Ein Mandant

 

    Er vernahm aus dem Büro der Rechtsanwältin die Stimme der Sekretärin, die im Empfangsbereich mit einem anderen Mandanten telefonierte. Dann blickte er von der hohen, angelehnten Tür zum Schreibtisch der Anwältin für Strafrecht. Es war ein mittelgroßes, hohes Anwaltsbüro. An den Wänden prangten Fotos des brasilianischen Fotografen Sebastian Salgado und von Dali, die wie Bildnisse,  andere  Formen des Fegefeuers wirkten. Der Mann mit dem stämmigen, hochgewachsenen Profil eines Boxers, er war 1,97 Meter groß und dem rasierten Gesicht nahm Platz am Schreibtisch und blickte im Anwaltsbüro umher. Er musterte die gegenüberliegende Bibliothekswand und einen Tisch mit weiteren Stapeln von Akten und blickte zu einem Bild Dalis neben dem Fenster mit einem rippendürren, ausgehungerten Pferd, wie in einem unendlichen Ozean versinkend und auf ein vergrößertes Foto Salgados, auf dem ein Feuerwehrmann vor mehreren in Flammen stehenden Ölfeldern und einem schwarzschwarzen, bedrohlichen Himmel steht.   Dann flog sein Blick zu einem Foto Salgados mit einer abgelichteten Goldmine, in der die Menschen wie auf einem Vulkan oder eher nahe der Hölle und der Verdammnis scheinen, als einem Eldorado, ausgemergelt, ausgebeutet. Einem weit über die Erde läutenden Traum von einem einfacheren, bessergestellten, würdevolleren Morgen, dem sie wohl wie eine Herde voller Träumer und Irrer folgten und dabei der Armut und Chancenlosigkeit ihrer Schicht entfliehen wollten, ehrgeizig, ausgezehrt, wohl noch immer chancenlos. Durch den Türspalt flogen Sätze der Sekretärin, die weiter mit jemandem telefonierte. Bald schritt die Anwältin hinein und schloss die hohe Tür. Sie begrüßten sich und sie blickte bald über die juristischen Bücher auf dem Schreibtisch zum Mandanten. Sie gebot ihm etwas zu trinken von dem Kaffee und Wasser auf dem Tablett vor ihm links auf dem breiten Schreibtisch. Dann blätterte sie in dem Aktenordner zum Gerichtsfall mit der Anklage der räuberischen Erpressung. Er nahm einige Schlücke vom schwarzen Kaffee. Die Tasse stellte er wieder ab. Er trug eine Glatze, hatte ein helles, ein mazedonisch oder kroatisch aussehendes, nun auch ermattet und ernst schauendes Gesicht. Seine Blicke flogen bald von den Fotos Salgados wieder zur Anwältin, die sich zunächst nach dessen derzeitigen Lebenssituation, dem Wohnort, der Befindlichkeit erkundigte und dann die kurzzeitig abgenommene, schwarzgerahmte Brille mit der rechten Hand wieder aufsetzte. Sie hatte einen energischen Ausdruck im Gesicht, in den Augen, im Kinn. Eine Frau mit klarem Profil, attraktiv, eine wohl auch kämpferische Rhetorikerin und Verteidigerin. Dann begann sie mit ihren ersten Fragen zum behandelten Gerichtsfall: "Sagen Sie, wann und wo wurde die Festnahme durchgeführt und brachte die Polizei sie zur Polizeistation an der Bremer Straße?" "Etwa um 14. 50 Uhr", erwiderte er. "Die Festnahme erfolgte in ihrer Wohnung?" "Nein, in der Nähe der ehemaligen britischen Barracks Kaserne." Er stellte die kurz zuvor aufgenommene Kaffeetasse wieder ab. "Nahe der ehemaligen Barracks Kaserne stoppten mich zwei Streifenwagen und drei oder vier Polizisten, darunter eine Polizistin." Sie notierte es. "War die räuberische Erpressung schon länger geplant? Hatten Sie es vorbereitet?", fragte sie dann nach kurzer Pause. "Nein, ich hatte es nicht geplant." "Sie hatten die räuberische Erpressung nicht geplant?", wiederholte sie. "Ich hatte es nicht geplant, wirklich nicht."   "Sie haben jemanden überfallen und dem Opfer dabei 30 000 Euro abnehmen wollen und sagen, es war nicht geplant." Er wiederholte es. "Sie haben einen Arzt aus Frankfurt überfallen und dabei 30 000 Euro abnehmen wollen, der dem Bild nach dem berühmten Arzt Albert Schweitzer ähnlich sieht. Doch derzeit zur Unterstützung der Völker eine Poliklinik in der dort proklamierten Föderation Nord - und Osttsyrien mit errichtet." Der Andere zeigte in seiner Mimik ein Zug des Bedauerns, aber schien es ebenso überhören zu wollen als mochte er jene politische, humanitäre Dimension des Opfers nicht und wartete die nächste Frage ab. "Sie waren bewaffnet. Hatten Sie die Waffe bei dem Treffen bezüglich des Bootes gezogen?" "Ja, ich war bewaffnet und hatte sie gezogen. Aber es war eine Gaspistole, keine scharfe Waffe. Und die Waffe hatte ich zur Selbstverteidigung dabei, falls mein Gegenüber bei der Bootsbesichtigung irgendwas Dummes geplant hätte zur Einschüchterung."

Die Anwältin (...)

 


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