wollte.

Ihre Mutter, diese alte Hexe, war schön und umschwärmt gewesen. Bei allen war sie beliebt, doch nie, nie, hatte sie je wirklich Zuneigung zu ihrem einzigen Kind gezeigt. Sie hatte dieses Kind sich selbst und ständig wechselnden Nannys überlassen, während sie mit den Männern – keiner davon ihr Vater – um die Häuser gezogen war.

Vor zwei Jahren dann war sie sehr krank geworden und vegetierte seitdem nur noch vor sich hin. Aufgrund von schlimmen Komplikationen bei einer Schönheits-OP bei der ein Blutgerinsel ins Gehirn gelangt war, war sie dann schließlich gelähmt. Sie konnte nicht mehr reden, nicht mehr schreiben, nichts anderes tun als mit ihren Augen zu versuchen, sich zu verständigen.

Sie nahm noch alles um sich herum wahr, doch sie konnte nicht mehr auf ihre Umwelt reagieren. Ein Glücksfall für die Krähe. In ihrem Pflegeheim wurde sie künstlich ernährt, ein scheußlicher Anblick dieser Schlauch in der Nase. Die einst so schöne Frau war nur noch ein schatten ihrer Selbst. Kein Mann besuchte sie je wieder.

Crow hielt dies für ihre gerechte Strafe. Es bereitete der Krähe ein unglaubliches Vergnügen ihrer Mutter all die grausigen verbrechen zu erzählen, die sie in den letzten Jahren begangen hatte. Die Morde schilderte sie in allen Einzelheiten und legte ihr auch ihre Pläne in Bezug auf das Laine-Balg dar.

Ihre Mutter, unfähig sich zu bewegen, zeigte nur eine Reaktion: Angstgeweitete Augen starrten ihr eigenen Kind an.

Kein Hass, keine Wut, nur blanker Horror waren darin zu lesen. Crow wusste das diese pflegebedürftige Wesen am liebsten zurückgezuckt wäre, wann immer sie ihr zärtlich über die Wange strich. Oft musste sie den Impuls wiederstehen, ihrer Mutter einfach die kehle zuzudrücken und so auch das letzte bisschen Leben aus ihren Augen weichen zu sehen. Ein letzter stummer Schrei und dann wäre sie tot.

Noch nicht, dachte die Krähe und kehrte in die Gegenwart zurück.

Überall um sie herum lagen noch immer die Glasscherben. Es wurde Zeit aufzuräumen, denn nur ein ordentlicher Geist in einer ordentlichen Umgebung konnte sich auch weiterhin so unauffällig wie ein Schatten bewegen.

Langsam bildeten sich einige alternative Züge für ihren Plan heraus, aber das Warten bis zur Umsetzung zerrte an ihren Nerven.

Vorerst waren die beiden ihr wirklich entkommen.

29. Kapitel

29

Der Tag der Beerdigung war ein schöner klarer Frühlingstag gewesen, der dem Anlass der Zusammenkunft in jeder Hinsicht spottete. Die Welt um uns herum erwachte gerade zu neuem Leben, während ich geliebte Menschen, meine Eltern, meine Welt, auf ihrem letzten Weg begleitete.

Gegen Mittag trafen sich Verwandte und Freunde meiner Eltern auf dem kleinen malerischen Friedhof am Stadtrand. Generationen von einheimischen Familien lagen dort schon seit dem Bürgerkrieg begraben.

Dana schob meinen Rollstuhl über einen Kiesweg zu einer kleinen Kapelle in der Mitte des Friedhofes. Ich konnte aufgrund meines mehrfach gebrochenen Beines noch nicht wieder richtig laufen.  Im Inneren der Kirche war es kühler als draußen im Sonnenlicht und ich weiß noch, wie ich fröstelte. Die beiden Särge waren schon vor dem Altar aufgebahrt und +überall waren Sträuße aus Flieder, der Lieblingsblume meiner Mutter,  angebracht. Der Duft war dezent, doch schrecklich vertraut. Ich starrte nur ausdrucklos geradeaus und reagierte auf kein Wort, dass man mit mir sprach, bis sie auch den letzten Versuch aufgaben.

Seit ich eine Woche zuvor im Krankenhaus wieder aufgewacht war und vom Tod meiner Eltern erfahren musste, hatte ich kein einziges Wort mehr gesprochen.

Die Ärzte waren sich noch ein wenig uneinig über meine Apathie. Lag sie an der leichten Kopfverletzung, die ich erlitten hatte, als ich aus dem Auto geschleudert wurde? Ich war drei tage lang bewusstlos gewesen. Oder lag es doch an dem schock, den der Verlust beider Elternteile mit sich brachte?

Auch hatte ich nicht ein einziges Mal geweint, ich hatte es mir selbst nicht gestattet. Schließlich waren sie nur wegen mir so schnell gefahren. Es war mir nicht gut gegangen. Ich fühlte mich fiebrig und sie vermuteten ich hätte mich bei Dana angesteckt.

Dana schob mich in die erste Reihe und setzte sich dann neben mich. Sie hielt still meine Hand, während sich unsere Tante Janes  die Schwester meiner Mutter, um die Trauergäste kümmerte, die nach und nach die hinteren Bankreihen füllten. Die eigentliche Zeremonie, durch die Pastorin unserer gemeinde geleitet, war kurz, aber sehr persönlich. Sie erzählte aus dem Leben der beiden Menschen, mit denen sie selbst zur Schule gegangen war. Dann folgten wir alle den Sargträgern zu den ausgehobenen Gräbern. Viele der Anwesenden weinten, als die Särge hinab gelassen wurden.

Betroffenes Schweigen und noch immer Fassungslosigkeit beherrschten diesen Moment des Abschiedes. Es wurde der Familie kondoliert, doch uns Kinder sahen die meisten anwesenden Gäste so vorsichtig an, als würden wir bei der leichtesten Berührung zerbrechen.

Dana weinte still die ganze Zeit über, doch ich zeigte noch immer keine Reaktion. Der Empfang sollte im Haus von Jane und Dave stattfinden, sodass sich eine Kolonne von Wagen in Richtung Livingston in Bewegung setzte.

Auch dort im Haus saß ich nur apathisch da und schaute unbeteiligt aus dem Fenster, während sich die Menschen um mich herum mit gesenkten Stimmen unterhielten. Der einzige Mensch, den sich meine Schwester in dieser Zeit anvertraute, war Meggi gewesen. Sie hatte sich in der damals vergangenen Woche und den ganzen Tag sehr zurückgehalten, was mir nur recht gewesen war. Sie war so etwas wie eine Stille Stütze für Dana. Doch es war ein seltsam ungewohntes verhalten von einer jungen Frau, die sonst immer im Mittelpunkt stehen musste. Damals vermutete ich bei ihr doch so etwas wie Taktgefühl.

Als ich damals allerdings einmal während des Empfanges zu ihr sah, erschien sie mir wütend. Sie schaute mit sehr wütendem Blick zu Dana. Ich konnte mir das nicht erklären. Vielleicht war es auch bei ihr Unverständnis über dieses Unglück oder es war Mitleid mit ihrer besten Freundin. Aber schon bald danach sollte sie wieder ganz die Alte sein. Die Person, die ich kannte und verabscheute.

Keine fünf Wochen später war ich zwar meinen Gips los, hatte allerdings noch immer kein Wort gesprochen. Die Ärzte wussten sich keinen Rat mehr. So lange wie ich nicht sprach, konnte ich auch nicht zur Schule gehen. So blieb ich täglich zu Hause, noch mehr isoliert, als meiner Schwester recht war. Die meiste Zeit starrte ich ohne jede Gefühlsregung auf den Fernseher und zeppte durch die Kanäle.

Als sich Dana keinen Rat mehr wusste, versuchte sie es mit einem Trick. Und so brachte sie eines Tages ein winziges Flauschebällchen mit. Es hörte auf den Namen Moé.

Zuerst ignorierte ich dieses kleine Wesen, das so unbeholfen durch unser Haus tappste. Doch lange konnte ich ihrer Unschuld nicht mein Herz verschließen. Ich verliebte mich in dieses Kätzchen.

Ich zeigte es nicht offen und rief sie auch nicht bei ihrem Namen, doch trotzdem suchte sie an den langen Tagen, an denen nur wir zwei im Haus waren, immer wieder meine Nähe. Stundenlang, wenn wir mal wieder allein waren, lag sie auf meinen Schoß und schlief. Ich sah ihr dabei zu und streichelte sie. Mein Herz begann zu heilen.

Dann kam der Tag, an dem ich meine Stimme wieder fand.

Nur wenige Wochen später war ich wieder einmal allein zu Hause. Das Laufen viel mir immer noch recht schwer, sodass ich mich auf Krücken stützen musste und mich auch nur mit Mühe allein hinhocken oder –knien konnte. Ich saß im Wohnzimmer, als ich aus der Küche ein lautes Scheppern hörte, gefolgt von einem schreienden Mauzen. Es war ein Laut, bei dem sich mir mein Herz zusammenzog und den ich meinen Lebtag nie wieder vergessen konnte.

Ich stürzte ohne Krücken in die Küche und hörte das Schreien der kleinen Katze hinter dem Kühlschrank. Sie war dahinter eingeklemmt. Ich rückte und zog, doch ich konnte den Kühlschrank keinen Millimeter bewegen. Mein Bein schmerzte, voll belasten konnte ich es nicht. Immer weiter mauzte Moé kläglich. Als sie leider und schwächer wurde, griff ich panisch nach dem Telefon und rief ohne nachzudenken bei meiner Tante Jane an. Als sie nach dem dritten Läuten endlich abnahm, sprudelten die Worte einfach aus mir heraus.

„Schnell. Jemand muss mir helfen. Moé ist hinter dem Kühlschrank eingeklemmt.“

Meine Stimme klang seltsam kratzig. Ich erkannte sie selbst kaum wieder.

Keine fünf Minuten später die ich weinend vor dem Kühlschrank verbrachte und beruhigend auf Moé einsprach, kamen endlich Jane und ihr Mann in die Küche gestürzt. Dave rückte so lange, bis Jane hinter den Schrank und Moé hervorholen konnte. Sie legte sie mir auf den Schoß und ich drückte sie zitternd und weinend an meine Brust. Sie knurrte.

Die Tränen strömten mir noch lange ungebremst über die Wangen. Aus Angst um Moé und endlich auch um meine Eltern. Um mich.

Es war erlösend. Endlich konnte ich das Gefühl des Verlustes, dass so lange auf meiner Brust lastete und mir die Luft zum atmen nahm, ein wenig herauslassen.

Von diesem Tag an sprach ich wieder, ging normal zur Schule und doch blieb immer ein bitterer Nachgeschmack. Immer und immer wieder wurde ich daran erinnert, dass ich keine Eltern mehr hatte. Schulfeste, Elternabende, Musicals zu denen sie nicht mehr gehen konnten.

 

Die andren Kinder mieden mich oder stellten Fragen, die ich nicht beantworten konnte oder wollte.

Ich blieb seid damals immer mehr für mich. Ich blieb ein Außenseiter.

 

30. Kapitel

30

Am Morgen bestellte Landon einen Wagen, damit wir wie geplant zu seinen Eltern fahren konnten. Der Unfall hatte ihn in seiner Entscheidung nur noch bestärkt. Daher diskutierte ich auch nicht mit ihm, sondern packte eilig die restlichen benötigten Sachen zusammen. Auch die Einkäufe vom Vorabend wurden rechtzeitig geliefert.

Kaum eine halbe Stunde nach Landons Anruf bei einer Leihwagenfirma, stand auch schon ein schicker roter Sportwagen vor unserer Tür, dessen Emblem sogar mir etwas sagte. Geld musste man haben. Ich schüttelte nur den Kopf. Landon meinte nur achselzuckend, man könne auch mit Stil reisen.

Also stellten wir unsere Koffer auf die Rückbank des Wagens, denn seltsamer Weise war der Kofferraum kaum groß genug für meine Handtasche. Und so was nennt sich Luxus, dachte ich bei mir. Den Katzenkorb nahm ich auf dem Schoß.

Zuerst fuhren wir zu meiner Nachbarin, Mrs. Hank, um meine Katze in ihre Obhut zu geben. Sie begrüßte uns freudig, während Moé ziemlich laut ihren Unmut über die Transportbox kundtat.

„Vielen Dank, dass Sie sich um Moé kümmern, Mrs. Hank.“

„Kein Problem, meine Liebe. Aber nennen Sie mich doch bitte Dolores.“

„Dann nochmals vielen Dank, Dolores.“, antwortete Landon.

Ich gab Moé noch einen Kuss auf ihren unwilligen Kopf, dann fuhren wir auch schon weiter. Ich ließ sie nur ungern dort, auch wenn sie über die Maßen verwöhnt werden würde. Doch ich sah auch die Notwendigkeit von hier zu entkommen. Thomas zu entkommen. Diesem Verrückten, der mir nach dem Leben trachtete. Mittlerweile war ich mir sicher, dass es sich bei ihm um den Täter handeln musste.

Wir fuhren den Highway entlang und ich versuchte mich ein wenig zu entspannen. Nach der kurzen und unruhigen Nacht fühlte ich mich völlig zerschlagen. Landon und ich plauderten über alles Mögliche, nur nicht über das Erlebte. Nach einiger Zeit machten wir an einem Rastplatz halt, damit ich Snacks für die Weiterfahrt kaufen konnte.

Landon wollte in der Zwischenzeit mit Dana telefonieren, die sich erstaunlicher Weise noch nicht gemeldet hatte. Er wählte gerade ihre Nummer, als ich aus dem wagen stieg, doch als ich zurückkam hielt er mir ausdruckslos das Handy hin.

Mir rutschte das Herz in die Hose.

„Hallo Dana.“, begann ich zaghaft.

Landon startete den leisen Motor und lenkte den Wagen zurück auf den Highway.

Überraschender Weise war auch Danas Stimme zögernd und verwirrt. Mit den folgenden Worten hatte ich nicht gerechnet.

„Eria. Ich weiß nicht, wie ich dich fragen soll.“

Sie atmete tief ein.

„Oh, man. Du und Landon, ja? Das kommt überraschend.“

Mir fiel vor Schreck fast das Handy aus der Hand. Ich brauchte einen Moment, um mich wieder zu fangen, da sie ja noch nichts über diese Entwicklung wusste. Ich funkelte Landon böse an, während dieser betont gleichmütig zu der leisen Musik im Radio summte. Country.

Was sollte ich sagen?

„Äh, ja, nun.“, begann ich.

Vielversprechend war das nicht.

„Es ist ein bisschen wie ein emotionaler Unfall gewesen.“

Landons Kopf ruckte zu mir herum und starrte mich ungläubig an.

Dana hingegen fiel laut an zu lachen. Und lachte. Irgendwann hatte sie sich wieder soweit im Griff, dass sie glucksend fragte:

„Hat er das gehört? So kann man das auch nennen. Pass bitte auf dich auf, hörst du?“

Und das war es dann; eine weiteren Fragen euer Ehren. Manchmal liebe ich meine Schwester noch mehr als sonst. Ich hätte damals auch nicht gewusst, wie ich es ihr hätte erklären sollen. Ich wusste es ja selbst nicht, wie es dazu gekommen war.

Ich verabschiedete mich und beendete das Gespräch. Danach schaute ich bewusst aus dem Fenster. Schließlich piekte Landon mir auffordernd in die Seite, doch ich schaute weiter mit bewusst neutraler Miene auf die Landschaft.

Er räusperte sich.

„So, so, einen Unfall nennst du mich also?“

Ich grinste ihn nur an, denn kein Wort würde ich darüber verlieren.

31. Kapitel

31

Wir fuhren immer weiter die Highways entlang Richtung Denver, Colorado.

Die Landschaft war unglaublich schön, wenn auch teilweise ziemlich karg. Landon legte eine neue CD ein, deren Interpret mir nicht bekannt war. Aber es war eine Country Band. Diese Musik hielt ich genau dreiunddreißig Minuten aus, denn riss ich die CD förmlich aus den Player. Noch ein weiteren Benjo-Solo und ich hätte aus purer Verzweiflung meinen Kopf im Takt der Musik aufs Armaturenbrett geschlagen. Ich handelte aus reinem Selbstschutz.

Genauso erklärte ich das auch Landon, als er beleidigt registrierte, dass ich anstelle dieser Ohrenfolter – mal wieder – mein Lieblingsalbum von Rise Against einlegte. Die ersten harten Klänge von Sattelite halten durch den Innenraum und ich entspannte mich merklich.

Landon ertrug es tapfer. Gegen Mittag hielten wir für unseren zweiten Stopp an einer unheimlichen 50er-Jahre Highway-Gaststätte. Es war ein Diner aus den 40er oder 50er Jahren, komplett mit toupierter Bedienung und Resopaltischen. Vervollständigt wurde das Ambiente durch eine echte Juke-Box und Elvis-Musik. Nur ein einsamer Geschäftsmann saß mit seiner Zeitung an einem der hinteren Tische. Die Türglocke klingelte als wir eintraten. Wäre es schon Abend gewesen, hätte man meinen können, so würden Horror-Filme anfangen.

Eine Blondine mittleren Alters nahm unsere Bestellung auf. Sie klimperte dermaßen auffällig mit ihren Wimpern in Landons Richtung, dass es schon mehr als lächerlich war. Ich befürchtete schon bald, dass ihr Mascara abbröckeln würde.

Landon schien es nicht einmal zu bemerken, denn er beschäftigte sich nur mit mir. Am liebsten hätte ich Miss Landei eine lange Nase gezeigt.

Wir bestellten schließlich ungesüßten Eistee, Pancakes und einen original Country-Burger. Wir konnten gar nicht anders. Und es war köstlich.

Als ich anschließend wieder von der Toilette zurückkam, war Landon ein mal wieder mit telefonieren beschäftigt. Diesmal mit seiner Mutter.

„Ja, Mutter. Ich denke, wir sind gegen Abend da. Wir, das heißt Eria und ich. Doch du kennst sie, Mutter. Ja, wirklich. Sie ist die Schwester von Dana. Mmmh. Ja. Jaha!“ Wir sind pünktlich zum Abendessen da. Gut. Bis dann.“

Er legte auf und schaute zu mir auf, da ich noch neben ihm stand.

„Frohe Kunde. Meine Mutter ist sehr erfreut darüber dich kennenzulernen. Und die herzallerliebste Celine wird auch anwesend sein.“

„Aha.“, war alles, was mir dazu einfiel.

Ich setzte mich wieder Landon gegenüber und schaute schnell auf meine Hände, was ein Fehler war, denn mein Nagellack blätterte langsam ab. Ich dachte daran, welchen Eindruck diese Nachlässigkeit wohl auf seine vornehme Mutter machen würde. In diesem Moment hätte ich es lieber mit einem verrückten und mordlüsternen Thomas aufgenommen, als Landons Mutter gegenüberzutreten.

So mussten sich schon Millionen von Frauen seit Anbeginn der Zeit gefühlt haben, bevor sie zum ersten Mal der mitunter gnadenlosen Musterung ihrer potenziellen Schwiegermutter unterzogen wurden. Wahlweise konnte diese Musterung durch große Schwestern, kleine Schwestern, Schwägerinnen, Tanten und Großmutter erweitert werden.

„Hey, du brauchst nicht nervös zu sein.“, versuchte Landon mich aufzumuntern.

„Celine ist bloß ein Snob. Meine ganze Familie ist so. Aber meistens sind sie ganz umgänglich. Egal, was meine Schwester sagt, ignorier es am besten einfach. Sie wird versuchen dich zu ärgern. Sie ist wohl gerade gut gelaunt, denn sie hat mal wieder so einen armen Drops mitgeschleift. Die sind auch immer vom gleichen Typ: Reich, gute Erziehung, gute Ausbildung, aber null Persönlichkeit.“

„Was für ein Problem könnten sie denn mit mir haben?“

„Naja, du bist eventuell nicht reich genug.“, antwortete er gerade heraus.

„Was? Das ist doch nicht dein Ernst.“

Ich schaute wohl ziemlich ungläubig drein.

„Reich im Maßstab der Jacksons. Das könnte eine Überlegung meines Vaters sein.“, rechtfertigte er sich schnell.

„Ich sagte dir doch schon, dass sind alles riesige Snobs, die sich für den Nabel der Welt halten. Denk jetzt am besten nicht darüber nach, ich pass schon auf dich auf.“

„Ja, genau. Einfach nicht drüber nachdenken“, murmelte ich vor mich hin, als ich Landon zum Wagen folgte.

Die Bedienung schmachtete ihm hinterher, genauso wie alle anderen anwesenden Damen und sicherlich einige Herren, des nun gut besuchten Diners. Normalerweise hätte mich das amüsiert, doch das bevorstehende Treffen bereitete mir zu viele Kopfschmerzen.

Oh man, worauf hatte ich mich da nur eingelassen? Mir schwante Schlimmes.

Im Auto griffen wir zeitgleich zum CD-Deck. Diesmal war Landon allerdings schneller. Keith Urban perlte schnulzig aus den Lautsprechern. Er grinste schadenfroh.

„Jetzt musst du meine Musik ertragen.“

Ich glaube, er mochte Keith urban selbst nicht, aber das war egal, wir machten uns wieder auf den Weg. Gegen siebzehn Uhr und einen weiteren Stopp später erreichten wir für meinen Geschmack viel zu schnell die ersten Vororte von Denver. Wir fuhren auf ein Wachhäuschen vor dem edel-Viertel zu, in dem Landons Eltern residierten. Der Pförtner winkte uns durch und nach einem sehr imposanten Doppelflügeltor ein wenig die Straße hinauf, fuhren wir eine lange baumgesäumte Auffahrt hoch.

Die Sonne schien durch die Baumkronen, während wir uns langsam einer großen weißen Villa im Kolonialstil näherten.

Südstaatenarchitektur im Mittleren Westen und Säulen am Eingang bestimmten das Bild.

Also ehrlich mal, protziger ging es ja wohl kaum.

32. Kapitel

32

Ich verspürte so gar kein Bedürfnis mich dem Haus weiter zu nähern.

Wie ich zu diesem Prachtbau hinaufsah, verstand ich auch den Grund für unseren exklusiven Mietwagen. Bei den Jacksons war man immer „stilvoll“, egal ob man zu einer Dinnerparty eingeladen wurde oder nur zu Besuch nach Hause kam. Es kam allerdings auch darauf an, wie man stilvoll definierte, sagte ich mir, denn mit protzig konnte man hier nicht besonders viel falsch machen.

Vor dem Haupteingang des Hauses stand etwa ein Dutzend Nobelkarossen, deren Gesamtwert sicherlich ein dritte Welt Land hätte vom Hunger befreien können. Vielleicht übertrieb ich ein wenig, aber ich war von so viel Geld wirklich – sagen wir mal – beeindruckt.

Als wir neben den anderen Wagen hielten, wurde ich wirklich nervös und versuchte unauffällig meinen Rock glattzustreichen.

„Das wird schon. Du siehst hinreißend aus.“, meinte Landon aufmunternd, meine Gesten richtig deutend.

Allerdings straften seine angespannten Kiefermuskel seinem leichten Tonfall Lügen. Er war auch nervös, wie ich zufrieden feststellte.

Wir stiegen aus und ein livrierter Butler hielt uns galant die Haustür auf.

„Willkommen, Master Jackson. Miss.“, begrüßte uns der Butler mit einer Verbeugung.

Ich zog eine Augenbraue hoch und sah Landon fragend an. Der zuckte nur mit den Schultern und murmelte dann:

„Meine Eltern sind ein wenig rückständig.“

Wohl eher Anhänger der guten alten Zeiten vor dem Bürgerkrieg. Später sollte ich erfahren, dass diese antiquierten Ansichten von Landons Vater ausgingen, welche sie wiederum von seinem Urgroßvater übernommen hatte, einem Plantagenbesitzer.

„Sir, Miss, wenn Sie mir bitte folgen würden.“, meldete sich der Butler zu Wort.

„Die Gesellschaft erwartet sie schon.“

Gesagt, getan und so folgten wir ihm durch die riesige dreistöckige Eingangshalle, einem Atrium nicht unähnlich. Die Wände waren mit modernen Bildern auf der einen und antiken Gemälden auf der anderen Seite gepflastert.

Das Wort „Gesellschaft“ lag mir schwer im Magen, während meine Absätze lächerlich laut auf dem Steinboden klickten.

Wir hielten an einer weitern riesigen Flügeltür an, hinter der wir Stimmen und Gelächter sowie leise Musik hören konnten.

Der Butler öffnete auch diese Tür für uns. Sie führte zu einem kleinen Ballsaal, der mit funkelnden Lichtern erleuchtet war. Etwa zwanzig Personen standen in Zweier- und Dreiergruppen zusammen und unterhielten sich, während ein Kellner zwischen ihnen hin und her eilte und reichlich Champagner verteilte.

Eine mir bekannt vorkommende Frau stürzte auf uns zu. Sie sah bezaubernd aus in ihrem hellblauen Kleid von Versace.

„Landon.“, schnurrte sie.

„Mutter! Du siehst großartig aus.“

„Danke Schatz.“

Sie umarmten sich.

„Und du musst Eria sein.“, fügte sie an mich gewandt hinzu.

„Du bist aber groß geworden und dazu sehr hübsch.“

Das klang für mich so, als sei sie überrascht.

„Vielen Dank, Mrs. Jackson.“

Von tiefem Unwillen erfüllt, war ich versucht, meine Worte mit einem Knicks zu unterstreichen.

Ich sah mir seine Mutter kurz genauer an. Trotz ihrer natürlichen Schönheit zeigten sich leichte Falten um die Augen, die selbst Botox nicht hatte aufhalten können. Ihre Gesichtszüge wirkten seltsam erstarrt, auch wenn ihre Augen funkelten. Bauch, Beine, Po hätten noch natur- und sportgeformt sein können, doch der Busen war eindeutig aus Meisterhand. Der sah einfach zu perfekt aus, obwohl sie kein BH unter ihrem Kleid trug. Ihre Haltung war genauso aufrecht wie Landons. Und der ihres Mannes, wie ich bald sah.

Wahrscheinlich würde jedes Mitglied dieser Familie selbst in Flammen stehend würdevoll und gemächlich dahinschreiten und dabei keine Miene verziehen. Eigentlich eine schöne Vorstellung, mein Kopfkino lief kurzzeitig Amok.

Die nächsten zwanzig Minuten verbrachten wir damit, allen Anwesenden die Hände zu schütteln, zu lächeln und uns vorzustellen. Bekannte Namen aus Wirtschaft und Politik hielten uns mit Small-Talk in ihrem Griff. Eigentlich war eher Kay davon betroffen, denn ich versuchte mich unauffällig im Hintergrund zu halten und lächelte lediglich jedes Mal strahlend, wenn eine Frage an mich gerichtet wurde, gefolgt von einer kurzen Antwort.

Ich beobachtete lieber die anwesenden Damen, ihr falsches Lachen, ihre falschen Wimpern, ihre falschen Brüste. War denn hier wirklich jede Frau operiert?

Mir fiel zudem auf, dass die Ehefrauen erheblich jünger waren, als ihre Männer. Ein Phänomen der Reichen. Allerdings fragte ich mich, wieso sie alle auch noch in etwa das gleiche trugen. Ganz ehrlich, sie sahen alle aus wie makellose, erstaunlich hohle Klone von ein und demselben Vorzeigefrauchen.

Letztlich gingen wir zu einer jungen, gelangweilt wirkenden Frau hinüber. Selbst als wir uns ihr von der Seite näherten, konnte ich diesen charakteristischen Zug um ihren Mund erkennen. Ich erkannte die Frau sofort. Celine, Landons kleine Schwester.

Sie bemerkte uns und drehte sich lächelnd um. Mir reichte sie huldvoll die Hand, so als würde sie mir eine ganz besondere Ehre zu Teil werden lassen. Landon gab sie währenddessen zwei Luftküsschen neben die Wange. Dabei konnte ich fühlen, wie sie mich mit ihren Augen förmlich scannte. Ihrem selbstgefälligen Lächeln nach dem Ende dieser Prozedur, konnte ich ganz genau ein Wort entnehmen: „Durchschnittlich.“

Ich muss zugeben, dass ich mich unter diesem Basiliskenblick sehr unwohl fühlte. Ich konnte schon jetzt dieses arrogante, verzogene Gör nicht leiden. Ja, auch wenn sie drei Jahre älter war als ich, war sie ein Gör.

„Sehr erfreut, Celine.“, sagte ich so huldvoll, wie sie mir die Hand gegeben hatte. Ich sah dann auffällig auf ihren praktisch nicht vorhandenen Busen, zog eine Augenbraue hoch. Sie folgte meinem Blick und ich bedachte sie mit meinem strahlensten Lächeln. Ihre Augen zogen sich verärgert zusammen. 1:0 für mich.

Landon tat zwar so, als würde er von unseren Geplänkel nichts mitbekommen und schaute sich mit bewusst neutraler Miene im Raum um, doch nur wenig später murmelte er mir verstohlen: „Treffer und versenkt.“ zu.

Mitten im Gespräch mit Celine in dem ich mich höflich von einem Thema zum nächsten hangelte, war das Klingeln eines Glöckchens zu hören. Wir drehten uns alle zu Landons Mutter um, neben der ein Hausmädchen in gestärkter Schürze stand.

„Mein lieben Gäste, wenn Sie sich jetzt bitte in den Speisesaal begeben würden. Das Dinner ist angerichtet.“

Oje, dachte ich und blieb stehen, doch Landon zog mich mit sanfter Gewalt hinter sich her in den Speisesaal. Ich schnappte mir in letzter Sekunde noch ein Glas Champagner von einem vorbeieilenden Kellner. Ex und weg, dran könnte ich mich echt gewöhnen.

Nach und nach ließen sich die Gäste an der langen Tafel nieder, welche festlich mit Kristall und Porzellan gedeckt war und führten ihre Gespräche fort. Ich saß rechts neben Landon, der wiederum neben seinem Vater saß, der die Stirnseite besetzte. Ich sah ihn nun zum ersten Mal. Er nickte mir lediglich zu. Landon gegenüber saß seine Mutter und ich hatte dementsprechend das große Glück, Celine neben mir zu wissen, denn der Platz neben der Hausherrin gebührte an diesem Abend dem Ehrengast, einen Senator.

Ich genoss gerade einen wunderbar frischen Salat, als sich das Tischgespräch unglücklicher Weise meiner Person zuwandte und Landons Mutter anfing mich auszufragen.

„Nun, Miss Laine, erzählen Sie und doch bitte, seit wann Sie mit meinem Sohn liiert sind. Wie geht es Ihrer liebreitenden Schwester? Ich habe gehört, sie hätte gerade erst geheiratet.“

Ich nickte, doch bevor ich richtig antworten konnte, ergriff Landon schon das Wort:

„Mutter, solche Fragen gehören sich hier nicht.“

„Sei ruhig, Landon.“, befahl auf einmal sein Vater. Er hatte eine starke und tiefe Stimme.

„Ich möchte auch wirklich gern mehr über deine Freundin erfahren.“

Ich drückte beruhigend Landons Hand, dann wandte ich mich ganz seinen Eltern zu.

„Nun, meiner Schwester geht es ausgezeichnet. Sie wohnt jetzt in Phoenix. Sie sagt, sie vermisst das Landleben und die Berge.“

„Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Sie war schon immer sehr erdverbunden, wie wir hier zu sagen pflegen.“, mischte sich Celine mit einer wegwerfenden Handbewegung ein.

Ich biss mir auf die Zunge und verspannte mich sichtlich. Mrs. Jackson schnalzte missbilligend mit der Zunge.

„Nun,“, antwortete ich, „ich finde nichts schlimmes daran erdverbunden zu sein. Es ist zumindest ehrlich und wesentlich eindrucksvoller, als sich hinter Reichtum, Prunk und einem falschen Lächeln zu verstecken, damit niemand merkt wie einsam man wirklich ist.“

Zu meiner Überraschung fing Landons Mutter daraufhin an schallend zu lachen, während Celine empört nach Luft schnappte. Über den Rest des Tisches legte sich ein betretenes Schweigen.

„Sie gefallen mir, Eria. Das haben Sie sehr gut erkannt. In dieser Welt ist alles Schein, doch muss man sich anpassen, um zu überleben. Das werden Sie sicher auch noch lernen. Merken Sie sich, seien Sie ein Chamäleon. Mit künstlichen Nägeln.“

Sie kicherte wieder, beflügelt von ihrer eigenen Fantasie. Ich musste auch lächeln, denn hinter der sorgfältigen Maske ihrer Erscheinung, verbarg sich – so erkannte ich nun – noch immer ein junges, freches Mädchen. Ein Mädchen, dass Opfer der Umstände wurde. Ein Mädchen, das einen reichen Mann heiratete. Ich bemerkte zudem, dass sie leicht angetrunken schien. Ihre Augen glänzend verräterisch.

„Mutter.“, wies sie eine scharfe Stimme zurecht.

Celine versuchte anscheinend ihre Mutter zu ermahnen. Diese hörte nun auf zu kichern und wandte sich übertrieben ernst an ihre Tochter.

„Ach, nun hab dich nicht so. Sehen Sie, Eria, Humor ist leider nicht vererbbar. Gott sei Dank, hat zumindest Landon ein wenig davon abbekommen.“

Landons Vater hatte sich unterdessen völlig teilnahmslos das Gespräch angehört  und seine Vorspeise niedergekämpft.

Er begann nun ein belangloses Gespräch mit Celines hübschen, aber farblosen Begleiter über Kricket und die Campuspolitik von Harvard. Seinen Namen hatte man mir zwar genannt, doch ich hatte ihn schon wieder vergessen.

Danach verlief das Tischgespräch wesentlich entspannter, abgesehen von ein oder zwei Spitzen seiner Schwester gegen mich. Nach dem Dessert erhoben sich alle und gingen langsam auf ihre Zimmer. Nur ein Ehepaar unter den Gästen blieb nicht über Nacht in einem der zahlreichen Gästezimmer des Jackson-Palastes.

Wir wünschten allen eine gute Nacht und wurden vom Butler nach oben geführt. Im ersten Stock betraten wir ein großes Zimmer mit Doppelbett. Ich hatte fast getrennte Betten erwartet.

„Mein altes Zimmer.“, murmelte Kay und schloss leise die Tür hinter sich.

Ich ging durch das Zimmer zum Fenster, der Raum wurde nur von einer kleinen Nachttischlampe erhellt.

Außer dem Bett konnte ich in diesem gedämpften Licht nur noch einen Kleiderschrank, ein Regal über und über voll mit Büchern und ein Landschaftsbild über dem Kopfende des Bettes erkennen. Kein Fernseher, keine Stereoanlage, nichts dergleichen.

Was ich da noch nicht wusste, sondern erst voller Verwunderung am nächsten Morgen feststellte, war, dass noch ein Wohnzimmer voll mit solchen technischen Spielereien und ein Badezimmer an diesen Raum angrenzten. Das Ganze war als eine eigene kleine Wohnung im Haus seiner Eltern gedacht gewesen.

„Deine Schwester ist ein Biest.“, sagte ich unvermittelt.

Ich hatte wohl zu viel getrunken, sonst war ich schließlich nie so direkt. Redete ich mir in diesem Moment ein. Mir drehte sich der Kopf.

Landon lachte leise.

„Ja, ich weiß.“

Er zuckte mit den Schultern, als sei dazu nichts mehr zu sagen.

„Ist das erblich? Deine Mutter ist nicht so schlimm wie es auf den ersten Blick erscheint.“

„Sie befreit sich immer mehr aus diesem Kokon, den die Ehe mit meinem Vater für sie bedeutet. Ich bin nicht einmal sicher, ob er es überhaupt bemerkt oder ob es ihm einfach nur egal ist.“

Er gab mir einen Kuss und setzte sich neben mich auf die Fensterbank. Ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter.

„Da hast dich da unten ganz wunderbar geschlagen, Süße.“

Er küsste mich wieder, diesmal auf den Scheitel. Dann wanderten seine Lippen zu meinem Nacken und schlagartig war ich wieder nüchtern.

Juhu, jubelten meine Nervenenden.

 

33. Kapitel

33

Am folgenden Morgen wachte ich mit mieser Laune und einem grimmigen Kater auf. Ich brummte meinen Unmut über das grelle Licht der aufgehenden Sonne in mein Kissen, bis ich mich daran erinnerte, wo ich eigentlich war. Und genau deshalb, versuchte ich auch so schnell wie möglich wieder einzuschlafen. Noch einmal wollte ich mich seiner Familie nicht stellen, vor allem wenn bei jeder Bewegung die ich versuchte, ein ganzer eisenwarenladen in meinem Kopf rumpelte.

Statt mich meinen Kater verschlafen zu lassen, zog mir Landon die Decke weg.

„Aufstehen, Schlafmütze. Frühstück.“

Ich knurrte.

„Sei doch nicht so ekelhaft munter.“

Ich drehte mich schwungvoll um, um meine Decke zurückzuerobern und purzelte dabei prompt und reichlich unelegant aus dem Bett. Verrenkt sah ich zu Landons lachendem Gesicht auf, der sich nun über mich gebeugt hatte.

„Nun komm schon. Es gibt lecker Eclairs und brasilianischen Kaffee. Danach können wir auch im Pool schwimmen gehen.“

Das Zauberwort  „Eclair“ war letztlich der ausschlaggebende Grund, warum ich in Rekordzeit meinen Kater vergaß und ohne Landon auch nur eines Blickes zu würdigen ins angrenzende Badezimmer stolzierte. Man musste halt Prioritäten setzen und meine hieß: mit etwas Pudding-Gebäck im Bauch würde ich der Welt gleich viel gelassener entgegentreten können.

Als wir wenig später die Treppe herabstiegen und durch die Flügeltür in den Speisesaal traten, erwartete uns schon der Butler, um uns die Stühle zurecht zu rücken und uns frischen Kaffee einzuschenken.

Mr. und Mrs. Jackson saßen schon am Tisch und waren jeweils in eine Zeitung vertieft. Financial Times und Daily Post, beides sehr britisch. Gerne dürfen sie raten, wer von beiden welche Nachrichten las.

Landons Mutter begrüßte uns munter, während der Herr des Hauses noch nicht einmal hinter seiner Lektüre aufschaute.

„Guten Morgen, meine Lieben.“

„Guten Morgen, Mr. und Mrs. Jackson.“, entgegnete ich brav.

„Mutter. Vater.“

Wir setzen uns zu ihnen und ich hielt nach den versprochenen Eclairs Ausschau. Landon folgte meinem suchenden Blick und natürlich wurde ich rot. Wir waren noch nicht lange genug zusammen, als das ich ihm zeigen wollte, welche Zügellosigkeit Backwaren bei mir auslösen konnten.

Trotzdem schnappte ich mir eines dieser kleinen Teilchen, das gerade von einem Dienstmädchen hereingebracht wurde. Mmmhhimmlisch. Mein Kater war endgültig vergessen.

Wie in gutem Hause üblich unterhielt sich Landon mit seiner Mutter über dieses und jenes. Endlich regte sich auch sein Vater, als sich das Thema um die anstehenden Präsidentschaftswahlen zu drehen begann.

„Eine Frau möchte für das Amt des Präsidenten unserer vereinigten Staaten von Amerika kandidieren? Das kann nur ein Witz sein. Was ist aus der Demokratie geworden, wenn jetzt sogar noch ein Farbiger sich zur Wahl stellen kann? Weiße haben dieses Land groß gemacht, sie sollten es auch beherrschen.“, polterte er.

 „Danke, mein Schatz, für deine Einschätzung der Lage. Nur leider vergisst du dabei, dass die Weißen dieses Land auf dem rücken eben jener gebaut haben, die du hier herabwürdigst. Ohne sie, die Farbigen, wären wir nie so groß geworden.“

Ein kalter Blick sollte sie wohl zum verstummen bringen, doch weit gefehlt.

„Und hast du vergessen, dass Frauen mittlerweile gleichberechtigt sind?

Sie ereiferte sich so sehr, dass sie sogar ein wenig rot anlief und dann schließlich aufsprang.

Ich war von dieser Auseinandersetzung peinlich berührt, während Landon sie aufmerksam verfolgte. Selbst der Butler schien seinen Spaß daran zu haben, denn er war stehengeblieben und schaute wohlwollend und schmunzelnd seine Hausherrin an.

Anstatt etwas zu entgegen stand Landons Vater einfach auf und verließ den Raum.

„Argh. Das tut er immer, wenn ihm die Argumente ausgehen.“

Ihre Stimme war fest, doch ihr Gesicht war noch immer zornesrot.

„Tja, Mutter, er ist es eben nicht gewöhnt, wenn jemand nicht nach seiner Pfeife tanzt. Dreimal darfst du raten, warum ich schon lange nicht mehr hier wohne.“

Sie sah ihn an und wurde sich anscheinend nun erst der Situation bewusst. Verlegen setzte sie sich wieder hin.

„Entschuldigen Sie, Eria. Mein Mann ist ein alter Reaktionär. Eine Erziehungsfrage, doch manchmal sind seine antiquierten Ansichten nicht mehr zu ertragen.“

Ich hatte keine Lust mich dazu zu äußern, also lächelte ich lediglich verständnisvoll.

Langsam, aber sicher, wurde mir das ganze Ausmaß der Probleme in dieser Familie bewusst. Auf einmal tat mir Landons Mutter unendlich leid. Gefangen in dieser Welt der Reichen und Schönen. Das Leben geprägt von Oberflächlichkeit, mit einen herrischen Mann verheiratet und mit einer verzogenen Tochter gestraft.

Aber immerhin, sagte ich mir, hatte sie sich dieses Leben irgendwann einmal ausgesucht, zumindest bis zu einem bestimmten Punkt. Und verzogen hatte sie ihre Tochter laut Landon selber, schade eigentlich.

Sie wechselte das Thema.

„Sie haben aber einen gesunden Appetit, Eria.“

Perplex starrte ich sie an und das Eclairs erstarrte in meiner Hand auf halben Weg zu meinem Mund.

Landon, seine Mutter und der Butler fangen an zu lachen.

„James, mein Lieber, setzt dich doch zu uns. Du stehst schon den ganze Morgen.“, meinte Mrs. Jackson zu dem Butler.

Dieser verbeugte sich und nahm neben ihr Platz. Als er dann – um geschäftig zu wirken – die Zeitung in die Hand nahm und theatralisch den Kopf schüttelte, fingen wieder alle an zu lachen.

„Was ist denn hier los?“

Celines verzogene Kleinmädchenstimme durchschnitt unser Gelächter.

Sie setzte sich zu uns an den Tisch und James sprang auf um vom Servierwagen Kaffee einzugießen.

„Nichts. Wir haben uns nur ein wenig unterhalten.“      

Als ich schon Celines arrogante Miene sah, sträubte sich alles in mir.            James, der hinter ihr stand und auf weitere Anweisungen wartete, verzog sein Gesicht zu einer Grimasse. Landons Mutter musste daraufhin wieder so heftig lachen, dass sie sich an ihrem Kaffee verschluckte. Besorgt eilte James zu ihr, doch sie winkte nur ab.

„Nun setzen Sie sich doch wieder, James.“

Der herablassende Blick Celines blieb niemand von uns verborgen. Da sie diesen Blick am besten konnte, wanderte er auch zu dem Schlachtfeld ungezügelter Kalorienzufuhr, das meinen Teller darstellte. Ungläubig zog sie eine Augenbraue hoch und griff nach einer Selleriestange, an der sie herumknabberte.

Ich lächelte ihr breit zu und biss herzhaft in meine Croissant. Ich war dünn genug, um nach Herzenslust zu schlemmen, wenn auch nicht o dünn wie Celine, aber das ließ sich selbst für mich und meinen regen Stoffwechsel nicht machen. Dafür hätte ich weniger essen müssen und soweit wollte ich nun wirklich nicht gehen.

„Celine, du solltest wirklich vernünftig frühstücken.“, meinte ihre Mutter.

„Ich achte nun einmal auf meine Figur, Mutter.“

Oder was davon übrig ist, ergänzte ich in Gedanken. Sie war sehnig und dürr. Für mein geübtes Teenager-Auge war sie zwar eindeutig nicht magersüchtig, doch viel fehlte nicht mehr.

„Kann ich dir einen Apfel reichen?“, fragte ich scheinheilig, woraufhin sie ein Gesicht machte, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. Nun ja, das war immerhin auch Obst und sprach sie sicher an.

„Nein, danke. Ich esse lieber ein wenig Vollkornbrot.“

Diesmal verschluckte sich mein Tischnachbar wirklich und ich schlug Landon kumpelhaft auf den Rücken. Sein Röcheln klang verdächtig nach einem Lachen.

Wenig später zogen Landon und ich uns satt und zufrieden zurück. Wir entschlossen und bei dem strahlenden Sonnenschein über das riesige Anwesen zu spazieren. Alles war sehr gepflegt. Der Rasen war akkurat getrimmt und überall waren Büsche, hecken und wahre Kunstwerke von Blumenbeeten angepflanzt. Es gab einen Teich und eine schmiedeeiserne Bank davor, auf der wir uns niederließen um eine Entenfamilie zu beobachten. Landon zeigte mir auch den Koi-Karpfen-Teich, der ganze Stolz seines Vaters. Mir wurde ganz schwindelig, als er mir erklärte wie unglaublich teuer diese Tiere waren. Ich kniete mich nach einiger Ermunterung an den Rand des Beckens und sah fasziniert zu, wie die Kois ganz zutraulich ihre Pellets aus meiner Hand fraßen. Ihre schuppigen Mäuler kitzelten an meinen Fingern und ab und zu bespritze uns eines der Tiere mit seiner Schwanzflosse.

34. Kapitel

34

Gegen Mittag kamen wir für mich überraschend an einigen Stallungen vorbei. Ich atmete diesen typischen Pferdegeruch tief ein und sah voller Entzücken mehrere junge Fohlen auf einer abgetrennten Weide herumtoben.

Wir stellten uns an den Koppelzaun. Eines der Fohlen sah zu uns rüber. Ich machte leise Schnalzgeräusche mit der Zunge, um es anzulocken. Doch es bockte, schlug mit den Hinterläufen aus und tobte weiter um seine Mutter und Spielgefährten herum.

Ein kleiner schwarzer Hengst hingegen war mutig und näherte sich uns. Ich streckte meine Hand aus, damit es meinen Geruch aufnehmen konnte und streichelte es dann ganz vorsichtig am Hals.

Er schnaubte mich an und mein Herz zerschmolz. So ein süßer Kerl.

„ich wusste nicht, dass du Pferde magst. Möchtest du vielleicht gerne reiten?“, fragte mich Kay.

Ich sah ihn erfreut an.

„Sehr gerne. Es ist schon Jahre her, seit dem ich das letzte Mal auf einem Pferd saß.“

Ich wurde bei der Erinnerung daran ein wenig bedrückt, mein Pferd war damals schon sehr alt gewesen und irgendwann haben wir es auf einen befreundeten Hof gebracht, damit es einen schönen Lebensabend hatte. Ich war jeden Tag hingefahren, doch irgendwann hat er einfach aufgehört zu fressen. Er legte sich hin und schlief dann friedlich ein.

Ich erzählte das Landon nicht, sondern folgte ihm lächelnd zum Stall. Wir gingen zusammen in den kühlen Mittelgang, vorbei an mehreren Boxen. Hier war der Geruch noch intensiver, warm und vertraut.

Direkt vor uns arbeitete ein Mann. Er mistete konzentriert eine der hinteren Boxen aus und schaute erst auf, als er unsere Schritte hörte.

Landon stellte mir den Mann als den Stallmeister Robert vor. Ich drückte zur Begrüßung seine schwielige Hand. Er war etwas älter, vielleicht vierzig, sonnengebräunt und mir tiefen Falten um seine Augen. Diese waren genauso sanft, wie die der Pferde, um die er sich kümmerte.

Er lächelte mich an und ließ seinen prüfenden Blick über mich gleiten. Er kam wohl zu einem positiven Ergebnis, denn er klopfe Landon anerkennend auf die Schulter.

„Gut gemacht. Ich nehme an, ihr wollt ausreiten? Welche Pferde wollt ihr?“, fragte er uns.

Ich sah Landon an.

„Komm mit, es wird Zeit, dass du noch jemanden kennen lernst.“, antwortete er ohne die Frage von Robert zu beantworten.

Der Stallmeister lachte uns folgte uns, während Landon mich weiter den Gang hinunter zog. Wir bleiben vor einer Box stehen, in der ein schwarzer Wallach stand.

„Hallo, mein Großer.“, begrüßte Landon das Pferd, „Eri, das ist quest.“

Es war ein schönes Tier mit einen sehr hohen Stockmaß und weißen fesseln.

„Und welches bekomme ich?“

„Quests große Liebe, Sundance.“

Wir gingen zur nächsten Box und Quest folgte uns aufmerksam mit seinem Blick. Dort stand nun eine zierliche, aber immer noch sehr große Fuchs-Stute.

„Hallo, Schöne.“

„Sundance kam als Fohlen zu uns und war einmal als Celines Reitpferd gedacht gewesen. Meine liebe Schwester wollte sie aber nicht, also hat sich Robert ihrer angenommen und sie ausgebildet. Damals war Quest etwa zwei Jahre alt gewesen und noch nicht gelegt worden. Sundance hatte noch Fohlenschutz, trotzdem hat sie ihn wohl verzaubert und er ist ihr nie wieder von der Seite gewichen. Er ist ein echter Kavalier.“

Ein bisschen wie bei Landon und mir, dachte ich.

„Sie hat ihn auch voll im Griff.“, ergänzte Robert grinsend an mich gewandt.

„Möchtest du sie reiten?“, fragte mich Landon.

Statt einer Antwort hielt ich ihr eine Möhre auf der flachen Hand hin. Erst schaute sie nur etwas misstrauisch, dann nahm sie die Möhre ganz vorsichtig mit ihren weichen Lippen auf. Anschließend schnüffelte sie nach mehr.

„Okay, verstehe. Das Pferd hat sich soeben selbst seinen Reiter gewählt.“

„So soll es sein.“, ergänzte Robert.

In einer so genannten Sattelkammer, die eher an einen luxuriösen Loft erinnerte, so groß und reich ausgestatte war sie, wurde ich eingekleidet. Robert sattelte währenddessen die Pferde. Ich hätte das lieber selbst übernommen, denn für mich gehörte es zum reiten dazu auch die kleinen und unliebsamen Tätigkeiten selbst zu übernehmen. Doch als ich gerade die Kartätsche in die Hand nahm, betrat Celine den Stall.

Mit ihrem mir nur allzu bekannten Blick erst zu mir und dann zu der Bürste in meiner Hand, stolzierte sie auch gleich wieder hinaus. Ich konnte mal wieder fast hören, wie sie Bauernmädchen dachte.

Seufzend legte ich für den Fall das weitere Personen auftauchten die Bürste weg.

„Robert? Könnten Sie das bitte kurz übernehmen?“

Er zwinkerte mir zu und begann Sundance mit langen Strichen zu striegeln. Ich wollte einen englischen Sattel, denn mit dem Reiten im Westernstil hatte ich mich noch nie richtig anfreunden können. Zum Glück war meine Stute nach der klassischen englischen Schule ausgebildet worden. Für mich persönlich hatte man mehr Kontakt zum Pferd durch den kleineren und leichteren Sattel, man konnte das Pferd oft durch bloße Berührung oder Druck der Schenkel lenken. In Europa war dieser Reitstil viel verbreiteter als das Western-Reiten, dass sich mehr für Cowboys auf langen Ritten eignetete. Der Sattel war dort einfach breiter, gemütlicher, manchmal einem Schaukelstuhl nicht unähnlich.

Robert warnte mich davor, dass mein Pferd manchmal etwas hartmäulig sei und sehr gerne galoppierte.

Wir beschlossen zuerst ins Gelände zu gehen und anschließend ein wenig auf dem Reitplatz zu trainieren, um zu sehen, was wir beide – also das Pferd und ich – konnten.

Also ritten wir im strahlenden Sonnenschein los. Ganz gemächlich wollte ich mich an Sundance gewöhnen, während Landon mir den Rest des Anwesens zeigte. Wir ritten noch an einer Reithalle vorbei, sowie einer Weide voller Rinder. Er erklärte, dass das Land des Anwesens riesig sei und so am Rande der Edel-Siedlung lag, dass man meinen könnte auf einer einsamen Farm zu sein, da sich die Ländereien bis weit vor die Siedlung erstreckten.

Die Rinder wurden gehalten, weil Landons Vater absoluten wert auf die Qualität seiner Steaks legte. Die Haltung verschlang Unsummen, aber es war eines der wenigen Hobbys seines Vaters neben dem obligatorischen Golfspielen. Zumindest hatte er keinen eigenen Golfplatz erklärte er mit gespieltem Ernst.

Insgesamt waren die Ländereien noch viel größer, als ich es mir vorgestellt hatte, ein Wald und ein kleiner Bach gehörten ebenso dazu, wie ein Apfel-Hain. Es war grotesk, dass die Stadt Denver so nah liegen sollte.

Wir ritten über einige Weiden, die sich saftig grün und ewig weit erstreckten. Nach etwa einer halben stunde erreichten wir die Grenze zum erwähnten kleinen Wald. Wir ritten hinein in das Licht- und Schattenspiel des Blatterdachs. Die Vögel zwitscherten wie verrückt und an manchen Sträuchern öffneten sich einige späte Knospen. Ich war wie verzaubert vom Geruch der vielen Blüten.

Landon bedeutete mir still zu sein und hielt sein Pferd an. Er zeigte durch die Bäume zu dem auch schon erwähnten kleinen Bach. Ich blinzelte. Es war ein idyllisches Bild, wie man es sonst nur aus kitschigen Walt-Disney-Filmen kennt. Es fehlten nur noch das lauter niedliche Waldtiere sich um eine schöne Prinzessin versammeln, die leise ein Liebeslied vor sich hin summt.

Sundance schien dieselbe Idee zu haben, denn sie schnaubte so laut, dass es fast angewidert klang. Wir ritten dann weiter am Bachlauf entlang, ohne zu sprechen, nur auf die Natur und das Schnauben der Pferde lauschend.

Irgendwann war es Zeit umzukehren. Wir lenkten die Pferde widerstrebend vom Bach weg und ritten auf einem schmalen Pfad zurück durch den Wald. Sobald wir aus dem Unterholz heraus waren, trieb ich die Stute zu einem leichten Trab an. Landon folgte meinem Beispiel und trabte neben mir her.

Mir fiel dabei auf, wie gut er reiten konnte. Er ging sanft mit, ohne sich wie viele andere Möchtegernreiter in den Sattel fallen zu lassen. Für ein Pferd kann so etwas sehr unangenehm sein. Ich zwinkerte ihm zu und erhöhte leicht das Tempo. Immer noch trat Sundance sauber unter, dann bevor Landon aufholen konnte, erkannte ich den weg wieder, den wir gekommen waren und ließ mein Pferd in den Galopp fallen. Sie flog förmlich. Es entwickelte sich ein Wettrennen, die Pferde preschten bald im gestreckten Galopp über den weg. Ich lag nur eine Pferdelänge vorn, obwohl meine Stute kleiner und ein wenig schneller als Quest war.

Ich lachte vor vergnügen, als ich an Boden gewann. Nach einer imaginären Ziellinie, zügelte ich Sundance wieder. Sie wurde nur unwillig langsamer und schien lieber weiter laufen zu wollen.

Landon stoppte neben mir, seine Haare waren zerzaust, seine Augen leuchteten. Ich konnte spüren, wie auch meine Wangen vom Wettrennen gerötet waren. Wie hatte mir dieses Gefühl der Freiheit gefehlt.

„Gewonnen!“, rief ich übermütig.

„Aber nur knapp und nur weil du ein klein wenig geschummelt hast.“

„Gar nicht wahr!“

Ich schaute empört.

„Doch.“

„Pfiff. Du hast nur nicht schnell genug reagiert.“

Ich beugte mich ein wenig vor und klopfte der schnaufenden Stute den Hals. Dann drehte ich mich wieder zu meinem Freund um und Streckte ihm die Zunge raus.

„Bäh!“

Er schaute ziemlich verblüfft drein über meinen Anfall von Kindlichkeit, doch dann zuckte er nur mit den Schulter.

Der Mann lernte schnell.

Langsam ritten wir in Richtung der Stallungen und ich fühlte mich unbeschwert wie schon lange nicht mehr.

35. Kapitel

35

Noch bevor wir die Stallungen endgültig erreicht hatten, kam uns schon ein aufgeregtes Dienstmädchen entgegengelaufen. Mir rutschte augenblicklich das Herz in die Hose, da ich ihrem entsetzen Gesichtsausdruck entnahm, dass etwas Furchtbares geschehen sein musste.

„Mr. Jackson.“, rief sie, „Ihre Mutter verlangt nach Ihnen, sie ist sehr aufgeregt.“

Landon saß ab und übergab die Zügel einem herbeieilenden Stallgehilfen. Ich weiß noch, wie ich mich über diese anscheinend automatisierte Handlung wunderte. Ich vergaß noch zu oft, wie Landon aufgewachsen war.

 „Was ist passiert?“, wollte Landon wissen und riss mich damit aus meinen Gedanken.

„Ich weiß es nicht.“, gab das Mädchen zu und sah verlegen zur Seite. Doch dann fasste sie sich anscheinend wieder und sah Landon fest in die Augen.

„Sie müssen schnell zum Haus kommen, bitte. Sie ist außer sich und möchte sofort mit Ihnen sprechen.“

An mich gewandt für sie fort:

„Und Sie möchte Mrs. Jackson ebenfalls sehen.“

Jetzt war ich mir wirklich sicher, dass etwas geschehen sein musste. Hatte uns Thomas hier etwa aufgespürt?

Ich stieg von der Stute ab und führte sie näher an Landon und dem Dienstmädchen heran. Ich streichelte noch kurz über die Nüstern von Sundance, bevor ich sie auch schweren Herzen dem Stallburschen übergab.

Dann wandte ich mich ganz der Katastrophe zu. Landon nahm meine Hand und wir folgten eiligen Schrittes dem Hausmädchen zum Haupthaus.

Außer Atem erreichten wir kurze Zeit später das Portal. Wir schlugen einen Weg in den linken Flügel ein. Kaum hatte Landon die Tür zum Musikzimmer aufgestoßen, dem Lieblingsraum seiner Mutter, als diese schon auf ihn zugeeilt kam und wütend auf ein einsprach:

„Landon! Erkläre mir das! Was hat das alles zu bedeuten? Uns so etwas Widerliches ins Haus zu bringen!“

Dabei zeigte sie auf ein Päckchen, wie man es üblicher Weise mit der U.S. Post verschickte, dass auf einem kleinen Beistelltischchen stand. Mich würdigte sie keines Blickes.

„Was?“, meinte Landon daraufhin nur fragend und verstummte dann schlagartig, als sein Blick der Handbewegung seiner Mutter zu dem Paket folgte.

Wie in Trance näherte ich mich dem Objekt allgemeiner Aufregung noch bevor Landon mich zurückhalten konnte und als ich hineinsah, fiel ich fast in Ohnmacht.

Landon stieß ein: „Oh Shit.“ Hervor, bevor er mich stützend auffing.

„Moé!“, jammerte ich.

„Schon gut Liebling. Es ist nicht Moé.“, sprach er beruhigend auf mich ein.

Ich sah ihn verständnislos an und wollte den Funken der Hoffnung, den seine Worte mir versprachen, nicht zulassen. Zu groß war meine Angst, dass er sich irren könnte.

In dem Karton lag eine tote Katze, auf Krähenfedern gebettet und mit einem Messer in den Bauch gerammt. Die Augen des unglücklichen Tieres starrten uns tot und vorwurfsvoll an.

 „Eri, das ist wirklich nicht Moé! Sie hat doch keine dunklen Pfoten oder?“, versicherte mir Landon.

Das stimmte, meine Katze hatte weiße Pfötchen und rosa Ballen. Die Katze dort im Karton sah nur so ähnlich aus, wie meine süße kleine Moé.

 „Wer tut nur so etwas?“, fragte ich ganz bekümmert, obwohl ich mir die Antwort schon denken konnte. Ich brach in Tränen aus.

„Jemand, der dir Angst einjagen will.“

Landon drückte mich an sich und wandte sich dann an seine Mutter, die alles verwirrt mit angesehen hatte.

„Wann kam das Paket?“

„Heute gegen elf Uhr. Kurz nachdem ihr aufgebrochen wart, Jetzt erklär mir doch endlich, was das alles zu bedeuten hat.“

Ihre Stimme war fest als sie sprach, aber man hörte trotzdem eine Spur Wut und Unsicherheit heraus. Landon bugsierte mich auf einen Sessel und besah sich dann das Paket etwas genauer. Er murmelte etwas, dass sich nach Livingston anhörte, dann wandte er sich an seine Mutter.

„Das werde ich Mutter. Doch zuerst sollten wir uns setzen. Und Sie.“ , er wandte sich an den Butler, der die ganze Zeit unauffällig neben Judy, Landons Mutter, gestanden hatte, „Bitte, schaffen Sie das Paket hier raus.“

Er fing meinen Blick auf.

„Bitte begraben Sie das arme Tier.“, ergänzte er daraufhin.

Der Butler nickte und trug das Paket aus dem Zimmer. Judy, wie ich ab diesem Zeitpunkt zwang sie zu nennen,  schickte noch das Dienstmädchen hinaus, dann begann Landon unsere ganze leidige Geschichte zu schildern. Seine Mutter hörte konzentriert zu und schnappte manchmal entsetzt nach Luft, vor allem als sie von unserem fast tödlichen Autounfall erfuhr, doch sie unterbrach ihn kein einziges Mal.

36. Kapitel

36

Ob das Überraschungspaket wohl schon angekommen war, fragte sich die Krähe, während sie unruhig in ihrem Versteck umherlief. Zuerst war ihr diese Idee, ein Paket zu schicken brillant vorgekommen. Doch nun hatten sie erste Zweifel befallen. Psychoterror war ihr Ziel gewesen. Die kleine Mistkröte in Angst und Schrecken zu versetzen, als Rache dafür, dass sie sich ihrem Wirkungsbereich entzogen hatte. Wie gerne wäre Crow ihr nachgereist, doch sie musste hierbleiben, um ihren Plan zu vollenden. Alles musste perfekt sein, damit das große Finale reibungslos stattfinden konnte, wenn die kleine Schwester nach Hause zurückkehrte.

Schon bald würde ihr nächstes Opfer in Livingston eintreffen. Mit diesem hatte alles angefangen und es war daher unverzichtbarer Bestandteil des Planes. Vor Vorfreude geriet die Krähe manchmal schon fast außer sich.

Vielleicht sollte sie die richtige Katze auch noch fangen und zu den Jacksons schicken?

Doch diese Idee verwarf sie bald wieder. Vielleicht würde das Vieh noch als Lockmittel einsetzen müssen. Man sollte sich schließlich immer ein Hintertürchen offen halten. Nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass das noch ahnungslose Opfer, welches sie erwartete, ihr entkommen sollte.

Beim Versenden des Pakets war Crow unglaublich vorsichtig vorgegangen, mit Haarnetz und Atemschutzmaske sowie OP-Handschuhen, um nur keine Spuren – seien es nun DANN- oder Fingerabdruckspuren – zu hinterlassen. Sie konnte nicht sorgfältig genug arbeiten. Zudem hatte sie sich stark verkleidet, als sie das Paket aufgab. Sie sah es als gutes Omen an, dass die Angestellte bei der Post eine Neuzugezogene gewesen war, die die Krähe unmöglich wiedererkannt haben konnte.

Das war einer der Nachteile, wenn man in einer eingeschworenen Kleinstadt agierte. Personen, die einen schon lange kannten, erkannten sich gegenseitig an kleinen unbewussten Gesten oder Bewegungen, die man nicht unterdrücken konnte. Das konnte sehr gefährlich werden, denn selbst so eine beherrschte Person wie sie selbst, konnte nicht immer jedes verräterische Zeichen verbergen.

Sie rieb sich ärgerlich an einer entzündeten Stelle am rechten Unterarm. Die Katze zu fangen, war gar nicht so leicht gewesen. Das Biest, anscheinend ein Wildling, den niemand vermissen würde, hatte sich dermaßen vehement dagegen gewehrt, in den sack gesteckt zu werden, dass sie es geschafft hatte, beim wilden Herumzappeln mit seinen starken Hinterläufen zwischen Handschuhe und Jacke zu gelangen und eine stark blutende Wunde zu reizen.

Die Krähe war wütend gewesen und hatte es regelrecht genossen, später das erschöpfte Tier langsam aufzuspießen und das Messer in der Wunde zu drehen. Gedankenverloren kratzte sie sich ein weiteres Mal, dass spürte sie einen scharfen Schmerz und bemerkte, wie die Wunde erneut anfing zu bluten.

Verdammt, dachte sie, das Vieh hatte sich gerächt.

37. Kapitel

37

„Das Paket wurde in Livingston abgesandt. Der Poststempel ist zumindest von dort.“, schloss Landon seine Erzählung.

Der Butler war relativ schnell wieder zurückgekommen und hatte sich neben Landons Mutter gesetzt.

Während er alles schilderte, was uns bisher zugestoßen war, wurde mir erst bewusst, wie absurd sich die ganze Geschichte für einen Außenstehenden anhören musste. Alles klang unlogisch und hörte sich an, als ob ein ganz entschiedenes Puzzleteil fehlen würde. Hatten wir etwas übersehen? Hatte Sheriff Rick etwas übersehen? Wo war der Fehler? Wieder versuchte ich mich auf den unscharfen teil dieses verdammten Bildes in meinem Kopf zu konzentrieren. Irgendwo da musste die Lösung sein.

Es herrschte eine ganze Weile eine nachdenkliche Stille, in der keiner von uns vieren etwas sagen wollte. Wir schauten auf den Boden oder wahlweise aus dem Fenster. Jeder hing für sich seinen Gedanken nach.

Schließlich seufzte Mrs. Sana tief und richtete ihren festen Blick auf mich. Ich wappnete mich innerlich gegen ihre Vorwürfe, doch dann entspannten sich ihre Gesichtszüge und drückten nur noch tiefe Sorge aus.

„Keine Sorge, meine Liebe. Natürlich kannst du mit Landon so lange hier bleiben wie ihr möchtet. Wir werden allerdings unser Wachpersonal neu instruieren müssen.“

Damit überraschte sie mich zugegebener Maßen. An Landon gewandt fuhr sie fort:

„Ich werde die Situation deinem Vater erklären. Er ist auch ziemlich aufgebracht über dieses unsägliche Paket, doch er musste vorhin zu einer Besprechung in die Firma. Weshalb wir vorerst von seinen Ansichten verschont bleiben werden. Das wird sicher kein leichtes Unterfangen, ihn zu beruhigen. Denn er hasst nichts mehr als Unannehmlichkeiten.“

Landon nickte nachdenklich, dann fügte Judy nachdenklich hinzu.

„Eria, Sie scheinen meinem sonst do selbstsüchtigen Sohn sehr gut zu tun. Ich habe Ihre Eltern immer sehr gern gehabt. Sie waren unglaublich freundliche Menschen. Selbst zu mir waren sie nett, obwohl ich früher noch unausstehlicher gewesen bin als heute.“

 

Sie lachte.

„Nun schauen Sie nicht so. Wenn man reich ist, verliert man schnell den Blick für die wirklich wichtigen Dinge im Leben und hält sich für allen anderen überlegen. Heute weiß ich es allerdings besser. Ich versuche mein Bestes, doch meine ehrwürdiger Mann und meine verzogene Tochter machen es mir nicht gerade leicht. Apropro Celine. Sie und die restlichen Angestellten brauchen nur das Nötigste zu wissen. James, ich vertraue Ihnen diese Aufgabe an.“

Sie hielt kurz inne und runzelte die Stirn leicht ihre verdächtig faltenfreie Stirn. Sie sah leicht bedröppelt aus.

„Um Celine werde ich mich lieber selber kümmern. Ihr wisst ja, wie sie sein kann.“

James fing daraufhin an z lachen und wir stimmten schon bald ein.

„Danke, Mutter.“, meinte Landon schließlich.

Sie winkte ab.

„Kein Problem, mein Schatz. Ich bin froh, wenn es euch gut geht und ich euch irgendwie helfen kann. Ach. Und Eria, nenn mich doch bitte Judy.“

Ich nickte.

Sie lächelte uns an und wir erhoben uns. Landon führte mich in unser Zimmer, damit wir ungestört reden konnten.

„Wie geht es dir?“, fragte er mich und setzte sich neben mich auf das Bett.

„Nicht gut.“

Das war die Wahrheit. Mir ging es überhaupt nicht gut. Er wartete bis ich von selber fortfuhr.

„Dieser Verrückte hätte wirklich Moé erwischen können. Zudem finde ich es sehr beunruhigend, woher er wusste, wohin er das Paket schicken musste.“

Ich schauderte.

„Glaubst du, er ist uns bis hierher gefolgt?“

„nein, das glaube ich nicht. Ich habe mir überlegt, dass diese Person, von der wir glauben, dass sie dieser Thomas ist, auch jemand anderes sein könnte. Jemand der unauffällig ein Gespräch mit dem Sheriff als vorbeieilender Passant mitbekommen hat und daher wusste, wo er uns finden kann. Du vergisst vielleicht auch, dass meine Familie nicht unbekannt ist. Er hätte das Paket auch einfach auf gut Glück hierher schicken können, denn es wäre nicht so unwahrscheinlich, dass wir früher oder später bei meinen Eltern vorbeikommen würden.“

Das beruhigte mich nun wirklich kein bisschen.

„Ich muss mal kurz …“

Mir war plötzlich übel. Ich sprang auf, rannte ins Bad und schaffte es gerade noch so bis zum WC, bevor ich mich übergeben musste. Eine verspätete Reaktion auf den schock, nahm ich an. Landon war mir gefolgt und stand besorgt dreinblickend an den Türrahmen gelehnt.

„Verschwinde.“, keuchte ich, als die Krämpfe aufhörten. Es war mir peinlich, dass er mich so sah.

„Ich besorge dir etwas Tee und Zwieback, dass sollte deinen Magen beruhigen. Die ganze Aufregung war wohl etwas zu viel.“

Er kam kurz näher und streichelte mir über den Kopf, bevor er, wie ich annahm, in die Küche eilte. Ich wusch mir den Mund aus, putze mir energisch die Zähne und rief dann Mrs. Hank an.

Ich erzählte nicht viel, nur dass sie Moé die nächsten Tage im Haus behalten müsse. Sie lachte und meinte, bei dem momentanen Wetter in Livingston würde die kleine Diva eh keine Pfote vor die Tür setzen. Das beruhigte mich ungemein, so wusste ich zumindest, dass meine Süße in Sicherheit war.

Landon war noch nicht zurück, als ich auflegte und mich ans Fenster setze, aber mir waren ein paar Minuten allein ganz recht.

Ich verspürte tiefe Schuldgefühle gegenüber dem armen Tier, das sterben musste, nur um mir einen Schrecken einzujagen. Ich hatte noch nie verstehen können, wie man gegenüber Tieren bewusst grausam sein konnte.

Ich vergaß in meiner Trauer sogar meine Schwester anzurufen.

Mir war innerlich ganz kalt, obwohl das Zimmer angenehm beheizt war. Ich hatte unglaubliche Angst um Moé, um Landon und um mich. Dana schien mir zu diesem Zeitpunkt in Phoenix sicher zu sein.

 

Diese Annahme war ein fataler Irrtum, wie sich schon bald herausstellen sollte. Denn – so kitschig es für den Leser vielleicht klingen mag – man ist nie irgendwo vollkommen sicher.

Das wurde mir immer klarer. Ich war nicht sicher, nicht hier und auch nicht sonst irgendwo, auch wenn Landon alles tun würde, um mich vor diesem Verrückten zu schützen. Sollte ich ihn da wirklich weiter mit hineinziehen und ihn Gefahr bringen?

Ich gebe es nicht gerne zu, doch so sehr ich mich auch um Landon sorgte, war ich nicht stark genug, ihn wirklich außen vor zu lassen und das allein durchzustehen. Er war mein Anker, mein einziger Trost in dieser Zeit.

So warf ich mich beinahe in seine Arme, als er zurück ins Zimmer kam.

Ja, damals war ich wirklich nicht stark genug, und er war, so redete ich mri ein, eh schon mittendrin in diesem Schlamassel.

 

38. Kapitel

38

„Geht es dir wieder etwas besser?“, fragte er, während er lächelnd versuchte, mich mit einer Hand an sich zu drücken und mit der anderen die Tasse Tee zu balancieren.

„Mhja.“, war alles, was ich dazu zu sagen hatte, während ich mich langsam wieder von ihm löste. Er hielt mir eine dämpfende Tasse Tee vor die Nase.

Die nächste halbe Stunde kämpfte ich tapfer damit, den Tee zu trinken. Er war ekelhaft, doch erstaunlicher Weise half er wirklich und sowohl mein Magen und als auch meine innere Aufruhr beruhigten sich etwas.

„Möchtest du zurück zum reitplatz? Das würde uns vielleicht auf andere Gedanken bringen.“, schlug Landon vor.

Ich sah an mir herunter und bemerkte, dass ich immer noch in meinen geliehenen Reitersachen steckte. Ich fand die Idee nach kurzem Überlegen doch sehr angenehm. Ich sehnte mich regelrecht nach dem warmen Duft der Pferde.

Mit viel Elan sprang ich von dem Sofa auf, auf dem wir gesessen hatten und zog Landon hinter mir her. Noch schnell die Reitkappe aus dem Salon geschnappt und los ging es.

Sundance stand zusammen mit dem Wallach auf einer Koppel und schaute wie zur Begrüßung auf, als wir uns ihnen näherten. Ich war wieder verzückt.

Den Rest des Nachmittags verbrachten wir auf dem großen Reitplatz hinter der Reithalle, anstatt ins Gelände zu gehen. Ich wollte sehen, was ich noch konnte, wie gut die Ausbildung von Sundance war. Ich sah sie bald schon als mein Pferd an, so gut harmonisierten wir. Egal ob im Trab oder im Galopp, sie trat sehr sauber unter. Ich Sprünge waren leicht und präzise. Ich spürte schon bald völlig verschwitzt, dass ich am nächsten Tag gewaltigen Muskelkater haben würde. Ich musste dauernd untrainierte Muskelpartien anspannen, um ihr nicht in den Rücken zu fallen. Es war erstaunlich wie aufmerksam und prompt sie auf die leichteste Berührung und Druck der Schenkel reagierte.

Der Stallmeister und Landon sahen mir wohlwollend und ein wenig beeindruckt zu, wie ich Runde um Runde, Volte um Volte ritt und dabei dauernd die Gangart wechselte. Trotzdem konnte ich nicht richtig abschalten, nicht komplett entspannen.

Später kam Landon auf seinem Wallach hinzu. Ich war wieder erstaunt darüber, welche gute Figur die beiden zusammen machten, ganz so als wären sie eine Einheit.

Landons Haltung war ausgezeichnet und seine Hände lagen ruhig auf dem Widerrist.

Am Ende des doch sehr intensiven Trainings war ich körperlich und auch geistig erschöpft. Doch diesmal kümmerte ich mich noch selber um das Abstriegeln von Sundance. Ich rieb sie trocken und führte sie dann zu ihrer Koppel zurück, wo sie sich gleich im nächstbesten sandplatz suhlte. Es sah extrem lustig aus und ich sah ihr vergnügt zu wie sie sich schüttelte und eine Extrarunde mit erhobenen Schweif um die Koppel trabte.

Ich fühlte mich besser und war mir sicher, trotz aller Sorgen heute Nacht schlafen zu können. Ich lockerte mit kreisenden Bewegungen meine Schultern und dreht mich dann um, um zu Landon, der schon auf mich wartete, zu gehen.

Immer wieder sagte ich mir, dass alle in Sicherheit wären und uns Thomas nicht hierher gefolgt sein konnte.

Landon hatte Quest schon auf die Koppel gebracht und wischte sich mit einem Ärmel die Haare aus der Stirn. Er wirkte verschwitzt und mir kam eine wunderbare Idee.

„Wollen wir duschen gehen?“, fragte ich frech und schlenderte voraus in Richtung Haus, bevor er die Botschaft in meinen Worten verarbeitet hatte.

Dann setzte er mir plötzlich nach und ich rannte lachend los, während er versuchte mich zu fangen. Ich muss wohl kaum erwähnen, dass ich vor Lachen fast zusammenbrach und daher den Wettlauf zum Haus verlor. Die Ausrede war so gut wie jede andere. Doch ich wurde mehr als ausreichend belohnt, als Landon mich rigoros und selbst lachend über seine Schulter warf und schnurstracks in unser Zimmer marschierte.

Wir müssen einen seltsamen Anblick für die Bediensteten, die unseren Weg kreuzten, abgegeben haben. Ich lachte nur umso lauter und manche Dienstmagd kicherte hinter vorgehaltener Hand.

 

39. Kapitel

39

Frisch, munter und mit rosig geschrubbten Gesichtern erschienen wir pünktlich um acht Uhr abends im Ballsaal, komplett mit Abendgarderobe.

Es sollte ein kleines Fest zu Ehren von Landon und mir stattfinden. Natürlich waren auch einige Geschäftspartner seines Vaters anwesend, der uns gekonnt ignorierte und uns damit deutlich spüren ließ, wie sehr ihm die ganze Aufregung, die wir in seinen streng geführten Haushalt brachten, mehr als nur ein wenig zu wider war.

Wir mischten uns unter das Volk und vollzogen die Rituale des Vorabends, indem wir und mit diesen und jenen Personen unterhielten. Wenn man mir einen Namen nannte, vergaß ich ihn umgehend. Das musste an dem Menschenschlag liegen.

Ich trug ein dezentes schwarzes Abendkleid, während Landon in seinem Anzug einfach umwerfend aussah.

Als ich mich entschuldigte, um kurz die Toilette aufzusuchen, bekam ich im Vorbeigehen mit wie Mr. Jackson abfällig meinte:

„Mein Sohn wird die Firma nie übernehmen. Er wäre dazu auch gar nicht fähig. Zum Glück ist mein Neffe um einiges talentierter. Ich habe meine sämtlichen Hoffnungen in ihn gesetzt.“

Was seine Geschäftspartner murmelnd antworteten, konnte ich nicht verstehen. Einer klopfte ihm mitleidig auf die Schulter. Ich knirschte mit den zähnen, während ich meinen Weg fortsetzte. Ich konnte diesen Mann von Minute zu Minute weniger ausstehen. So eine kalte und berechnende Person. Ich fragte mich, wie eine anscheinend doch sehr nette Person, wie Landons Mutter, es überhaupt so lange mit diesem Ekel ausgehalten hat.

Ich frischte mein dezentes Make-Up auf, ohne es nötig gehabt zu haben. Landons Gegenwart wirkte wahre Wunder auf meinen Teint. Doch ein wenig Farbe war wie ein kleiner Schutzschild gegen die Gesellschaft auf der anderen Seite der Toilettentür.

Ich schreckte zusammen, als ich drei Kabinen weiter ein scharrendes Geräusch hörte. Der Riegel wurde ruckelnd zurück geschoben und die Tür öffnete sich langsam. Unbewusst hielt ich den Atem an.

Das verzogene Gesicht von Celine lugte langsam hervor. Sie streifte mich kurz mit ihrem Blick, nickte mir kurz zu und stellte sich dann neben mich vor den großen Spiegel über den Handwaschbecken.

Sie sah zugegebener Maßen umwerfend aus.

„Schönes Kleid.“, sagte sie zu mir.

Das hörte sich bei ihr so gar nicht nach einem Kompliment an.

„Es muss für sich sehr ungewöhnlich sein, gleich an zwei Abenden hintereinander in solch einer erlesenden Gesellschaft zu sein.“

Damit stempelte sich mich eindrucksvoll als sozial gehandicapt ab. Ich sagte immer noch nichts, sondern lächelte sie nur süßlich an. Blöde Kuh, dachte ich nicht zum ersten Mal. Kurz vor der Tür, wandte ich mich noch einmal um:

„Was ich dir schon den ganzen Abend sagen wollte, du hast Lippenstift auf den Zähnen.“

Mit diesen Worten stolzierte ich aus der Tür und schloss diese schnell hinter mir. Ich sah noch wie sich ihr Rücken merklich versteifte. Es war zwar eine Lüge gewesen, doch verfehlte sie ihre Wirkung nicht. Denn obwohl sie sich nicht die Blöße geben wollte, wusste ich, dass sie meine Aussage umgehend überprüfen würde. Ha, so viel zu ihrer Perfektion.

Mit einem Lächeln im Gesicht stürzte ich mich erneut ins Getümmel und wurde prompt von einem properen Herrn abgefangen, der mich in ein Gespräch über Landon verwickeln wollte.

Er hatte mitbekommen, dass ich nun die Freundin des Sohnes seines besten Geschäftspartners war.

„Ein ganz reizendes Mädchen“, habe man ihm mitgeteilt.

Er führte mich zu einer jungen Frau, die er als seine Ehefrau vorstellte, obwohl sie eher seine Tochter hätte sein können. Sie war größer, größer noch als ich, blond und überirdisch schön. Typisches Statusweibchen urteilte ich vorschnell, wie sich dann herausstellen sollte.

„Mein Frau, Julia.“, stellte er uns vor. „Sie ist Bankerin, leitende Direktorin der General Bank hier in Denver.“

„Wirklich?“, rutschte es mir überrascht heraus, dann fing ich mich wieder.

„Schön Sie kennen zu lernen.“

Ich schüttelte ihre zarte Hand und musterte sie eingehender. Nun fiel mir auf, dass ihre Augen Intelligenz verrieten und verschmitzt über meinen Ausrutscher blitzten.

„Ganz meinerseits. Und kein Problem. Diese Reaktion bin ich gewöhnt.“, sagte sie diplomatisch.

Ich wurde sofort rot.

„Es tut mir leid.“, stotterte ich.

 „Ich meine nur, Sie sehen eher aus wie ein Topmodel.“, versuchte ich die Situation zu retten.

Sie winkte ab und wechselte das Thema.

„Sie scheinen mir auch nicht wirklich in diese Welt zu passen, Eria.“

So langsam wurde sie mir sympathisch und ihre Honigstimmer musste einfach jeden für sich einnehmen. Auf einmal entstand konnte ich mir sehr gut vorstellen, wie sie die verstaubten alten Herren, die normalerweise in Bankvorständen saßen, mit dieser Stimme hypnotisierte.

„Nun ja, irgendwie bin ich hineingestolpert.“, meinte ich und machte ein Geste, die den ganzen Raum einschließen sollte.

Celine gesellte sich gerade zu und hörte wohl die letzten Worte mit, da sie bissig meinte:

„Ich glaube dir gerne, dass Stolpern deine bevorzugte Fortbewegungsart ist.“

Ihr strahlendes Lächeln konnte ihrer Bosheit fast Lügen strafen. Sie schien sich wirklich immer unbeliebter bei mir machen zu wollen. Ich knirschte derart stark mit den Zähnen, dass es wahrscheinlich jeder im Raum hören konnte.

 

Julia sprang für mich ein.

„Celine, wie wunderbar zu sehen, dass du dich kein bisschen verändert hast. Immer noch das gleiche alte Biest, dass wir kennen.“

Ihr Lächeln stand dem von Celine in nichts nach, nur war sie schöner und konnte aus ihren luftigen Höhen beeindruckend herablassend schauen. Ich beschloss, dass ich mir diese leichte verachtende Neigung des Kopfes unbedingt aneignen musste. Sie war unglaublich wirkungsvoll. Innerlich applaudierte ich.

„Pass auf, was du sagst.“, zischte Landons Schwester zurück und sah dabei wie eine Hexe aus, so sehr verzerrte der blanke hass ihr Gesicht, „Sonst sorge ich dafür, dass du deinen Job verlierst.“

Julia zuckte nur unbeeindruckt mit den Schultern, was zeigte, was sie von dieser Drohung hielt.

„Wenn ihr mich nun entschuldigen würdet. Ich muss etwas verkünden.“

Mit diesen Worten rauschte Celine davon und stürzte sich auf ihren Begleiter. Der hohle und farblose Kerl, war anscheinend wirklich verrückt nach ihr. Oder auch nur nach ihrem Bankkonto.

„Armer Kerl.“, gab Julia einen überaus präzisen Kommentar ab.

Er sah in dem Moment wirklich ziemlich elend aus. Er zog so vehement an seiner Krawatte, dass man meinen könnte, sie würde versuchen, ihn zu strangulieren. Celine schien sein Unwohlsein nicht wahrzunehmen, während sie ihn neben sich positionierte.

Julia und ich beobachteten die Szene in stiller Eintracht.

Celine hob schließlich ihr Champagnerglas und rief mit glockenheller Stimme:

„Werte Gäste“ Mommy“ Daddy! Wir möchten etwas bekanntgeben.“

Mir schwante übles. Erwartungsvoll sah zu zu ihrem Opfer auf und als der sich nicht rührte, stieß sie ihn unauffällig, aber sicher nicht allzu sanft, mit dem Ellenbogen in die Seite.

Daraufhin rührte er sich endlich und brachte die folgenden verhängnisvollen worte über die Lippen:

„Mr. Jackson. Eigentlich wollte ich Sie zuerst frage. Nun ja. Celine und ich werden heiraten!“

Bei den letzten Worten klang er, als würde er ersticken und lief knallrot an.

Landons Vater stand wie vom Donner gerührt da, das allgegenwärtige Glas in seiner Hand war erstarrt und seine Kiefer malmten. Erst als seine Frau neben ihn trat und sowohl sie, als auch Celine ihm einen warnenden Blick zuwarfen, rang er sich zu einem Lächeln durch.

Er kam mit ausgebreiteten Armen auf das junge Paar zu und ich bewunderte den künftigen Ehemann ehrlich, dass er nicht zurückzuckte, als Mr. Jackson seine Hand nach ihm ausstreckte.

„Herzlichen Glückwunsch, mein Junge. Da haben Sie ja ein tolles Mädchen abbekommen.“

Er klopfte ihm dermaßen fest auf die Schulter, dass Celines Verlobter fast in die Knie ging. Ich glaube, an dieser Stelle wird es Zeit dem armen Drops doch einen Namen zu geben. Wie schon gesagt, hatte ich seinen Namen gleich nach der Vorstellung umgehend vergessen, deshalb taufe ich ihn hiermit auf den schlichten Namen: Bob. Er sah einfach wie ein Bob aus. Fragt mich nicht warum, aber Bobs sind für mich ruhige und bodenständige Typen, langweilig, aber verlässlich. So war auch Celines Bob.

Wie ich später erfuhr, war er Erbe eines Fastfood Imperiums, dessen berühmter Name dann nicht so ganz zu Bob passte. Nun ja, die Verlobung hielt eh nur wenige Monate, wen wundert es? Richtig. Keinen.

Egal. Also Bob sah noch immer nicht besonders glücklich aus, während Celine strahlte wie ne 1000 Watt Glühlampe.

Sicher, ein Ehemann war ein schickes Accessoire. Alles andere besaß sie schließlich schon.

Stolz zeigte sie ihren Klunker von einem Verlobungsring herum, den ihr Bob, nachdem er sich endlich gefangen hatte, formvollendet auf den Finger schob. Umringt von gratulierenden Gästen schien sie sich mehr als nur wohl zu fühlen.

„Oje, wirklich ein armer, armer Wicht.“

Vor Abscheu hatte sie ihre hübsche Nase ganz kraus gezogen. Ich hatte ganz vergessen, dass Julia noch neben mir stand, so gefangen war ich von dem Schauspiel vor mir.

Jetzt gratulierte auch Landon, also gingen Julia und ich einträchtig hinüber, um unseren gesellschaftlichen Verpflichtungen nachzukommen. Und um höflich zu sein.

Noch bevor ich an der Reihe war, fing mich Landon ab und führte mich auf die Terrasse. Mein Widerspruch war eher halbherzig.

„Du kannst später gratulieren.“, meinte Landon schlicht.

Ich trat mit ihm durch die Doppeltür auf die Terrasse und stand in einem Meer aus winzigen funkelnden Lichtern. Augenblicklich vergaß ich Celine. Die Lichterketten waren um das Geländer und durch die diversen Zierbüsche gezogen worden. Einfach wunderschön. Ich lehnte mich nach vorn ans Geländer und Landon legte seine Arm von hinten um mich herum.

 „Wir sind irgendwie noch nicht dazu gekommen. Doch ich wollte dich fragen, was du davon hältst, wenn ich Sundance und Quest zu uns nach Livingston hole?“

Ich fand die Idee großartig. Ich drehte mich in seinem Armen um und schaute ihn groß an.

 „Wirklich?“

„Wirklich.“

„Ganz, ganz wirklich?“

„Jaha.“

Ich küsste ihn stürmisch und meinet dann:

„Nimm das jetzt nicht so persönlich, aber ich liebe diese Pferde.“

„Mehr als mich?“, fragte er mit gespielter Sorge.

„Gut möglich.“, erwiderte ich verschmitzt.

„Du …“, knurrte er daraufhin.

Ich schnurrte.

 „Ja?“

Anstatt einer Antwort presste er einfach seine Lippen auf meine. Die Lichter funkelten um uns herum, während sich unser Kuss vertiefte. Manchmal war das Leben fast schon zu perfekt und romantisch.

Doch fiel mir zum ersten Mal – seit wir uns auf so unkonventionelle Art und Weise kennen gelernt hatten -  eine deutliche Veränderung an Landon auf. Er war nicht mehr nur dieser zynische Mann, dem ich auf der Hochzeit begegnet war. Er war immer noch anziehend und unerhört sexy, doch er war auch wie ausgewechselt. Gegenüber anderen war er immer noch der sarkastische Schriftsteller, nur zu mir nicht mehr. Er spielte nicht mehr mit seiner Anziehung, er widmete sich ganz einfach nur noch mir.

Vor nicht einmal eineinhalb Wochen hatte alles begonnen und nun erschien es mir wie eine Ewigkeit.

Zum ersten Malkonnte ich endgültig den Gedanken abschütteln, der unaufhörlich in meinem Hinterkopf herumgeschwirrt war. Landon und Dana. Ich war mir in diesem perfekten Moment auf der Terrasse seiner Eltern sehr sicher, dass diese Gefühle der Vergangenheit angehörten.

40. Kapitel

 

40

Lange blieben wir allerdings nicht für uns allein, denn schon bald kamen andere Gäste auf die Terrasse. Die Aufregung um Celine und die Verlobung hatte sich etwas gelegt.

Bob sah nun wesentlicher entspannter aus, als wir wieder hineingingen. Ich hatte schließlich immer noch nicht gratuliert, doch bevor ich auch diese Mal nur in die Nähe der hofhaltenden Schwester gelangen konnte, wurde ich abermals aufgehalten.

Judy fing uns ab, sie lächelte uns zwar an, doch ihre Stirn schien von Sorgen umwölkt zu sein.

„Alles in Ordnung, Mutter?“, fragte Landon sofort fürsorglich.

Sie zuckte elegant mit den Schultern.

„Ich weiß es ehrlich gesagt nicht.“, antwortete sie.

Dann sah sie zu ihrer Tochter hinüber.

„ich weiß einfach nicht, was ich davon halten soll. Ich mache mir sorgen, wie ernst es ihnen mit der Verlobung ist. Dein Vater ist sehr erzürnt.“, fügte sie an Landon gewandt hinzu.

„Er zeigt es nicht, weil Celine sein Ein und Alles ist, doch ihm passt das alles gar nicht. Er mag es nicht übergangen zu werden.“

Dann überraschte sie mich wieder einmal.

„Ich glaube einfach nicht, dass Celine jemand anderen als sich selbst so lieben kann, dass eine Heirat überhaupt in Frage kommt. Sie ist einfach zu selbstsüchtig.“

Bevor sie ihre Bedenken weiter ausführen konnte, kam der künftige Brautvater auf uns zu. Vielleicht fragen Sie sich, warum ich ihn nie Thomas nenne, aber ich konnte mich nie dazu überwinden. Er schien mir nicht angenehm genug, um mit einem Vornamen erwähnt zu werden.

Wohingegen ich noch heute Judy, also Landons Mutter, sehr gern habe.

„Judy.“, brummte er unwirsch.

„Ja, Schatz?“

Erst jetzt schien auch mich und Landon wahrzunehmen. Er sah uns finster an.

„Ich finde diese Verlobung unmöglich. Ein Junge aus so einem guten Haus und dann kennt er nicht einmal die Grundregel, erst bei den Eltern um die Hand der Braut anzuhalten.“

Er lief langsam rot an. Man spürte, dass er in der letzten Stunde viel Wut in sich aufgestaut hatte. Er zitterte förmlich vor Zorn.

„Aber ich bin mir sicher, dass er das vorhatte. Unsere Tochter scheint ihm aber einen gehörigen Strich durch die Rechnung gemacht zu haben.“, versuchte Judy ihn zu beruhigen und legte ihre Hand auf seinen Arm.

„Jetzt gibt nicht Celine die schuld1“, fuhr er sie an. Es fehlte nur noch, dass heißer Dampf aus seinen Ohren zischte.

„Unsere Tochter hat sich von diesem Schönling einwickeln lassen.“

Das war für mich eine gelinde gesagt überraschende Interpretation der Situation und sehr weit hergeholt erschien sie mir auch. Celine ließ sich außer mit einem Nerzmantel sicher von niemanden einwickeln. Dazu war sie zu herrschsüchtig. Punkt.

„Thomas, regt dich bitte nicht so auf. Es wird sich alles klären. Ich werde morgen in Ruhe mit den beiden reden und auch deine Bedenken zum Ausdruck bringen.“

„Gut.“, schnaufte er. „Ich brauche jetzt einen starken Drink.“

Damit zischte er ab, ohne auch nur einen Gedanken an uns zu verschwenden. Vielleicht hätten wir ja auch gerne etwas zu trinken gewollt? Sehr grob.

„Mutter, du wirst doch nicht wirklich mit ihnen reden wollen?“, fragte Landon skeptisch.

Sie winkte verächtlich ab.

„Natürlich nicht. Die Sache wird sich ganz von selbst erledigen. Irgendwann wird dieser bemitleidenswerte Dummkopf von allein das Weite suchen. Für Celine ist ein verlobter auch nur ein neues Accessoire.“

Amen, dachte ich.

Der Rest des Abends verlief vergleichsweise ereignislos. Ein bekannter Senator schaute allerdings zu tief ins Glas und versuchte dann vor aller Augen eines der Hausmädchen zu befummeln. seine beschämte Ehefrau zerrte ihn förmlich nach Hause.

Müde, aber zufrieden verabschiedeten Landon und ich uns gegen Mitternacht von Judy und wünschten dem Butler, der neben ihr auf der Terrasse saß eine Gute Nacht.

 

41. Kapitel

41

Die nächsten beiden Tage verschwendeten wir keinen Gedanken an die Gefahr, in der wir schwebten. Im Rückblick war es eine willkommene Auszeit, die sogenannte Ruhe vor dem Sturm.

Wir standen früh auf und erkundeten die Stadt. Die Jackson-Villa lag so abgeschieden von der Umwelt, dass man glatt vergessen konnte, dass wir uns in einem Vorort einer Großstadt befanden.

Denver, den meisten wohl aus der gleichnamigen Fernsehserie Denver Clan bekannt, war die reinste Schatztruhe an Sehenswürdigkeiten. Wir gingen in den Zoo und besuchten einige skurrile Orte, wie zum Beispiel das Haus von Molly Brown. Wer das war? Nun, sie überlebte den Untergang der Titanic und wurde durch das Musical „The Unsinkable Molly Brown“ bekannt. Das stand zumindest in der Broschüre, die man uns in die Hand drückte. Und das haben Sie nicht gewusst? Also wirklich!

Es war ein schönes altes Haus, das 1889 im viktorianischen Stil erbaut wurde.

Den Red Rocks Park hingegen muss man sich einmal angesehen haben. Roter Sandstein in Formationen, die schon seit Millionen von Jahren existierten. Es war faszinierend, wie man die verschiedenen Gesteinsschichten betrachten konnte, denn jede Schicht markierte eine andere Epoche der Erdgeschichte. Man konnte umherschlendern, ohne vom Anblick so erschlagen zu sein, wie es mir am monumentalen und ehrfurchterweckenden Grand Canyon ergangen ist.

Dann mussten wir uns natürlich noch das obligatorische State Capitol und das Luftfahrtmuseum ansehen. Ich möchte dabei hinzufügen, dass jeder Staat in Amerika ein Capitol hat.

So eine Sight-Seeing-Tour ist zwar schön, aber auch anstrengend. Daher fand ich persönlich die Bibliotheksbesichtigung am Schönsten. Sie können sich sicher denken warum.

Irgendwann zerrte mich Landon förmlich aus der Abteilung mit den Geschichtsbüchern fort, wo ich in ein Buch über die Gründung Kaliforniens versunken war. Ich hatte ihn schon durch die dortige Ausstellung zeitgenössischer Stillleben geschleppt.

„Ja. Ja. Ich kaufe dir das Bild später! Aber können wir jetzt endlich gehen.“, stöhnte er irgendwann völlig genervt auf, als ich nach einer halben Ewigkeit immer noch ein Gemälde bestaunte, dass Früchte in Bonbonfarben darstellte. Auf einmal hatte ich fürchterlichen Heißhunger auf einen Riesenlutscher.

„Bloß nicht! Wenn ich jedes Mal eine Heißhungerattacke bekomme, nur weil ich das Bild ansehe, werde ich in kürzester Zeit unglaublich fett werden.“

Landon lachte nur und blätterte dem entzücktem Galeristen ohne mit der Wimper zu zucken fünfhundert Dollar hin und veranlasste, dass es in den nächsten tagen nach Livingston geschickt werden würde.

Plötzlich war ich ganz still. Es war eine ganz natürliche Reaktion, das Bild nach Hause zu schicken, doch es erinnerte mich daran, dass wir trotz allem Spaß den wir hier in Denver hatten, bald nach Livingston würden zurückkehren müssen. Meine Gedanken wanderten weiter zu der Gefahr, die dort auf uns warten würde.

Landon folgte meinem Gedankengang ohne Mühe. Er versicherte mir, dass ich mir zumindest für den Rest des Tages keine Sorgen zu machen brauchte. Dann entführte er mich in sein Lieblings-Restaurant.

Am zweiten Tag schlenderten wir Hand in Hand am Ufer des Trinity entlang und genossen die farbenfrohe Promenade und das bunte Treiben um uns herum.

Ich schaute mir begeistert die vielfältigen Auslagen auf den Tischen der Straßenstände an. Schmuck, Tücher, Nippes und andere Souvenirs in allen Farben und Formen waren dort zu finden. Ich ahnte daher nichts Böses und wollte mich bloß dem nächsten Stand mit Türkisschmuck zuwenden, als ich schlagartig stehen blieb.

Ich starrte wie von Sinnen auf die kleine Überschrift am Zeitungstand neben mir. Sie war ganz klein, winzig, doch für mich war sie dadurch nur umso schlimmer. Der normale Leser hätte die Meldung wohl nur überlesen. Mein Gehirn war so schockiert, dass es den Sinn der Worte vor mir nicht verarbeiten, geschweige denn begreifen konnte.

Landon kam gerade von einem Hot Dog stand zurück und stellte sich neben mich. Er folgte meinem Blick,, drückte mir sofort die Hot Dogs in die Hand und eilte zum Verkäufer. So schockiert wie ich mich fühlte, schaute Landon drein, als ich ihn zu einer Bank folgte. Der Hunger war vergessen.

„Seltsame Brandserie in Livingston, Montana“

Landon las mir den Artikel vor.

„In den letzten beiden Nächten brannten in der Stadt Livingston, Montana, mehrere Objekte nieder. Betroffen waren ein Restaurant, zwei Autos, ein leerstehendes Farmhaus etwas außerhalb der Stadt einschließlich einer Scheune und ein Carport vor einem bewohnten Einfamilienhaus. Die Polizei geht trotz der verschiedenen Ziele von ein und demselben Täter aus. Sie wird extra Streifen für die kommenden Nächte aufstellen. Die Feuerwehr ist in Alarmbereitschaft und unter den Einwohnern der Stadt macht sich Verunsicherung breit. Laut dem Sheriff sei es nur noch eine Frage der Zeit, bis der erste Mensch zu schaden kommen würde.“

Er legte die Zeitung zur Seite und biss dann in seinen mittlerweile kalten Hot Dog.

„Meinst du es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Brandstifter und unserem Verrückten?“, fragte ich ihn nach seiner Meinung.

„Ich würde ihn nicht unbedingt UNSEREN verrückten nennen.“, betonte er das Wort, „Vielleicht bleiben wir besser bei einem Verrückten. Aber, um beim Thema zu bleiben, einen direkten Zusammenhang sehr ich auf den ersten Blick nicht. Es wurde kein Objekt angezündet, dass mit uns in einem Zusammenhang stehen würde, oder? Andererseits hat der Verrückte schon einmal versucht, uns mit einem Feuer Angst zu machen, richtig?“, fragte er.

Ich nickte.

„Vielleicht hat er wirklich versucht uns zu töten. Seine Aktionen sind vielfältig, wenn wir mal genau hinsehen. Ein Brand, Vandalismus, Graffiti, versuchter Mord und eine tote Katze in einem Paket.“

„Und das gerade jetzt ein weiterer Verrückter in der gleichen Stadt auftaucht, halte ich für sehr unwahrscheinlich.“, hielt ich dagegen.

„Also ist die Frage, was das alles zu bedeuten hat.“

Darauf wusste Landon auch keine Antwort. Doch so viele Zufälle konnte es nicht geben.

Wir riefen bei Sheriff Rick an, der unglaublich gestresst klang. Ihn würden die lokalen Reporter wie Aasgeier belagern, klagte er und verlor während des Gespräches immer wieder den Faden, wenn jemand im Hintergrund etwas dazwischen rief. Das war wirklich ein unglaublicher Lärm im Hintergrund, Nachteil eines Großraumbüros. Allerdings beteuerte er uns, dass die Polizei im Moment noch keinen Hinweis auf den Täter habe und daher einen Zusammenhang weder bejahen, noch verneinen könne.

Trotzdem gab er uns einen neuen Denkanstoß, indem er meinte, vielleicht sei Thomas einfach verärgert, weil Landon und ich aus der Stadt verschwunden waren und er uns nicht so einfach folgen konnte. Deshalb würde er jetzt seine Zeit damit verbringen, Sachen anzuzünden.

Für mich klang diese Erklärung ziemlich lahm, aber ich hatte auch keine Chance mehr weitere Fragen zustellen, da unser zerstreuter Sheriff uns auf einmal einfach wegdrückte.

Wir sahen uns verwundert an, denn es gehörte wirklich viel dazu, jemanden wie den Sheriff mit all seiner Berufserfahrung so aus dem Konzept zu bringen.

Im Endeffekt waren wir genauso schlau wie vorher. Wir beschlossen aufs Anwesen zurückzufahren, denn die Lust auf einen Einkaufsbummel war uns gründlich vergangen.

Ich versuchte mich wie schon zuvor mit Reiten abzulenken, doch Sundance spürte meine innere Unruhe so sehr, dass wir kein vernünftiges Training hinbekamen.

Mich beschäftigte vor allem eine Frage: Wie lange würde es wohl noch dauernd, bis Thomas ein bewohntes Haus anzündete?

Ich brach irgendwann das Training ab, aber um Sundance das Gefühl zu geben, dass es nicht ihr Fehler war und um sie zu belohnen, unternahmen wir einen schnellen Ritt durch das Gelände, der meinen Kopf zumindest kurzfristig frei machte.

Doch sobald ich aus dem Sattel gestiegen war, waren auch die nagenden Gedanken wieder da.

Was bezweckte dieser Verrückte nur mit dem scheinbar wahllosen Legen von Bränden?

 

 

42. Kapitel

42

Die Antwort auf ihre Fragen hätte ihr die Krähe ohne weiteres gern gegeben, sie hatte nur zu fragen brauchen.

Die Brände waren ein kleiner Spaß, den sich Crow erlaubte um sich die Zeit zu vertreiben, bis der Finale Part endlich kommen würde.

Es war ein Ablenkungsmanöver, das die Polizei vollends verwirren und so viele Kräfte wie möglich bannen sollte. Sie jagten nun ein weiteres Phantom und die Krähe konnte sich ein wenig freier bewegen.

Sie war sich sicher, dass mittlerweile auch die beiden ausgeflogenen Vögelchen von ihrem Tun Wind bekommen hatten und sich ihre eigenen Gedanken darüber machen würden.

Zwar war die erhöhte Wachsamkeit von Polizei und Bevölkerung auch schlecht für sie, denn jede unbedachte Bewegung der Krähe in welcher Firm auch immer, konnte schnell zum Argwohn führen.  Doch vielleicht überwogen die Vorteile.

Zumindest war die Aufregung der vergangenen Nacht eine wunderbare Möglichkeit gewesen, dass niemand bemerkte wie eine ganz bestimmte Person sang- und klanglos  verschwand.

Eben diese Person saß nun zusammengekauert und völlig verstört im Versteck der Krähe und harrte der Dinge, die da kommen mögen. Der grausamen Dinge, die sie würde ertragen müssen.

Ein Knebel machte sie stumm, sodass sie unmöglich um Hilfe rufen konnte. Die Kammer, in der sie eingesperrt war, war viel zu dunkel, um etwas wie einen Fluchtweg oder die einzige Tür erkennen zu können. Doch zu lange konnte Crow sie trotzdem nicht alleine lassen. Nicht das der kleine Spatz noch verrückt werden würde.

Bevor es endlich losgehen konnte, fehlten nur noch die beiden anderen Protagonisten ihres Stückes.

43. Kapitel

43

Am nächsten Morgen wachten wir erst spät auf. Die Bäume vor unserem Fenster raschelten leise, es versprach ein schöner Tag zu werden. Doch ich hatte es nicht wirklich eilig aufzustehen, da in diesem Moment ein sehr ansehnlicher, halb nackter Mann vor mir durch den Raum lief.

Ich gab einen anerkennenden Laut von mir und rekelte mich einladend auf dem Bett.

„Nix da.“, antwortete Landon auf meine Avancen, „Wir haben zu tun.“

Hätten wir nur die Chance genutzt, aber wir konnten schließlich nicht ahnen, dass sich in Kürze alles ändern würde. Also zogen wir uns an und gingen zum Frühstück.

Celine begrüßte uns gar nicht, sie war zu sehr damit beschäftigt lustlos in ihrem Müsli herumzurühren. Judy hingegen plauderte sofort angeregt mit uns. Wir sprachen über unsere Pläne wieder auszureiten und sie wollte uns gerne begleiten. Ein Blick über die Tafel zeigte mir, dass Landons Vater das Haus schon früh verlassen hatte. Alles in allem herrschte trotz der gestiegen Ereignisse eine entspannte Atmosphäre. Die sollte nicht lange anhalten.

Kaum hatte ich mir einen Bagel geschmiert und wollte herzhaft hinein beißen, da kam der Butler James und überreichte mir einen Brief. Ich war sehr überrascht und noch bevor ich ihn öffnen konnte, überfiel mich eine böse Ahnung. Die Handschrift auf dem Umschlag, die den Brief an mich adressiert hatte, war mir völlig unbekannt. Sie war krakelig und unsauber. Die Schrift des kurzen Briefes hingegen war mir nur allzu vertraut. Der Inhalt veränderte mein Leben für immer.

 

„Liebe Eri,

ich bin zurück in Livingston und in der Gewalt der Krähe Komm schnell zurück. Du hast 48 stunden.

Weitere Anweisungen erhältst du vor Ort.

Es tut mir Leid,

Dana“

 

Ich konnte förmlich spüren, wie mir alle Farbe aus dem Gesicht wich. Ich schluckte hart und reichte dem schockiert dreinblickenden Landon wortlos den Brief. Nachdem mein Freund den Brief gelesen hatte, stand er ruckartig auf und meinte:

„Wir brechen sofort auf. Wenn wir durchfahren schaffen wir es in weniger als acht Stunden zurück nach Livingston.“

Ich nickte, denn ich war genauso entschlossen wie er.

„Was ist los?“, fragte Judy völlig überrascht.

„Eri, geh bitte und packe unsere Sachen. Ich versuche hier alles zu klären.“

„Der Sheriff?“

Er verstand sofort, worauf ich hinauswollte.

„Den rufe ich auch gleich an.“

Mit wackligen Beinen und Tränen in den Augen lief ich die Treppe zum ersten Stock hinauf. Hatte ich noch einige Minuten zuvor die kunstvollen Schnitzereien im Geländer bewundert, so war ich nun blind für sie. Ebenso wenig nahm ich die erregten Stimmen, die aus dem Speisesaal zu mir hinaufdrangen, wahr. Im Zimmer angekommen, begann ich mechanisch unsere Sachen zusammen zu suchen, während mein verstand langsam anfing auf Hochtouren zu arbeiten.

War der Brief echt? Oder war er nur eine Falle?

Die Schrift sah so sehr nach Danas aus, dass ich von seiner Echtheit überzeugt war.

Wie hatte der Mistkerl Dana nur in die Finger bekommen können. Und vor allem warum hielt er sie gefangen?

Wahrscheinlich, weil er wusste, dass ich sofortzurückkommen würde. Ich spielte in Gedanken verschiedene Szenarien immer wieder durch. Was konnte ich tun? Sollte ich Maggi anrufen? Besser nicht, vielleicht beobachtete er auch sie. Es könnte den Täter nur unnötig nervös machen und Dana vielleicht in noch größere Gefahr bringen. Wenn das überhaupt möglich war.

Da fiel mir eine weitere Frage ein. Warum nannte sie den Entführer im Brief „die Krähe“? ich wusste mir keine Antwort darauf.

Ich sah immer wieder zu der Tür, in der Hoffnung, Landon würde schnell zu mir kommen. Als er dann endlich wirklich hereinkam, warf ich mich in seine Arme. Er war blass und sah sehr besorgt aus.

Er murmelte sanft in mein Haar, dass alles wieder gut werden würde.

Wann, fragte ich mich in diesem Moment, war ich so schwach geworden, dass ich nicht mehr ohne ihn sein wollte?

Oder war es nur der Schock, der mich wieder so an ihn klammern ließ.

Ich hatte kein Antworten dafür, wie für so vieles nicht in letzter Zeit, doch ich spürte, dass schwach zu sein, nicht immer etwas Schlimmes sein musste.

Während Landon den Rest unserer Sachen packte, nutzte ich die Zeit, um mich ein wenig zu sammeln. Er erzählte mir von seinem Gespräch mit dem Sheriff. Dieser sei auch sehr beunruhigt und beauftragte uns den Brief nur noch spurenschonend zu behandeln. Er würde jede Person befragen, die etwas über das Verschwinden von Dana wissen könnte.

Ich versuchte probehalber Danas Handy oder Jeff zu erreichen, doch beide Anschlüsse waren tot.

Ich würde mich diesem Monster stellen und mit der Polizei zusammen Dana retten.

Wir verabschiedeten und von Landons besorgter Mutter und einem ebenso besorgt dreinschauenden Butler. Celine und Mr. Jackson ließen uns nur beste Wünsche und viel Erfolg ausrichten. So mussten wir zumindest keine falsche Sorge in ihren Worten ertrage.

„Passt bitte gut auf euch auf.“, beschwor uns Judy.

„Tut nichts Unüberlegtes und haltet mich bitte auf dem Laufenden.“

Dann umarmte sie erst Landon und dann, ein wenig stürmisch, auch mich.

Ich war ehrlich gerührt von dieser Geste der Sorge und Zuneigung.

 

44. Kapitel

44

Lasst die Spiele beginnen, dachte die Krähe, während ihr bewusstloses Opfer in der Ecke lag.

 Sie sah auf die laut tickende Küchenuhr. Fast zehn. Der Brief müsste nun zugestellt worden sein. Jetzt musste sie nur noch unauffällig den Sheriff im Auge behalten, dann würde sie wissen, wann die Dinge ins Rollen kamen.

Allerdings durfte sie eine Kleinigkeit nicht vergessen:

Meggi Sullivan musste endlich verschwinden, bevor ihre Anwesenheit noch Probleme bereitete. Sie war die einzige, die das verschwinden der Laine-Schwester sofort bemerkt hätte. Deshalb würde die Polizei sie auch sicher bald aufsuchen. War sie aber auch sie endlich beseitigt, würde das Chaos ausbrechen.

Mit einem letzten Blick auf ihr vor Kälte zitterndes Opfer, machte sie sich auf den Weg.

45. Kapitel

45

Wenig später saßen wir schon im Wagen. Es würde eine lange fahrt werden. Diesmal erschien mir die Landschaft trotz des Sonnenscheins trostlos. Alles wirkte auf einmal so karg. Ich war ruhelos und malte mir immer wieder aus, was dieser Verrückte, die Krähe, wie er genannt wurde, mit meiner Schwester wohl alles anstellen würde. Immer wieder stiegen mir Tränen in die Augen und jede Musik, ob Country oder rock, nervte mich nur. Einfach alles nervte mich während der endlosen Stunden, die die Fahrt dauerte.

Wir redeten beide nicht viel. Eigentlich redeten wir überhaupt nicht. Als wir dann auch noch in einem Stau standen, der uns mehrere Stunden aufhielt und uns auch noch zwang, die Nacht in einem kleinen, aber völlig überfüllten Hotel zu verbringen, war ich kurz davor zu explodieren. Warum, verdammt noch mal, musste gerade jetzt eine Massenkarambolage den Highway komplett verriegeln?

Die ganze Angst und Frustration entluden sich, indem ich grundlos Landon anschrie, als er mich tröstend in den Arm nehmen wollte. Ich stieß ihn einfach zurück und brüllte:

„Nichts wird gut!“

Das widerholte ich immer wieder. Doch er blieb geduldig und aus dem Schreien wurde irgendwann tiefes, erschütterndes Schluchzen.

„Ich habe Angst um sie.“, brachte ich schließlich gequält hervor.

„Ich weiß, das habe ich auch.“

Schließlich schlief ich erschöpft in seinen Armen ein. Doch mitten in der Nacht schreckte ich panisch aus dem Schlaf hoch. Mir war als ob ich Danas Stimme gehört hätte. Nicht laut, sondern eher wie ein leises wimmern.

Ich sah auf Landons friedliches Gesicht und wusste doch, dass er sich genauso wie ich unendliche Sorgen um Dana machte.

Ich sah ihn  immer noch an und hoffte von ganzen herzen, dass ich ihn nicht auch noch verlieren würde.

Vor unserem Hotelfenster tauchten immer wieder Lichter auf, sodass ich fast noch eine unangenehme Überraschung erwartete. Zu diesem müsste die Krähe zumindest noch einige Hundert Meilen entfernt sein.

Es dauerte lange, bis ich in einen unruhigen Schlaf fiel, dessen furchtbare Träume nur durch Landons Nähe ein wenig gelindert wurden.

46. Kapitel

46

Es war so einfach gewesen,  sie wieder nach hause zu locken. Ein dramatischer Anruf, dass ihre kleine Schwester auf dem Weg zu den Jacksons verunglückt sei und sie war förmlich nach Livingston geflogen. Jetzt saß sie hier im versteck der Krähe. Die Hände waren auf dem rücken gefesselt, dass Kinn auf die Brust gesunken.

Sie schlummerte nur einen leichten Schlaf, denn sobald die Krähe ihren Stuhl scharrend zurückschob, schreckte sie sofort hoch.

„Na? Aufgewacht?“, krächzte Crow.

Sofort riss ihr Opfer die Augen weit auf und schaute panisch ihren Peiniger an.

Mit Wonne erinnerte sich die Krähe etwa vierundzwanzig Stunden zurück, als Dana, so hieß ihr Opfer, ahnungslos in die Falle getappt war. Sie kam ins das Haus um ihre alte Freundin Meggi zu treffen und fand stattdessen die Krähe mit ihren schwarzen Haaren und dem langen schwarzen Umhang vor. Sie hatte allerdings nicht einmal die zeit gehabt, wirklich schockiert zu sein, da flog Crow schon lautlos auf sie zu und das Knistern des Tasers war das Letzte, was sie für einige zeit hörte.

Es war fast schon zu schnell gegangen, zu einfach, doch das große finale wurde das wieder gut machen.

Die Krähe hatte für jede der Schwestern einen besonderen Tod geplant. Doch für den Moment setzte sie sich ihrem Opfer gegenüber auf den Boden. Sie studierte jede Linie des hübschen Gesichts und auch die Schatten, die das fahle Licht auf sie warf.

„Du hättest diesen Kerl nicht heiraten sollen. Hättest du deine Schwester nicht allein gelassen, wäre das alles hier nicht passiert.“

Sie lachte laut auf, als ihr ein Gedanke kam.

„Doch jetzt ist es zu spät. Du hast niemals erwartet, dass jemand wie ich der bösewicht sein könnte, nicht wahr?“

Doch die gefangene reagierte nicht auf die Frage.

„Antworte!“

Doch wieder schauten sie nur stumme, verschreckte Rehaugen an.  Die Krähe verpasste Dana Laine eine schallende Ohrfeige, bei der ihr Kopf zur Seite flog.

„Antworte!“, schrie die Krähe diesmal und ihre Worte hallten im Raum wieder.

Erschrocken nickte das Opfer, während ihr Tränen über die geschwollenen Wagen liefen.

„Schsch. Nicht weinen, Liebling.“

Die Krähe küsste die Tränen weg.

47. Kapitel

47

Am Morgen war der Highway wieder freigegeben und wir setzen früh unsere fahrt fort. Ich hatte weder Jeff noch Meggi die ganze zeit über nicht erreichen können. Als wir endlich vor Landons Haus vorfuhren, erwartete uns schon der Sheriff. Er kam ziemlich schnell zur Sache.

„Keine Spur von Ihrer Schwester, Eria. Wir haben alles abgesucht. Niemand hat etwas von ihr gehört, noch etwas gesehen. Niemand hat überhaupt bemerkt, dass sie zurückgekommen ist. Ihren Mann Jeff haben wir gerade erreicht. Er war auf einer Geschäftsreise. Er macht sich sofort auf den weg hierher.“

Jeff lebte also noch. Gott sei Dank.

„Wie kann der Entführer Dana erwischt haben?“

„entweder ist unser Kidnapper sehr gerissen, was ihm durchaus zuzutrauen wäre oder aber ihre Schwester kannte den Täter.“

Das war eine Möglichkeit. Ich atmete tief durch. Etwas fiel mir dabei am Verhalten von Sheriff Rick auf. Fragend sah ich Landon an, er schien es auch bemerkt zu haben.

„Sheriff?“, fragte er besorgt.

„Nun gut. Sie erfahren es eh bald.“

Er nahm seinen Hut ab und kratze sich nervös.

„Meggi Sullivan ist auch verschwunden.“

„Oh, nein.“

Ich war ehrlich schockiert.

„Ihr Haus wurde praktisch verwüstet. Es sieht stark nach einem heftigen Kampf aus. Es ist daher nicht auszuschließen, dass auch Miss Sullivan entführt wurde.“

„Mir gefällt das ganze überhaupt nicht.“, brachte Landon die Situation auf den Punkt. „Meggi würde nie ohne einen großen Abgang verschwinden.“

Wie recht er damit hatte, wussten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Mit diesem Gedanken beschäftigt gingen wir ins Haus. Der Sheriff untersuchte alle Fenster und Türen, doch er konnte keine Spuren eines unbefugten Eindringens feststellen.

„Wer hat alles einen Schlüssel zu diesem Haus?“

„ Nur Eri und ich. Zumindest seit ich letzte Woche habe die Schlösser auswechseln lassen. “

„Mmh. Vielleicht sollten sie die Schließzylinder noch einmal austauschen. Wer weiß, ob sich der verrückte nicht irgendwie einen Ersatzschlüssel besorgt hat, während sie nicht da waren.“

Wir nickten.

„Und ein letztes mal, Eria, bitte tun Sie nichts unüberlegtes. Immer wenn sich der Mistkerl bei Ihnen melden sollte, sagen sie uns Bescheid, egal, mit was er Ihnen drohen sollte. Es wird ab sofort wieder eine wache vor ihrem Haus positioniert.“, fügte er an Landon gewandt hinzu.

Das war nun schon das zweite Mal, dass man mir riet nichts Unüberlegtes zu tun. Strahlte ich neuerdings so viel Wagemut aus? Denn danach fühlte ich mich wirklich nicht.

„Können wir zu Meggis Haus fahren?“, fragte ichplötzlich, denn mir war der Gedanke gekommen, dass mir dort vielleicht etwas auffallen könnte. Eine Kleinigkeit, die uns zur Krähe führen könnte. Vielleicht überschätze ich mich selbst, doch auch wenn ich Meggi nicht mochte, konnte ich doch behaupten, sie vielleicht besser als jeder andere in Livingston zu kennen. Ausgenommen von meiner Schwester natürlich.

„Ja. Ich denke, dass dürfte machbar sein. Solange Sie nichts anfassen. Die Spurensicherung muss vielleicht noch einmal rein. Aber erwarten Sie nicht zu viel.“

Also fuhren wir dem Streifenwagen hinterher zum Schauplatz des Dramas. Unbewusst heilt hielt ich die ganze Zeit Ausschau nach einen Lebenszeichen von Dana. Ich zuckte mehrere Male zusammen, wenn ich einen braunen Haarschopf oder eine junge Frau mit einer ähnlichen Figur sah. Mir fiel auf, wie wenige Gesichter ich in den Läden und auf der Straße kannte. In den letzten Jahren mussten viele Familien und Alleinstehende nach Livingston zugezogen sein.

Ich wäre an sich lieber gleich zu Mrs. Hank gefahren, um Moé in die arme schließen zu können. Doch immerhin war das hier meine Idee gewesen. Ich sehnte mich schrecklich nach meiner Katze.

Da fiel mir etwas ein, das der Sheriff bei seinen Ausführungen nicht erwähnt hatte. Je länger ich nun darüber nachdachte, umso seltsamer erschien es mir.

Wir fuhren auf die gepflasterte Einfahrt, Meggis glänzender roter Sportwagen stand unberührt unter dem Carport.

„Sheriff, ich habe da noch eine Frage.“, meinte ich, als wir ihm zur Haustür folgten, „War irgendwo Blut zu finden?“

„Nur ein wenig. Die Proben wurden ins Labor geschickt.“

„Ist es aber nicht recht ungewöhnlich, wenn bei einem Kampf, bei den eine solche von Ihnen geschilderte Verwüstung auftritt, nur wenig Blut zu finden ist? Es muss doch einen heftigen Kampf gegeben haben, oder?“

„Nicht unbedingt. Wir wissen schließlich nicht, ob Miss Sullivan schnell überwältigt und das Haus erst im Nachhinein verwüstet wurde. Wir wissen ja auch nicht, was der Kidnapper gegebenenfalls mit der Entführung beabsichtigt hat oder mit der Zerstörung der Einrichtung. Vielleicht wusste Miss Sullivan etwas oder sie war ihm vielleicht auch nur im Weg. Alles ist momentan denkbar. Wenn wir etwas glück haben, ist das Blut sogar vom Täter.“

Er sah sehr besorgt aus, dann fuhr er fort seine sorge zu formulieren:

„da wir bisher noch keinen Brief erhalten haben, der irgendwie Miss Sullivan betrifft, müssen wir wohl auch damit rechnen, dass sie keine Bedeutung für den Entführer haben könnte. Es besteht die Möglichkeit, dass wir sie nur tot auffinden werden.“

Ich mochte Meggi wirklich nicht und würde wohl nicht in tiefe Verzweiflung über ihren möglichen Tod stürzen, so gemein sich das gerade anhörte, doch betrübte mich diese Möglichkeit ehrlich.

Der Sheriff schloss die Eingangstür auf und ich blieb wie angewurzelt auf der Schwelle stehen. Das Chaos war überwältigend. Ich war vorher ein oder zweimal in diesem Haus zu gast gewesen, das Meggi von ihren Eltern geerbt hatte. Meist waren es Geburtstage gewesen, zu denen mich Dana mitgeschleift hatte.

Hier war nichts mehr von der eleganten Einrichtung zu erkennen. Schubladen waren ausgekippt und ihr Inhalt über den ganzen Boden verteilt worden. Die wenigen Bücher waren aus dem Regal herausgerissen. Ich lief vorsichtig umher, sorgsam darauf bedacht, nichts anzufassen. Auch das Obergeschoss war völlig verwüstet. Die Kleidung aus den Schränken lag zerknittert in einem wilden durcheinander auf dem Teppichboden.

 

Ich konnte nichts Außergewöhnliches erkennen. Ich gab daher meine Amateur-suche nach spuren relativ schnell wieder auf. Einzig ein zerbrochenes Bild von Dana und Meggi am Boden des Schlafzimmers, erregte meine Aufmerksamkeit. Beide mussten darauf etwa sechzehn gewesen sein. Es sah so aus, als sei jemand mit Absicht draufgetreten, denn es lagen keine Splitter herum, das Glas war lediglich eingedrückt.

Ich lief schnell wieder ins Erdgeschoss und verließ kurz darauf niedergeschlagen an Landons Seite das Haus. Wir hatten nichts, nicht einen einzigen Hinweis auf Dana, Meggi oder ihren Verbleib finden können.

48. Kapitel

Willkommen zurück. Die Krähe beobachtete unauffällig das Paar und den Sheriff. Jetzt wo endlich alle versammelt waren, konnte es endlich beginnen. Doch ein wenig Geduld würden beide Seiten bis zum großen Showdown noch haben müssen. Die Angst, die in ihren Herzen wuchs, je länger sich alles hinzog, machte die Krähe glücklich. Es war nun zeit für Phase Zwei. Angst und Schrecken verbreiten und das Paar trennen.

Letzteres würde sicher der schwierigste Teil werden.

Crow steckte das Fernglas, mit dem sie die Szenerie vor dem Haus beobachtet hatte, wieder ein und fuhr los. Ihre Kleidung und das gemietete Auto waren die perfekte Tarnung für einen Durchreisenden in der Stadt. Jetzt musste sie erst einmal nach ihrer Gefangenen schauen. Nicht das der kleine Liebling noch verhungern oder gar versuchen würde zu fliehen. Das würde alles nur unnötig verkomplizieren.

Sie fuhr die kleine Bergstraße zu ihrem versteck hoch und spielte ihren Plan immer wieder im Kopf hoch.

Sie konnte keinen Fehler erkennen.

49. Kapitel

49

Nachdem wir uns vom Sheriff verabschiedet hatten und ihm versprechen mussten, dass wir uns sofort melden würden, sollten wir etwas Neues erfahren, fuhren wir endlich zur alten Mrs. Hank. Vielleicht hatte sie ja doch etwas Ungewöhnliches mitbekommen. Einen anderen Anhaltspunkt gab es eh nicht mehr.

Mrs. Hank öffnete sofort die Tür, kaum dass Landon den Motor ausgestellt hatte. Sie lief uns entgegen und führte uns dann freudig plappernd in Haus. Madam lag faul auf der Couch und öffnete ein Auge als wir das Wohnzimmer betraten.

Ich war nur fünf Tage fort gewesen, doch Moé war zutiefst beleidigt. Sie ignorierte mich komplett und stolzierte nach einen ausgiebigen sich strecken direkt an mir vorbei zu Landon. Ich hatte ganz vergessen, wie vernarrt sie in ihn war. Eifersüchtig beobachtete ich, wie sie sich Landons Streicheleinheiten hingab. Ich hätte schwören können, dass sie mir aus ihren vor Wonne zu schlitzen verengten Augen einen gehässigen Blick zuwarf. Biestkatze.

Dann holte mich Mrs. Hanks besorgte Stimme wieder zurück in die Realität und zu den nur allzu realen Problemen, die vor uns lagen.

„Oh, Eria, du armes Mädchen. Ich habe von der ganzen Tragödie gehört. Die ganze Stadt spricht von nichts anderem. Alle halten die Augen offen! Ich war ganz durcheinander, ich könnte dem Sheriff auch nicht helfen. Doch ich habe hier wirklich nichts gesehen!“

„Ist schon gut, Mrs. Hank. Keiner kann etwas dafür …“

„Außer diesem Mistkerl, der sie entführt hat. Arme Dana. Hängen sollte er dafür. Und die kleine Sullivan soll es auch noch erwischt haben. Was für ein Albtraum und das in unserer Stadt! Ich hatte die ganze Zeit euer Haus ihm Blick, Eria. Es liegt ja nun einmal genau gegenüber. Nichts! Deine Schwester war wirklich nicht hier. Sie wissen ja, dass ich unsere Nachbarschaft immer ganz genau im Auge behalte!“

Sie ergriff meine Hand und drückte sie fest.

„Und Sie junger Mann, passen sie ja gut auf Ihr Mädchen auf. Ich kenne Eria schon seit sie klein war. Sie wird sich sonst allein auf die suche machen.“, fügte sie an Landon gewandt hinzu.

Dann seufzte sie tief.

„Ich sage es nicht gerne, aber ich glaube, ihr beide seid auch in Gefahr. Jeder hier weiß, dass eure Leben, wenn nicht gar das Schicksal,“, sie senkte unheilverkündend die Stimme, „ von euch vieren untrennbar zusammenhängt.“

„Ich verspreche es Ihnen, ich werde gut auf Eria aufpassen.“, meinte Landon mit ernster Stimme.

Landon setzte Moé wieder auf den Boden und legte mir liebevoll seinen arm um die Schulter. Kurz war ich trotz des ersten Themas versucht, Moé die Zunge rauszustrecken. Doch die gab sich unbeteiligt und putzte sich die Ohren.

„Mrs. Hank.“, fuhr ich stattdessen fort, „Es tut mir Leid, sie noch einmal fragen zu müssen, doch haben sie wirklich nichts gesehen, das uns weiterhelfen könnte?“

„Tut mir wirklich Leid, meine Liebe. Ihre Schwester habe ich seit ihrem Umzug nach Phoenix nicht mehr gesehen. Miss Sullivan habe ich zuletzt bei Joe´s gesehen. Vor zwei Tagen.“

Joe´s war ein kleiner Lebensmittelladen Schrägstrich Mittelpunkt des sozialen Lebens von Livingtons Alteingesessenen. Die meisten der Einwohner, die hier aufgewachsen waren, gingen noch immer dort einkaufen, denn man traf sich und pflegte seine Freund- und auch Feindschaften. Wer den neusten Tratsch loswerden oder erfahren wollte, kam zu Joe´s. Der Inhaber hieß schon lange nicht mit Joe, sondern Don, aber jeder brachte ihm tieftest Ehrerbieten entgegen. Kein Wunder also, dass dort auch Meggi von zeit zu zeit Hof hielt.

„Ist Ihnen vielleicht irgendetwas an Meggi aufgefallen?“, fragte ich, auch wenn ich wenig Hoffnung hatte auch nur den leisesten Hinweis zu bekommen.

Mrs. Hank dachte lange nach, bevor sie bedächtig antwortete:

„Nun ja, sie war genauso unausstehlich wie immer.“

Landon lachte. Auch Mrs. Hank lächelte leicht.

„Man sollte wohl nicht schlecht über sie sprechen, doch sonst ist mir nichts aufgefallen.“

Ich nickte. Dann schnappte ich mir Moé und das Katzentier fing sogar an zu schnurren.

„Ich habe dich auch vermisst.“, flüsterte ich ihr zu und hielt sie ganz fest, als könnte mir das meine Schwester wieder zurückbringen.

Ich setzte Moé ins Auto, dann überquerten wir die Straße und betraten mein Haus. Wann würde ich wohl die angekündigten neuen Anweisungen erhalten?

Alles schien unberührt. Das passte zur These, dass Dana gar nicht erst hierher gekommen war. Nur das Lämpchen des Anrufbeantworters leuchtete. Drei neue Nachrichten wurden angezeigt, also drückte ich auf die Wiedergabetaste.

Der erste Anrufer hatte einfach aufgelegt. Der zweite Anruf war eine automatische Werbeanzeige. Doch als die dritte Nachricht abgespielt wurde, erstarrte ich.

Ein rasselnder Atem war zu hören, dann krächzte eine unmenschliche Stimme:

„Ich habe deine Schwester, Eria. Noch lebt sie, doch wenn du nicht tust, was ich dir sage, wird sie sehr bald sterben. Warte bis heute Nacht, dann werde ich dir die nächste Botschaft übermitteln. Auch und eines noch: Keine Polizei, keine zeugen, keine Tricks.“

Dann wurde aufgelegt.

Landon legte mir vorsichtig die Hand auf die Schulter und ich fuhr erschrocken zusammen. Er sah genauso erschrocken aus wie ich.

„Komm,“, sagte er, „wir müssen zum Sheriff. Vielleicht kann er mit dem Band etwas anfangen.“

50. Kapitel

50

„Leider können wir den Anruf nicht zurückverfolgen. Um die Stimme zu analysieren, fehlt uns hier die Technik.“, entschuldigte sich Sheriff Rick fast dreißig Minuten später bei uns.

Wir saßen ihm gegenüber in seinem Büro und suchten gemeinsam nach einem weiteren Weg Dana zu finden.

„Das haben wir uns schon gedacht, aber es war einen Versuch wert. Es hätte mich auch ein wenig gewundert, wenn dieser Kerl einen Fehler gemacht oder eine spur hinterlassen hätte. Sonst gibt es nichts Neues?“, fragte Landon.

Die Frage schien für uns zum Standard in jedem Gespräch, das wir führten, zu werden. Der Sheriff schüttelte nur den Kopf. Seiner Meinung nach war eine Forderung, die Polizei außen vor zu lassen, völlig normal für solche Entführungsfälle.

„Wir gehen allen Spuren nach. Doch bis jetzt gibt es nichts.“

„Also warten wir bis der Kidnapper den nächsten schritt macht.“, schloss ich.

Er sah mich bedrückt an.

„Genau. Und das wir sicher bald der fall sein. Er hat einen Plan und der sieht mit Sicherheit auch vor, Sie Eria, in seine Fänge zu bekommen. Sonst hätte er nicht dieses komplizierte Netz aus Hinweisen und Sackgassen gesponnen.“

Ich war mir mittlerweile auch sicher, dass sein nächster Schritt darauf hinauslaufen würde, mich zu fangen.

Der Sheriff blätterte in einer Akte.

„Leider konnten wir auch sonst nichts über Thomas in Erfahrung bringen. Seine Eltern haben ihn zuletzt vor etwa einem Jahr gesehen.        Später fanden sie einen Abschiedsbrief, in dem er erklärte, er würde hinaus in die weite Welt ziehen. Wortwörtlich. In seiner Schulakte fanden wir zumindest den Hinweis, dass er Psychopharmaka gegen eine Persönlichkeitsstörung nahm. Genauere Informationen will sein behandelnder Arzt nicht geben, bis wir einen richterlichen Beschluss vorlegen können.“

Damit war er immer noch der Hauptverdächtige. Mit einer solchen Störung, war ihm praktisch alles zuzutrauen. Jetzt wo ich das wusste, bekam ich umso mehr Angst um Dana.

Hatte er sie entführt, um ihr etwas anzutun? Oder etwa nur, um mich zu sich zu locken, mich zu quälen, um sich für damals an mir zu rächen?

Wahrscheinlich. Mir wurde bewusst, wie gefährlich diese Rache noch werden könnte, vor allem für Landon. Ich traf den Entschluss, egal was passieren würde, ich würde einen Weg finden müssen, ihn außen vor zu lassen. Ich wollte ihn nicht weiter in Gefahr wissen. Ich musste ihn irgendwie beschützen. Hier ging es um mich. Doch ich wusste auch, dass er nicht von meiner Seite weichen würde.

Es wurde zeit selbst aktiv zu werden. Ich musste mir einen Plan zurechtlegen.

Thomas, dachte ich und ballte die Fäuste, du wirst für alles bezahlen.

Ich weiß nicht, woher ich auf einmal diesen Mut und diese Entschlossenheit nahm, doch ich war dankbar dafür.

Bevor ich einen Plan entwickeln konnte, gab es zumindest noch eine unliebsame Überraschung für uns. Wir hatten beschlossen zumindest ein paar Nahrungsmittel einzukaufen, obwohl wir beide weder Hunger noch Appetit verspürten. Am schlimmsten war die angst, dass Dana vielleicht schon nicht mehr am Leben war, wenn er sie vielleicht nur für den Brief gebraucht hatte, der mich nach Livingston lockte. Wir versuchten krampfhaft dieses Thema zu meiden, doch zerrte es an unseren Nerven.

Während wir nun unseren riesigen Einkaufswagen durch den riesigen Supermarkt einer sehr bekannten Supermarktkette schoben und sowohl lust- als auch wahllos Sachen in den Korb warfen,  achteten wir nicht auf unsere Umgebung.

Als wir in den nächsten Gang einbogen, sah ich das Grauen. Leide3r sah es mich auch, bevor ich vorsichtig zurück manövrieren konnte und stürzte sich augenblicklich auf mich. Mandy.

„Oh. Mein. Gott. ERIA!, kreischte es ungefähr auf Höhe meines Trommelfelles. Dementsprechend zuckte ich vor Schmerz zusammen.

„Was ist bloß passiert? Es tut mir ja so leid für dich. Die arme, arme Dana.“

Sie sah mich mitleidig an und umarmte mich dann so spontan, wie es auch Landons Mutter getan hatte, ohne das es sich so gut anfühlte, wie es bei Judy der Fall gewesen ist. Die Umarmung dort im Supermarkt war eine aufgesetzte Geste, die nicht von Herzen kam, sondern meiner plötzlichen, wenn auch negativen Prominenz geschuldet war. Ich beschloss sie umgehend abzuwürgen.

„Mandy, das ist ja sehr lieb von dir, aber ich kann dir keine weiteren Informationen geben. Tut mir Leid. Jedes Detail der Ermittlungen, dass ich vielleicht aus Unachtsamkeit verrate, könnte Danas Leben gefährden.“

Sie sah mich mit großen Augen an.

„Nein … ich wusste ja nicht, dass es so ernst um seine Schwester steht! Entführt!“

Sie schien auf einmal noch aufgeregter.

Gut gemacht, Eria, super!, sagte ich zu mir selbst und war versucht mir selbst in den Hintern zu treten. Ich hatte doch mehr verraten, als schon bekannt war und nun würde diese neue Information in kürzester Zeit in der ganzen Stadt herum sein und neue Blüten treiben.

Vielleicht war es sogar ganz gut, wenn der Täter unter Druck geriet, indem immer mehr Informationen über in Verbreitung fanden. Es könnte ihn aber auch in Panik versetzen und zu einer weiteren, der an sich schon hohen Gefährdung Danas führen. Es war einfach ein Balanceakt.

Bevor Mandy mich weiter mit sensationsheischenden Fragen löchern konnte, kam Landon um die Ecker einer Regalreihe, bepackt mit einem riesigen Paket Toast. Sofort war Mandy abgelenkt und beäugte ihn mehr als nur interessiert. Sie war eben ein wenig einfach gestrickt und alle Themen, die sich über einen längeren Zeitraum nicht um sie drehten, nu ja, an denen verlor sie schnell das Interesse.

„Kommst du, Schatz?“ fragte mich Landon, der die Situation blitzschnell erfasste.

„Sicher.“

Ich nickte und wandte mich an Mandy.

„Tut mir leid, aber wir müssen jetzt los.“

Sie sah zwar ein wenig enttäuscht aus, aber ließ mich nach einer weiteren Umarmung und der Versicherung, dass alle die Augen offen halten würden, gehen.

51. Kapitel

51

Den Nachmittag verbrachten wir wartend in Landons Haus. Es wurden lange Stunden des Wartens, die wir zumeist vor dem Fernseher verbrachten. Ich zappte so lange und so schnell durch die Kanäle, bis Landon entnervt aufstand und begann in der Küche ein Abendessen für uns zu zaubern. Moé folgte ihm wie immer mit schmachtendem Blick. Amüsiert sah ich zu, wie sie ihm so lange um die Knöcheln strich, bis er ihrem Werben endlich nachgab und sie hochhob. So arbeitete nun nur noch mit einer Hand, während Moé auf seinem arm saß, die Vorderpfötchen auf seiner Schulter, das Gesicht an seiner Wange. Und ihr Schwänzchen immer nahe an unserem Essen. Manchmal musste man im Leben ein Katzenmensch sein.

Gegen Abend klingelte mein Handy, doch statt des erwarteten Anrufes des Entführers, meldete sich Sheriff Rick.

Man habe endlich eine Spur, wir sollten sofort zu einem alten Farmhaus ein wenig außerhalb der Stadt kommen. Die genaue Adresse war mir bekannt, da dort bis vor einigen Jahren ein nettes altes Ehepaar gelebt hatte, das Dana oft besucht hatte. Beide waren im Abstand von nur wenigen Tagen friedlich gestorben.

Natürlich machten wir uns sofort auf den Weg und kämpften uns verbissen durch den Feierabendverkehr, der wie immer auf der einzigen Umgehungsstraße stadtauswärts tobte. Ich muss hinzufügen, dass ich fuhr, denn alles andere hätte mich zu sehr aufgeregt. Voll Ungeduld wäre mir fast der Schädel weggeflogen, als wir langsam dahinkrochen und mich dann auch noch ein älterer Herr anhupte. Im nächsten Moment raste ich schon wieder mit Vollgas und halsbrecherischen Spurwechseln dahin.

Landons Miene war angesichts meines Fahrstils derart verbissen, dass es offensichtlich war, wie sehr seine Entscheidung mir den Schlüssel zu überlassen, bereute. Er hatte wohl ernsthaft Angst um unseren Mietwagen.

Zwanzig sehr lange Minuten später erreichten wir das von Polizeiautos umstellte und von Blaulicht angestrahlte Farmhaus. Es wurde langsam dunkel, doch erkannte man noch gut den verwahrlosten Zustand des Anwesens.

Das Abstellen des Motors und das Aussteigen waren praktisch eine Bewegung und schon strebte ich leicht geduckt laufend in Richtung des Sheriffs. Landon folgte mir auf dem Fuß. Alle Polizisten hatten sich hinter ihren Autos in Deckung gebracht und hatten ihre Waffen im Anschlag.

Ich grüßte kurz den jungen Officer, den ich wiedererkannte, dann tippte ich Sheriff Rick auf die Schulter. Dieser fuhr erschrocken zusammen und setzte schon zu einer Schimpftirade an, als er mich erkannte.

„Ach, Sie sind es.“

Ein bisschen mehr Begeisterung in der Stimme hätte meiner Meinung nach wirklich nicht geschadet.

„Was ist los, Sheriff?“, fragte ich gespannt.

„Nun, wir haben einen anonymen Anruf bekommen. Jemand hat in diesem eigentlich leerstehenden Farmhaus Licht und Bewegungen gesehen. Später meinte ein Wildranger, dass auf ihn geschossen worden sei, als er versuchte sich dem Haus zu nähern. Es spricht also einiges dafür, dass hier etwas Verdächtiges vorgeht. Aber bisher hat niemand auf unsere Rufe reagiert.“

„Und wie geht es jetzt weiter?“

Ich war ungemein interessiert daran, endlich mehr zu erfahren.

„Wir warten noch auf eine Gruppe aus einer Nachbarstadt, dann werden wir eine Blendgranate hineinwerfen und dann das Haus stürmen. Ein richtiges SWAT-Team bekommen wir nicht so schnell.“, verkündete er mit düsterer Miene.

„Sie bleiben beide hier und warten, bis wir die Situation geklärt haben. Verstanden?“

Wir nickten synchron. Endlich kamen die Spezialkräfte, eine kurze Lagebesprechung erfolgte und dann ging alles ganz schnell.

Erst da viel mir ein, welches Risiko nun auch für meine Schwester bestand, sollte sie dort drinnen sein.

Die Männer in schwarz stürmten das Haus, scheinbar endlose Sekunden verstrichen, dann kam der erste Mann wieder heraus und winkte ab. Enttäuschung machte sich breit, als er dem Sheriff erklärte:

„Wir haben ihn verpasst, vielleicht um eine Stunde, vielleicht auch weniger. Es war definitiv jemand da drin. Es gibt Spuren im Staub und wir haben Panzertape gefunden. Eine Platte auf dem Herd war noch ein wenig warm.“

Der Sheriff folgte dem schwarzen Mann ins Haus, immer mit Landon und mir im Schlepptau.

Das Innere des Hauses roch nach Staub und Moder und ein wenig nach Spaghetti Bolognese. Jemand machte das Licht an und endlich konnte man sogar etwas erkennen. Überall war Müll und Gerümpel über die alte Einrichtung verstreut.

Aber es gab auch sichtbare frische spuren, dass hier vor nicht allzu langer Zeit jemand gelebt hat. Take-Away China-Boxen und Coladosen. Auch stapelten sich einige benutzte Töpfe in der Küche, was den Geruch erklären würde.

Ein Beamter von der Spurensicherung verkündete, dass das genutzte Besteck als einziges sorgfältig abgewaschen worden sei und daher daran auch keine DNA-Spuren mehr zu erwarten waren.

Ich erkundete weiter das Haus, während sich Landon mit dem Sheriff über das weitere Vorgehen unterhielt. Ich suchte nach Zeichen, dass vielleicht auch Dana hier gewesen war. Braune Haare, ein Ohrring oder irgendetwas anderes. Doch was ich letztlich fand, drehte mir den Magen um.

Auf dem Boden des ehemaligen Esszimmers fand ich einen Stuhl, an dem Reste des schon erwähnten Panzertapes klebten. Doch unter dem Stuhl war eine große, frische Blutlache. Das Licht meiner Taschenlampe tanzte förmlich auf dem glitzernden Rot. Ich rief nach Landon und zeigte dann nur noch wortlos auf meinen Fund.

Während sich sofort der herbeigerufenen Experte der Spurensicherung ans Werk machte, führte mich der Sheriff wieder zurück zu meinem Wagen.

„Eria.“, meinte er zu mir und suchte dann meinen Blick. „Wir sind ihm definitiv auf der Spur. Welche Blutgruppe hat Ihre Schwester?“

 Diese Frage richtete sich an mich. Ein Beamter kam gerade mit einer Plastiktüte, in der einige dunkle Haare waren, auf den Sheriff zu. Es dauerte daher eine Weile bis ich antwortete. Dana war hier gewesen, da war ich mir ganz sicher.

„Null.“, antwortete ich tonlos.

„Gut. Bleiben Sie bitte noch hier. Ihre Gesichtsfarbe ist etwas grün. Ich werde den Beamten bitten einen Schnelltest zu machen.“

Auch er hatte die Haare nun registriert. Er lief zurück ins Haus.

„Ich hatte so gehofft, dass wir sie hier finden würden.“

„Ja, ich auch. Aber ich dachte mir schon, dass der Kerl sich nicht so einfach schnappen lassen würde.“, antwortete Landon.

„Also müssen wir weiter abwarten.“

Der Sheriff kam schon wieder aus dem Haus gelaufen.

„Eine gute Nachricht. Das Blut ist nicht von Ihrer Schwester. Der Test ergab die Blutgruppe AB negativ.“

„Meggis Blutgruppe ist AB negativ.“

Überrascht schauten mich Landon und Sheriff Rick an. Ein Spusi-Beamter kam hinzu. 

„Das heißt, der Kidnapper muss beide in seiner Gewalt haben oder zumindest, dass Miss Sullivan in dem Haus gewesen sein muss. Der Menge an Blut nach zu urteilen, muss man ihr einen tiefen Schnitt zugefügt haben. Sie müssen wissen, Blutlachen sehen immer schlimmer aus, als sie Verletzung wirklich war, denn Blut läuft sehr weit. Vielleicht kennen Sie das, wenn Sie mal Nasenbluten haben. Oder eine blutende Kopfwunde gesehen haben.“, führte er aus.

„Aber was ist mit den langen braunen Haaren?“, fragte ich.

Es klang vielleicht gemein, aber Meggi war mir zu diesem Zeitpunkt ziemlich egal. Sie könnte uns im Moment höchstens zu Dana führen. Ich hatte keine Zeit auch noch für sie Mitleid zu empfinden.

„Oh, die haben Sie auch gesehen?“, fragte der Sheriff überrascht und kratzte sich am Ohr.

„Nun ja, ich gebe zu, dass ist ein Indiz, aber erst eine Analyse wird zeigen, ob es wirklich Haare Ihrer Schwester sind. Das kann aber ein paar Stunden dauern.“

Ich sah betrübt zum Haus zurück. Enttäuschung machte sich zunehmend in mir breit. Zum dritten Mal an diesem Tag verabschiedeten wir uns vom Sheriff, dessen Leute noch immer im Haus nach dem kleinsten Hinweis suchten. Auf den Rückweg stellten wir uns auf eine lange Nacht ein. Wir mussten die Analyse abwarten, um Gewissheit zu haben.

 

52. Kapitel

52

Das war entschieden zu knapp gewesen, dachte die Krähe, während sie es sich in ihrem neuen versteck gemütlich machte. Es war zwar nicht so komfortabel wie das letzte, doch für die wenigen Stunden bis zum großen Finale würde es wohl seinen Zweck erfüllen.

Ihr Opfer lag zusammengekauert in einer Ecke auf dem Boden.

Darum konnte sie sich jetzt nicht kümmern. Sie musste erst den Wagen vor neugierigen und zufälligen Blicken schützen. Den Ford hatte sie gebraucht gekauft. Es war ein so durchschnittliches Auto, dass es nicht auffiel in Mitten der anderen Pick-Ups und SUVs, die jeder hier auf dem Land fuhr. Doch hier oben würde ein einzelner Wagen leicht auffallen, so selten fuhr jemand hier herauf.

Zu schade, dass man sie in dem alten Versteck aufgespürt hatte, doch das bewies nur wieder, dass man sich nirgends sicher fühlen konnte. Es war reiner Zufall gewesen, dass sie das vorbeifahrende Auto bemerkt hatte. Sie hatte schnell handeln müssen, um noch vor der Polizei fortzukommen. Das Kleinstädte auch so schrecklich sozial und wachsam sein mussten. In einer Großstadt hätte sich niemand überhaupt um eine Entführung geschert.

Leider hatte sie das Blut nicht mehr entfernen können, sie konnte nur hoffen, dass man aus der Lache falsche Schlüsse zog.

Nun gut, in dieser Nacht würde wohl nichts in Flammen aufgehen, jetzt wo ihr Opfer endlich zurück war.

53. Kapitel

53

Nachdem wir entmutigt nach Hause kamen, befielen mich fürchterliche Kopfschmerzen. Zuerst verbarg ich sie, doch das klappte nicht besonders lange. Schon nach einigen Minuten hätte ich vor Schmerz weinen können. Sehr zu meinem Unglück hatte Landon kein einziges Schmerzmittel gegen meine Migräne im Haus.

Als die Schmerzen nicht mehr auszuhalten waren, fuhr er los, um mir meine Migränemedikamente aus meinem Haus zu holen.

„Du musst nicht gehen, wirklich!“

„Eri, ich sehe doch was du für Schmerzen hast! Du kannst dich ja kaum noch bewegen.“, antwortete er.

„Ich fahre schnell los. Du legst dich einfach hin und machst die Augen zu. Mich wundert es, dass du erst jetzt Migräne bekommst. Bei dem Stress hätte ich das viel früher erwartet!“

„Woher weißt du überhaupt davon?“, fragte ich entnervt.

Gab es überhaupt irgendein Geheimnis vor ihm? Dann fiel es mir ein und wir antworteten unisono:

„Dana.“

Er ließ mich nur ungern allein, aber für neunundzwanzig Minuten, versicherte ich ihm, ginge das schon. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen, dass nicht nur von der Migräne kam, sah ich den Rücklichtern hinterher.

Ich wunderte mich bald, wo er so lange blieb, denn ich hatte ihm genau erklärt, wo meine Medikamente zu finden waren. Auf seinem Handy konnte ich ihn nicht erreichen. Ich rief auch bei Mrs. Hank an, doch die hatte ihn nicht vor meinem Haus gesehen.

Ich telefonierte noch eine Weile herum, doch niemand hatte ihn gesehen. Als ich vor Sorge fast verrückt wurde, rief ich den Sheriff an, welcher sofort mehrere Beamte in die spur schickte, Landon zu suchen. Er riet mir zu hause zu bleiben, versicherte mir aber auch, dass er meine Sorge um Landon teilen würde.

Tiefe angst ergriff mich, als ich ruhelos im Haus umherlief.

Hatte der Entführer auch Landon erwischt?

Ich wollte nicht daran denken.

54. Kapitel

54

Hab ich dich, dachte die Krähe und beugte sich über die reglose Gestalt am Boden. Blut lief über den Boden. Hinter sich hörte sie ihr erstes Opfer erschrocken wimmern.

Zufälle gab es manchmal, herrlich. Es war leichter gewesen, als geplant ihn zu erwischen.

Crow lachte leise, es war Zeit den Showdown zu beginnen.

Sie ließ den schweren, schmiedeeisernen Kerzenständer fallen. Die Stille des Hauses wurde durch den lauten und dumpfen Aufschlag gestört.

Sie ging zum Telefon und wählte die Nummer des Mädchens. Nach dem dritten Klingeln hob sie ab.

„Beeile dich.“, sagte sie mit tiefer, verstellter Stimme.

„Komm nach Hause oder deine Schwester wird sterben.“

Dann legte sie auf.

55. Kapitel

55

Erst war ich zu meinem Handy gestürzt, als es endlich klingelte, dann war ich augenblicklich erstarrt:

„Beeile dich. Komm nach Hause oder deine Schwester wird sterben.“

Ich versuchte die Worte des Entführers zu verarbeiten. Doch bevor ich etwas erwidern konnte, hörte ich nur noch das Besetztzeichen. Er hatte aufgelegt.

Wie in Trance klappte ich mein Handy wieder zu und legte es auf den tisch. Ich fragte mich nicht, was zu tun war. Für mich stand fest, dass ich meine Schwester retten musste. Ich versuchte noch einmal Landon zu erreichen, doch noch immer nahm er nicht ab. Ich hatte keine Zeit zu verlieren, trotzdem hinterließ ich dem Sheriff, der gerade mit einer Massenkarambolage ausgelastet war, eine Nachricht, dass ich zu meinem Haus fahren würde und das sich der Entführer gemeldet habe. Ich weiß, ich hätte auf den Sheriff warten sollen. Es wäre sicherer gewesen, doch ich tat es nicht. Entschuldigung.

Ich schnappte mir die Autoschlüssel und rannte zu dem reparierten Wagen, der in der Garage stand, denn Landon war immer noch mit unserem Mietwagen unterwegs.

Ich startete mit zitternden Händen den Wagen.

 

56. Kapitel

56

Sie kommt. Crow lächelte. Endlich. Endlich hatte das Warten ein Ende. Sie hörte das leise Knirschen von reifen auf dem Kies vor dem Haus. Ihre Schritte kamen die Einfahrt hinauf.

Sie war bereit. Ihr Opfer war gefesselt und wehrlos, der Kerl war unschädlich gemacht. Dieser ahnungslose Idiot war verdammt einfach um die Ecke zu bringen gewesen.

Die Türklinke wurde nach unten gedrückt. Erwartungsvoll hielt die Krähe den Atem an.

Ihr Opfer machte das kleine Licht im Flur an. Der Rest des Hauses lag im Dunkeln und würde es auch bleiben, dafür hatte sie gesorgt. Die Kleine näherte sich dem dunklen Wohnzimmer und man hörte, wie sie sich nun an der Wand entlang tasten musste.

Die Krähe stand reglose da und wartete. Endlich trat das letzte Opfer dieses Spiel ein.

„Willkommen.“, hauchte Crow nun unverstellt.

 

57. Kapitel

57

Ich stand wie versteinert in der Tür zum Wohnzimmer. Die Person, die hinter meiner gefesselten Schwester stand, war nur schwer zu erkennen und lediglich schwach von einigen Kerzen beleuchtet. Doch ich war mir sicher, dass es sich hierbei nicht um Thomas handelte. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet.

„Meggi?“, fragte ich fassungslos.

Sie stand nur da und lächelte mich kalt an, während sie seelenruhig ein Messer an die Kehler meiner Schwester drückte.

Sie sah nicht wie die Meggi aus, die ich kannte. Ihre Augen waren schwarz und weiß umrandet, sie trug einen schwarzen Umhang und auch ihre Haare waren nun schwarz gefärbt.

Aber was mich am meisten verstreckte war, dass ihre übliche Attitüde fehlte. Der Glamour, den jede Bewegung sonst ausgestrahlt hatte. Davon war nicht mehr übrig.

Sie wirkte seltsam verzerrt, ihr Gesicht war knöchern, ihre Haltung gebeugt. Selbst das Make-Up wirkte nicht so gekonnt aufgetragen, wie sie es mit Sicherheit gekonnt hätte. Sie sah wirklich aus wie eine zu groß geratene Krähe. Crow, die Krähe.

Wie passend.

Sie wirkte ausgemergelt, als würde sie etwas von innen zerfressen. Sie sah aus, wie ein gebrochener Mensch, die Augen glänzten fiebrig.

Nur kurz schaute ich meiner Schwester in die riesigen tränennassen Augen, denn es fiel mir schwer, den Blick von Meggi und dem tödlich glänzenden Stahl in ihrer Hand abzuwenden. Eine Bewegung von ihr und Dana wäre tot. Ich konnte kaum atmen, das Blut rauschte in meinen Ohren. Vergessen waren wundersamer Weise alle Kopfschmerzen.

Erst als meine Schwester einen wimmernden Laut ausstieß, regte sich Meggi nach diesen endlosen Sekunden, die wir uns nur angestarrt hatten.

„Überraschung.“, sagte sie.

„Damit hast du wohl nicht gerechnet. Wenn es dich tröstet, deine Schwester hier übrigens auch nicht.“

Noch immer liefen Dana stumme Tränen über die Wangen. Ich riss mich endlich zusammen und mein Gehirn fing an auf Hochtouren zu laufen. Wie sollte ich je wieder heil aus dieser Katastrophe herauskommen?

Aber zuerst musste eine wichtige Frage beantwortet werden.

„Wo ist Landon?“, fragte ich, während sich meine Brust vor Angst noch mehr zusammen zog.

Maggi ruckte mit dem Kopf in die linke Ecke des Zimmers, die noch fast völlig im Dunkeln lag. Ich folgte der Bewegung und sah eine reglose Silhouette dort liegen.

„Nein!“

Ich wollte auf Landon zustürzen.

„Halt!“, kam es schneidend von Meggi, während Dana einen weiteren hohen, wimmernden Ton ausstieß.

Schlagartig blieb ich stehen und schaute wieder konzentriert zu ihr hinüber, wobei ich nur mit meiner ganzen Willenskraft überhaupt in der Lage war, meinen Blick von Landon abzuwenden. Ich fühlte mich, als würde ich vor Schmerz, Landon so zu sehen,  ohnmächtig werden.

Er ist nicht tot, redete ich mir ein. Er kann nicht tot sein, er ist nur bewusstlos, obwohl ich mir nicht sicher war, ob das stimmen konnte. Doch solange auch nur der Hauch einer Chance bestand, dass er lebte musste ich hier durchhalten. Es musste doch einen Ausweg geben. Ich musste schließlich auch versuchen Danas Leben zu retten. Irgendwie.

Was hatte ich in all den Thrillern gelesen? Man musste den Mörder beschäftigen, ihn reden lassen, damit er abgelenkt war. Vielleicht fiel mir etwas ein, wie ich uns retten könnte, wenn ich Meggi nur lange genug zum Reden brachte.

„Warum?“, fragte ich also, denn mehr bekam ich nicht heraus. Mein Mund fühlte sich trocken an, ich konnte nicht mehr schlucken.

Nur nicht ohnmächtig werden, befahl ich mir selbst. Doch Meggi fasste die Frage gerade richtig auf und gab bereitwillig Antwort.

„Ich wusste, dass du das fragen würdest.“, sagte sie.

„Du bist so berechenbar, Eria. So leicht zu lenken. Wie eine Marionette. Deshalb war der ganze Plan auch so einfach durchzuführen.“

Ich wollte noch etwas fragen, doch sie sprach schon weiter.

„Mein Motiv.“, fuhr sie fort, „Das interessiert euch beide bestimmt brennend.“

Ich nickte.

„Mein Motiv ist das älteste der Welt. Es ist Rache. Nicht an dir persönlich, sondern an deiner lieben Schwester. Meiner sogenannten besten Freundin.“

Sie streichelte liebevoll über die Wange meiner Schwester, ohne mich aus den Augen zu lassen. Ich sah wie Dana versuchte nicht zurückzuzucken. Dann griff Meggi  in Danas Haare und riss ihren Kopf zurück, während Dana vor Schmerz aufschrie, soweit das mit einem Knebel im Mund möglich war.

„Ja. Das alles hier hast du deiner Schwester zu verdanken. Diesem scheinheiligen Miststück.“

Sie leckte Dana über die Schläfe. Noch immer saß das Messer an ihrem Hals.

Meine Schwester sah mich verzweifelt an.

„Das verstehe ich nicht.“, meinte ich wahrheitsgemäß, „Ihr wart doch schon immer Freundinnen. Warum jetzt? Warum überhaupt?“

„Weil deine Schwester geheiratet und mich allein gelassen hat. Sie ist mit diesem hässlichen Langweiler weggegangen und hat mich einfach so, nach allem was war, zurückgelassen. Deine liebe Dana scherte sich schon immer einen Dreck um mich. Dabei war ich immer für sie da. Und dich hat sie letztlich auch verlassen. Ja, dich auch.“

„Ich verstehe immer noch nicht ganz …“

„Sie hat es dir nie erzählt, nicht wahr? Unser kleines dunkles Geheimnis.“

Ich schüttelte den Kopf. Warum sollte es sich denn bitte dabei handeln?

„Gut, dann erzähle ich es dir eben. Du sollst schließlich nicht dumm sterben.“

Sie holte tief Luft, ließ ihre Schultern kreisen, wobei das Messer leicht über Danas hals kratzte.

„Etwa einen Monat bevor eure Eltern starben, blieb Dana eine Nacht bei mir. Wir hatten einen Mädelsabend geplant und uns die ganze Zeit mit Popcorn vollgestopft. Wir hörten Musik, sangen mit und tanzten auf dem Bett, wie man es eben so kennt. Alles war wunderbar und da beschloss ich, dass ich ihr endlich sagen musste, was ich wirklich für sie fühlte. Weißt du, deine Schwester war nicht nur meine beste Freundin, sie war auch immer an meiner Seite gewesen. So lange ich mich erinnern konnte. Ich liebte sie.“

Meggis Gesicht war schmerzverzehrt.

„Also beugte ich mich zu ihr rüber und küsste sie.“

Wieder stockte sie kurz und schaute Dana mit einem undeutbaren Gesichtsausdruck an. Ohne aufzusehen sprach sie weiter.

„Was tat sie?“ Sie erstarrte unter meinen Lippen und sah mich mit riesigen Augen an. Ich flüsterte ihr zu, dass ich sie lieben würde und sie sagte nichts! Nichts außer einem leisen Danke! Danke, dass war alles. Und was glaubst du, wie es weiterging?“, fragte mich Meggi.

Ich konnte nicht antworten, denn mir war schlecht.

„Gar nichts! Sie sagte, sie müsse jetzt nach Hause und ließ mich zurück. Ich durchlitt in dieser Nacht Höllenqualen. Ich dachte, ich hätte unsere Freundschaft zerstört. Am nächsten Morgen konnte ich ihr kaum in die Augen sehen. Doch sie tat nur so, als wäre nichts geschehen.“

Sie lachte auf.

„Keine Reaktion, nichts, der ganze Vorfall kam nie wieder zur Sprache. Zuerst war ich sehr froh darüber, denn ich wollte Dana nicht verlieren. Doch schon bald wurde ich wütend, so unglaublich wütend, denn ich fühlte mich, als wären meine Gefühle nichts wert. Verstehst du das?“

Ich nickte, was hätte ich auch tun sollen?

„Ich fühlte mich verraten, als sie begann sich dann auch noch mit Landon zu treffen. Es war als würde mein Herz brechen. Also schmiedete ich einen ersten Plan. Ich beschloss, wenn ich sie schon nicht haben könnte, sollte keiner sie haben! Und schon gar nicht Landon, der sich nie auch nur ein bisschen für mich, den Chef-Cheerleader, interessiert hatte, aber so offensichtlich in deine unscheinbare Schwester verknallt war. Deshalb habe ich ihn damals auch zu Danas Hochzeit hergeholt, um mich an seinem Schmerz zu weiden. Und weißt du was? Er litt nicht! Nein, aber war da schon über sie hinweg. Aber egal. An dem Abend als eure Eltern starben, hätte Dana genauso sterben sollen. Ich wusste von eurem Plan einen Ausflug zu dem Familienrestaurant in die Rocky Mountains zu machen, also schlich ich mich in der Nacht davor zu eurem Haus und schnitt die Bremsleitungen von eurem Wagen an. Irgendwann auf dem Rückweg bergab sollten die Bremsen versagen und der wagen sollte ungebremst über die Klippen fahren. Genau das hat so auch gut funktioniert. Nur dass ich nicht wusste, dass Dana krank war und euch am nächsten Tag daher nicht begleiten würde. Den Rest der Geschichte kennst du ja.“

Jetzt war mir eiskalt und Dana liefen noch mehr Tränen über die Wangen. Sie schluchzte. Meggi ignorierte sie.

„Es offenbarte mir allerdings – Glück im Unglück – eine neue Möglichkeit Dana in ihrer Trauer nahe zu sein und mich für den Rest ihres Lebens unentbehrlich zu machen. Wenn ich sie schon nicht lieben konnte, wollte ich nun doch zumindest die Person sein, die immer an ihrer Seite war. Dass hätte mir auch genügt.“

Sie lachte wieder, als hätte sie einen Witz gemacht. Ich war so entsetzt, über das, was ich gerade in diesem dunklen Wohnzimmer, in meinem Haus, gehört hatte, dass ich ihren Worten nur noch schwer folgen konnte.

„Ich weiß, dass du dir immer die Schuld am Tod eurer Eltern gegeben hast, weil sie wegen deinem Fieber schnell heim wollten. Doch in Wahrheit war es allein Danas Schuld. Ist das nicht eine ungeheure Erleichterung, zu wissen, dass sie die Schuld an allem trägt? Jetzt wo du sterben wirst?“

Sie wandte sich nun wieder direkt an meine Schwester.

„Und dann Dana, mein Liebling, werde ich das Letzte sein, was du je siehst. Ich liebe dich immer noch so sehr.“

Sie riss ihr brutal das Klebeband vom Mund und drückte ihr die Lippen für einen Kuss auf. Ich dachte, ich müsse mich übergeben und schmeckte schon die Galle auf meiner Zunge. Sie ließ von Dana ab und dreht sich wieder zu mir.

„Zeit, es zu Ende zu bringen.“, sagte Meggi.

Mir lief die Zeit davon.

„Du hast das alles geplant? Die ganze zeit über? Oder kam der Plan erst auf, als Dana dich verraten hat um eine Person zu heiraten, die nicht so gestört und narzisstisch ist wie du?“

Meggis Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze, ihre Kiefer waren fest aufeinandergebissen.

„Mach dich nicht über mich lustig“, knurrte sie.

Ich ging nicht darauf ein. Ich fragte einfach immer weiter.

„Du hast auch Thomas getötet, nicht wahr? Thomas … Dana muss dir von meinen Problemen mit ihm erzählt haben. Das war nur gut für dich, ne? Denn wenn er als verschwunden gelten würde, könntest du die Fährte auf ihn und so von dir selbst wunderbar ablenken.“

Nun schaute sie ernst.

„Du hältst dich wohl für sehr schlau. Aber ja, er oder besser gesagt sein Tod, waren für mich sehr nützlich. Er liegt übrigens im Garten der alten Mrs. Hank begraben, genau unter dem neu angelegten Hochbeet. Ich erwischte ihn, wie er mitten in der Nacht um euer Haus herumschlich. Das war allerdings mein Revier. Ich konnte keine Komplikationen gebrauchen oder dulden. Das war genau die zeit, als Dana anfing mit Jeff auszugehen. Ich musste einfach wissen, was bei euch zu hause los war. Ich habe die beiden stundenlang beobachtet. Dass mich dieser Kerl nun gesehen hatte, hätte alles zu Nichte machen können. Zumindest konnte ich ihn in letzter Konsequenz gut benutzen.“

Ich hatte das Messer nicht vergessen, doch auf einmal machte sich eine tiefe Ruhe in mir breit. Mein Plan stand nun fest, ich musste Meggi nur noch ein klein wenig ablenken.

„Es tut mir so Leid, Meggi.“, schluchzte meine Schwester.

„Schnauze!“, brüllte Meggi und schlug ihr mit der Hand hart ins Gesicht.

Ich biss die Zähne zusammen, nur noch ein wenig länger.

„Also hast du mir all diese Sachen angetan, um Dana zu beunruhigen und sie für seine finale Rache wieder nach hause zu locken. Du wusstest, dass sie auf jeden Fall kommen würde, wenn du mir wehtust bzw. wenn ich in Gefahr wäre. So konntest du sie von Jeff trennen und sie schon vorher etwas leiden lassen. Was hast du mit Dana vor? Möchtest du auch sie wirklich töten?“

Das war die Frage, die noch beantwortet werden musste, damit selbst Danas Herz kein Mitleid mehr mit dieser Kreatur haben konnte, die so lange ihre beste Freundin gewesen war.

58. Kapitel

58

„Ich werde Dana niemanden mehr überlassen, wir werden hier zusammen sterben.“

Sie sah wütend zu mir und senkte zum ersten Mal das Messer von Danas Hals, um es in meine Richtung zu stechen.

Jetzt!, dachte ich und nickte.

Dann ging alles sehr schnell. Zu spät bemerkte Meggi die Gestalt hinter sich, die ihre Hand ergriff und von Danas Hals wegriss.

„Du …“, stieß sie noch hervor.

Der Schwung der Bewegung brachte allerdings beide Kämpfer aus dem Gleichgewicht und Meggi stürzte mit dem Messer in der Hand rücklings auf Landon. Es kam zu einem heftigen Gerangel, doch es war zu dunkel, um genau erkennen zu können, was geschah. Beide schrien auf und ich rannte voller Angst um Landon auf die beiden zu.

Dana nahm ich nur aus dem Augenwinkel wahr, wie sie wie versteinert auf das Schauspiel starrte.

Ich riss brutal und mit dem Mut der Verzweiflung Meggi an der Schulter von Landon runter und sah überall Blut. Panisch suchte ich ihn nach Wunden ab, während Meggi wimmernd auf dem Boden liegen blieb.

„Alles okay mit mir, Schatz.“, murmelte Landon, „Nur eine kleine Schnittwunde.“

Er zeigte mir seinen Arm mit einem stark blutenden, aber nicht besonders tiefen Schnitt.

Dann erinnerte ich mich an Meggi und stob herum. Diese saß an der Wand und hielt sich mit beiden Händen den Bauch, während Blut zwischen ihren Fingern hervorsickerte. Das Messer lag vor ihr, dunkel glänzend vom Blut. Ihr Gesicht war weiß und sie hatte offensichtlich Schmerzen.

„Dana.“, stieß sie hervor und meine immer noch gefesselte Schwester erwachte aus ihrer Starre und sah voller Angst auf Meggi.

„Dana.“, wiederholte Maggi, „ Ich … .“

Damit erlosch ihre Stimme und sie sackte zusammen.

Ich beachtete die tote Entführerin nicht weiter, sondern ging zu meiner Schwester, um sie zu befreien. Sie schaute noch immer ungläubig auf Meggis Leiche, als ich sie sanft an der Schulter fasste, sie halb hochhob und mit Landon zusammen aus dem Haus schob. Ihre Augen blieben starr. Er am der Haustür riss sie den Blick förmlich von der Leiche ihrer besten Freundin los.

Sie zitterte am ganzen Körper und war gezeichnet von den Qualen der letzten Tage und der Todesängste, die sie hatte durchstehen müssen.

In der Einfahrt hörten wir die ersten Sirenen und als der erste Streifenwagen in die Straße einbog, sank Dana in meinen Armen zusammen und begann zu weinen. Sie weinte so sehr, dass ich meinte, sie würde nie wieder aufhören können.

 

Epilog

Epilog

Nach dem letzten strengen Winter ließen leichte, warme Winde auf den kommenden Frühling hoffen.

Trotzdem war es morgens noch unangenehm frisch, weshalb ich mir in aller Eile meinen Schal umschlang und aus dem Zimmer stürzte. Dann stürzte ich allerdings sogleich wieder hinein, da ich den Kleidersack, der mahnend an meinem Spint hing, vergessen hatte.

Wenn man bedachte, was heute für ein Tag war, war das wirklich sehr verwerflich. Aber dazu gleich mehr.

Die Ereignisse dieser Wochen voller Angst und Horror lagen jetzt etwa drei Jahre zurück. Daher möchte kurz schildern, was in dieser Zeit geschehen war.

Dana hat sich mittels psychiatrischer Hilfe sehr gut von ihrer Entführung erholt. Ich freute mich darauf, sie in wenigen Minuten endlich wieder in die Arme schließen zu können. Zusammen mit meiner süßen kleinen Nichte Jenny. Das letzte Treffen lag mehr als vier Monate zurück.

Dana war nach einigen Tagen wieder nach Phoenix zurückgekehrt, zusammen mit Jeff, der sich wirklich aufopfernd um seine traumatisierte Ehefrau gekümmert hatte. Nur ganz selten, wenn ein unbedachtes Wort fiel oder jemand von einer Meggi sprach, loderte der alte Schmerz noch kurz in Danas Augen auf. Doch nur noch die wenigen Eingeweihten bekamen das überhaupt mit.

Maggi hatte ihre Bauchwunde überlebt und saß sicher hinter Schloss und Riegel einer psychiatrischen Anstalt, nachdem sie für den Mord an Thomas und Dana Entführung verurteilt worden war. Das Gericht verneinte zur allgemeinen Überraschung die Schuldfähigkeit der Angeklagten nicht, befand allerdings, dass sie unter ständiger ärztlicher Aufsicht besser aufgehoben wäre.

Später fand man die Knochen des toten Jungen unter dem gepflegten Rosenbeetes von Mrs. Hank.

Bekümmert sah sie damals zu, wie die Überreste ausgegraben wurden. Ich hatte allerdings ein wenig das Gefühl, als würde sie mehr um ihre schönen Rosen trauern, als um den Jungen an sich.

Maggi hatte ihn noch vor Ort umgebracht und verscharrt. Seine Eltern sind zwar für die Verhandlungen ins Gericht und zurück nach Livingston gekommen, doch ihre Gesichter waren von Schmerz und Gram gezeichnet.

Da man nicht sicher sein konnte, ob Meggi nicht doch eines fernen Tages wieder auf freien Fuß gelangen würde, wollte ich vorbereitet sein.

Ich muss leider sagen, dass ich keine Anwältin geworden bin.

Ich bin nach einem verkürzten Studium am College vor etwa einem Jahr in den Dienst des Staates getreten und habe die Polizeiakademie absolviert. Mittlerweile bin ich Streifenpolizistin, strebe aber das Amt eines Detective an, sobald ich mich bewährt habe.

Sollte Meggi also eines Tages zurückkommen, würde ich ihr ohne Angst entgegentreten können.

Für manche mag diese Entscheidung meinen Lebenstraum aufzugeben nicht nachvollziehbar sein, aber ich wollte nie wieder eine solche Angst und Hilflosigkeit empfinden müssen. Und ich wollte die Menschen und Tiere beschützen können, die ich liebe.

Ach ja, Moé ist immer noch putze munter. Ich soll einen lieben Gruß von ihr bestellen. Glaube ich. Man weiß ja nie, was die so mauzen.

Quest und Sundance leben nunmehr auch bei uns und es schien ihnen zu gefallen. Sie mampften zufrieden das Heu, dass Landon ihnen jeden Tag persönlich ausstreute. Er hatte auf seinem großen Grundstück sogar eigenhändig einen kleinen Stall gebaut und das dahinter liegende Brachland als Weidegrund gekauft.

Aufgrund meiner Berufswahl war ich nun gerade in Zeitnot. Meine Nachtschicht war zwar schon seit zwei stunden vorbei, doch einige Berichte  hielten mich länger auf als erwartet. Mit Vollgas raste ich in meinem Polizeiwagen durch den Livingstoner Samstagmorgenverkehr. Ich kam dementsprechend und Ermangelung von Autos schnell voran.

Ich war wirklich spät dran und dabei hatte ich versprochen pünktlich zu sein.

Wie ich so dahinfuhr, dachte ich über eine andere, überaus positive Überraschung nach, die sich vorheriges Jahr zugetragen hatte.

Judy hatte die Scheidung eingereicht, weil sie einfach nicht mehr mit Landons Vater ausgehalten hatte. Das überraschte niemanden. Wir hatten bei unseren seltenen Besuchen auf dem Jackson-Anwesen immer deutlicher gespürt, wie unglücklich sie gewesen war.

Die eigentliche Überraschung war, dass sie nun mit James, dem Butler, zusammenlebte. Alte, oder in diesem fall langegehegte, Liebe rostet eben nicht.

 Landon war zu beiden überaus nett gewesen, als sie uns bald darauf besuchten. Immerhin war durch die Scheidung seine Familie auseinandergebrochen.

Celine hatte, wie zu erwarten war, zu ihrem Vater gehalten und jeden Kontakt zu Judy abgebrochen. Deshalb waren Celine und ihr Vater auch nicht auf der heutigen Feier dabei.

Zu der ich, wie ich mit einem gehetzten Blick auf die Uhr meines Wagens registrierte, selbst viel zu spät kam.

Ich näherte mich meinem Bestimmungsort, sprang aus dem Wagen und rannte die Stufen des Seiteneinganges hoch. Ohne den Kleidersack zu vergessen. Noch fünfzehn Minuten.

Ich schlitterte um die Ecke ins Ankleidezimmer, in dem meine Schwester – sie sah hinreißend aus in ihrem roten Hosenanzug – schon mit in die Hüften gestemmten Armen auf mich wartete.

„Du bist zu spät.“, begrüßte sie mich und funkelte mich böse an.

Ich schrumpfte ein wenig in mich zusammen und zog den Kopf ein. Dana war immer noch kleiner als ich, doch heute strahlte sie eine unglaubliche Autorität aus.

Ich murmelte kleinlaut eine Entschuldigung.

„Also wirklich Eri, so geht das doch nicht. Jetzt halt still.“

Sie half mir in meine Kleid und steckte mir mit flinken Fingern die Haare hoch.

„Das alles hier war nicht meine Idee.“, versuchte ich mich erfolglos zu rechtfertigen.

Sie sah mich wieder böse an, um zu zeigen, was sie von meinem Kommentar hielt.

Dann schminkte sie mich noch ein wenig, während ich jeden Moment in dem Kleid, dessen Korsage mir fast den Atem raubte, zappeliger wurde.

Ein Gutes hatte die ganze Hektik, denn sie hielt mich davon ab darüber nachzudenken, was mich in wenigen Minuten erwarten würde. Sonst wäre mir wohl übel geworden. Das alles machte mir mehr Angst als jede Meggi oder wahlweise auch ein Jack the Ripper es je könnten.

Endlich war ich hergerichtet und lief neben Dana her zu der großen, schweren Flügeltür. Dahinter konnten wir aufgeregtes Gemurmel hören. Noch zwei Minuten. Dann wurde es schlagartig ganz still, als im Saal die Musik zu spielen anfing. Dana reichte mir meinen Blumenstrauß und stieß die Tür auf.

Da sah ich ihn endlich, den einzigen Grund für diese Veranstaltung und das weiße Kleid, in dem ich nun steckte.

Landon stand am Ende des Ganges und wartete in seinem schwarzen Frack mit einem erwartungsvollen Lächeln im Gesicht auf mich.

Ich stand wie versteinert da. Alle Gesichter, von freunden und Verwandten, hatten sich zu mir umgedreht. Ahs und Ohs waren zu hören. Doch ich sah nur Landon, wie er dort stand und auf mich wartete. Seit drei Jahren wartete.

Wie gesagt, das hier, war allein seine Idee gewesen.

Dann streckte er die Hand nach mir aus und Dana gab mir einen leichten schubs, während ich mich bei ihr unterhakte und zum Hochzeitsmarsch den Gang entlangschritt.

Am Altar atmete ich tief durch, dann sah ich Landon in die Augen.

Ja, ich will, dachte ich.

Imprint

Text: alle Rechte für diese Buch und die Story liegen bei M.E. Hannemann
Publication Date: 07-04-2014

All Rights Reserved

Next Page
Page 1 /