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Thriller

Ist Thrill ein Grundbedürfnis? Was ist mit Chillen? Ist da ein unruhiger Geist in einem, der abenteuersüchtig ist, dem es gar nicht schaurig genug sein kann? Atemlos durch 1001 Nacht. Muss das eigene Leben spannend wie ein Krimi sein? Tut man der Evolution den Gefallen und geht auf ihre Forderungen ein: couragiert sein, mit Todesverachtung mächtige Gegner herausfordern? Oder sollte man das lieber den Protagonisten überlassen? Die kennen sich damit aus.

Man hat Abstand – man verfolgt die Abläufe in der Thriller-Welt von außerhalb des Buches. Das Tolle ist: Emotional ist man involviert. Wie bei den Gladiatorenkämpfen. Privileg des Zuschauenden: Man riskiert nichts. Im Grunde weicht man den Forderungen der Evolution aus; man will sich nicht bewähren. Das Heroische ist furchtbar anstrengend. Wenn man ständig beherzt ist, ist das nicht gut fürs Herz. Soll der Protagonist das erledigen; man drückt ihm die Daumen. Stellvertreter – denen kann man so ein Wechselbad der Gefühle besser zumuten. Man selber neigt eher zum Sicherheitsorientierten.

Sollte der Held allerdings auf die Idee kommen, einfach chillen zu wollen, legt man das Buch empört beiseite. Geht gar nicht! Er soll leiden, er soll was durchmachen, bis an seine Schmerzgrenze gehen. Warum zögert der Antagonist? Wollen sie einen mit Langeweile foltern? Als Leser ist man fordernd, ein Tyrann, ein Despot. Lasset die Spiele beginnen! Der schlichte Bürger auf Thrillsuche; Sensation Seeking.

Aber komfortabel soll es sein. Zum Mittag einen Red Herring. Für den Helden bitte ein paar Plot-Twists und noch einen Cliffhanger. Mal sehen, wie lange er das durchhält. Der Bösewicht lässt nach. Kann man den austauschen? Wie fies wird man als Leser? Dem Thrill verfangen, man will mehr davon. Suspense-Nachschlag. Die normalen Büro-Intrigen genügen einem nicht.

Oder ist es eine Flucht vor den eigenen Problemen? Zuschauen, wie ein Held seine Probleme meistert – das hat was Tröstliches, Inspirierendes. Wenn es doch auch so einfach wäre im Real Life. Das Versprechen, dass nach gewaltiger Anstrengung das Happy End auf einen wartet – so einen Mechanismus kennt das Real Life nicht. Es ist chaotischer, hält sich an keine Genre-üblichen Regeln. Das Versprechen, dass nach dem größten Chaos wieder alles in Butter ist, das hat was, das ist wohl eines der Erfolgsrezepte von Thriller & Co. Man kann mit den Bedrohungen fertigwerden, egal, wie unerfreulich die Monster sind.

Aber bleiben die eigenen Fähigkeiten nicht untrainiert – wenn man immer nur seinen Stellvertreter-Heroen zuschaut? Okay, wenn man Tennisprofis zuschaut, kommt das der eigenen Spielstärke zugute. Fast wie eine KI, die mit Unmengen von Daten gefüttert wird: Man extrahiert was Passendes, man erkennt Muster. Insofern könnte es vorteilhaft sein, Heroen bei ihrer Arbeit über die Schulter zu schauen. Wie stellen sie das an, wie gelingt es ihnen, sich nicht unterkriegen zu lassen? Der Protagonist wächst regelmäßig über sich hinaus. Fantastisch. Wirkt fast wie ein Zaubertrick. Unbedingt zur Nachahmung empfohlen. Dann müssten wir mittlerweile alle zumindest halbe Helden sein – Thriller boomen. Steigert das unsere Seelenkräfte? Ein funktionierendes Abwehrsystem gegen Schurken? Oder regt uns noch immer jede Kleinigkeit auf? Wer hat den Sturm im Wasserglas bestellt?

Es hilft nichts: Die Helden müssen sich wieder und wieder in Abenteuer stürzen, der Leser will es so, er hat dafür bezahlt. Man liefere ihm Spannung, Hochspannung, noch mehr Spannung! Eine Prise Surprise für den unerschrockenen Recken – mal sehen, wann er schlappmacht. Der Philobat schätzt Risiken und Gefahren, der Oknophile meidet sowas. Hat man ein Übermaß an Philobatie und Neophilie – das Neue zieht einen magisch an? Oder ist es einfach nur "Boredom susceptibility" – "Anfälligkeit für Langeweile"? Ist unsere Welt zu wenig abwechslungsreich – flieht man in die Gefilde des Thrillers?

Man begleitet den Helden, man ist immer dabei. Wird ihm das nicht lästig? Er soll uns huckepack nehmen. Sein Fallschirmsprung wird zum Tandemsprung. Der Leser klammert. Man ist in der Zwickmühle: der Alltag zu langweilig, die echten Gefahren zu unangenehm. Per Thriller gelangt man ins Unlangweilige – und man benötigt keine Zusatzversicherungen. Risikolos Risiken genießen. Die Evolution ist sowas von enttäuscht von uns. Wir haben sie ausgetrickst. Sie wollte uns fit machen für herrliche Kalamitäten ... Wir sind chillerfahren – was soll sie mit uns anfangen? Riesenrad oder Roulette als Thrill-Expertise? Ernsthaft?

Die Aliens wären wohl nicht sehr beeindruckt. Kein Swashbuckler, Haudegen, der lässig und spielerisch alle besiegt; dessen Lächeln noch entwaffnender ist als seine Kampfkunst. Man will nicht der Protagonist in einem Thriller sein. Eine Sitcom würde mir persönlich besser gefallen. Was will man mit Vampiren, Werwölfen, Zombies, Mutanten? Wobei man sich nach dem Lesen der News manchmal wie in einem Mysterythriller vorkommt. Ist man bereits in einem Paralleluniversum, in einem Dummiversum? Maximal-Dummheit wird angestrebt, ein Wettbewerb der unklügsten Entscheidungen?

Im Thriller ist alles so einfach: Man weiß mit Bestimmtheit am Ende, wer der Villain, der Bösewicht, ist. Im Real Life denken die Villains, die Bösewichte, sie seien die Antagonisten. Völlige Verkehrung. Welt steht auf dem Kopf. Man hat Rechtfertigungen zur Hand, man kann völlig plausibel erklären, warum die eigenen Schandtaten gerechtfertigt sind. Hier ist jeder der Antagonist, jeder ist der Held seiner Story. Wunderbar. Man belästigt andere, man nervt sie, man tötet sie – aber man hat für alles gute bis sehr gute Gründe. Der Thriller-Held hat da eindeutigere Vorgaben. Oder ist das zu konventionell gedacht? Wie biegsam ist die Moral? Einen Grund parat haben fürs Fehlverhalten – dann zählt man immer noch zu den Grundanständigen?

Im Real Life ist nicht nur der Antagonist unverschämt. Unverschämtheiten, wohin man blickt. Man könnte sich nur noch aufregen ... Wie vereinbar ist das mit einer Weltsicht als Philanthrop? Zuflucht zum Thriller – alle Wut konzentrieren wir auf den dortigen Antagonisten. Wie das Krokodil im Kasperletheater: Man ist sich seiner Sache sicher, man hat es mit einem waschechten Bösewicht zu tun. Oder möchte das Krokodil nur verhindern, dass es in Kroko-Handtaschen verwandelt wird? Hat es da was aufgeschnappt, was ist angedacht? Kriechtiere haben es schwer – die Schlange kann ein Lied davon singen; kein gutes Renommee. Sie gilt als Urbösewicht. Sie wurde nie dazu befragt; ihr Standpunkt interessiert wohl keinen?

Man braucht Thriller-taugliche Bösewichte – immens hoher Bedarf; man könnte schon von Verschleiß sprechen. Die Helden verfahren nicht gut mit ihnen. Die Märchen machen es ja vor. Sie bekommen Wackersteine, müssen in glühenden Schuhen eine heiße Sohle aufs Parkett legen, sie kommen in Fässer mit siedendem Öl und giftigen Schlangen – wahlweise auch mit Nägeln ausgeschlagen. Man spart nicht an Ausstattungsdetails. Die Märchen-Bösewichte wären heilfroh in einem Thriller zu sein: Da geht es hinterher lediglich in den Knast. Rumpelstilzchen müsste sich nicht entzweireißen. Er könnte sich zusammenreißen – und mit dem aus Stroh gesponnenem Gold die Wärter bestechen. Die Märchen sind finaler. Wobei manche Antagonisten noch für Fortsetzungen frisch gehalten werden. Auch Protagonisten sind in Thrillern und Krimis nie lange tot – Sherlock Holmes hat es vorgemacht. Erstaunlich, dass man sich dennoch um sie sorgt. So ein Abo aufs Happy End wäre eine gute Sache auch im Real Life.

Sollen das die Thriller einem vermitteln, ist das ihre Botschaft: "Egal, wie beschissen es steht, alles wird gut"? Hat beinahe etwas Religiöses. Die Weltretter sind wieder unterwegs. Was ist so faszinierend am Schaudern? Ganz versessen auf Angstlust. Hat es etwas mit Eustress zu tun? Irgendwas soll uns rauskicken aus dem Tal der Langeweile. Wir fürchten sie. Auch wenn Meditierende sie bewusst aufsuchen. Es ist nicht ihr Endgegner – eher so ein Mini-Boss, ein Zwischengegner. Mit Thrill gegen die Langeweile. Gechillt durch Thriller. "Entspannung durch Spannung", lautet die Devise. Termindruck, Zeitdruck sind so gesehen ein Segen. Bis es zum Distress kommt. Wer hat schon wieder den Panik-Button gedrückt?

"Angst in Maßen", versprechen uns die Thriller und Krimis – wohldosiert, kapitelweise. Optimales Angstlevel für jedermann. Stimulanz fürs Brain. Mit Krimi schläft Mimi entspannter. Thriller verträgt sich auch gut mit Erotik oder mit Öko; er transportiert bereitwillig jede Message. Welches Thema will nicht mitmachen in einem Pageturner?

Die Autoren haben's drauf: Die Neugierde treibt einen immer weiter in das von ihnen erdachte Land. Man will Antworten – erhält sie aber nicht sofort. Neue Fragen stellen sich einem frech in den Weg. Für Nervenkitzel ist gesorgt; man ist besorgt. Unmöglich, das Buch jetzt wegzulegen; man kann den Protagonisten in dieser schwierigen Situation unmöglich alleine lassen. Oder muss er sich gedulden, bis wir wieder Zeit für ihn haben? Keiner rührt sich. Einfrieren der Zeit. Unser Lesetempo bestimmt den Zeitfluss. Dennoch turnen wir die Pages in Rekordzeit. Wenn das bei Lehrbüchern auch der Fall wäre. Selten mal ein Pageturner dabei.

Helden wie aus dem Lehrbuch ... Eine Aufforderung, in ihre Fußstapfen zu treten, es ihnen gleichzutun? Man hat nur einen Bruchteil ihrer Probleme – dennoch meistert man die nur bruchstückhaft und bruchstückweise. Sind die Probleme im Real Life generell verzwickter – weil kein Plot existiert? Bündnis mit dem Chaos. Das Problematische fühlt sich da ganz wohl, es chillt.

Deswegen ist es eine Wohltat, mitanzusehen, mit welcher Konsequenz und Dreistigkeit der Held mit seinen Problemen verfährt – trotz der verfahrenen Situation. Es bleibt tricky. Realitätsflucht scheint angemessen. Die Thriller machen es einem leicht. Man rutscht da hinein. Man liest es in einem Rutsch durch.

 

ENDE

 

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Publication Date: 01-01-2024

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